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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV ASYL 1991 ::: ARCHIV PRESSE 1991 :::

21. Oktober 1991
Frankfurter Rundschau

Die weißen Schnürsenkel und der Fremdenhass
Im Taunus wird Rechtsextremismus offen und verdeckt geschürt, leben Flüchtlinge in Angst

Von Susanne Hoerttrich und Norbert Glaser (Hofheim)


Die weißen Schnürsenkel sind in der Szene ein eindeutiges Symbol: Wer sie trägt, ist gegen Ausländer. „Die Scheinasylanten werden mit Geld vollgestopft. Sie haben alles. Ich fahre nur einen Polo, die einen dicken Benz“, schimpft der junge Mann und streicht sich über die kurzen blonden Haare. Aus dem parkenden Auto dröhnt Musik. Rund 20 junge Leute stehen um die alte Eiche in Bremthal herum, einem Ortsteil von Eppstein.

In dem Taunusstädtchen sind die „Technos“ zu Hause. Den Namen gaben sich die 15- bis 19jährigen Jugendlichen nach ihrer bevorzugten Musik, dem Techno-Pop. Mit Skinheads oder gar mit Neonazis wollen sie nicht in einen Topf geworfen werden, doch aus ihrer Sympathie für rechtsextremes Gedankengut machen sie keinen Hehl. Mit ihren türkischen, marokkanischen oder jugoslawischen Altersgenossen wollen sie nichts zu tun haben. Statt dessen fallen Sätze wie: „Eine 9-mm-Gaspistole ist die Lösung.“

Für „Schnösel ohne politische Richtung, die sich mit Dummen-Jungen-Sprüchen produzieren“, hält sie der Leiter der zuständigen Polizeistation. Doch türkische Jugendliche aus dem Taunusstädtchen schätzen die gleichaltrigen Deutschen anders ein: „Ihre Vorbilder sind die Skins, sie trauen sich nur nicht, mit Glatze herumzulaufen.“ Und: „Wenn sie richtig besoffen sind, ziehen sie aufs Schlachtfeld. Mit der Bierflasche in der Hand sind sie stolz, Deutsche zu sein. Deutschland den Deutschen heißt es dann – als ob wir ihnen etwas wegnehmen wollten. Wir haben doch keine Gebietsansprüche.“ Die „Technos“, sagen die türkischen Jugendlichen, haben Kontakt zu neonazistischen Gruppierungen wie der „Taunusfront“ und der „Adlerfront“.

Im reichen Main-Taunus-Kreis, zwischen Frankfurt und Wiesbaden gelegen, sind die „Technos“ keine Einzelerscheinung. Doch nicht nur das: Der Wiesbadener Rechtsextremismus-Experte Rainer Fromm sieht von dort aus Fäden „in die ganze Bundesrepublik“ laufen. In Hochheim am Main, wo „Die Deutschen“ im Parlament sitzen, übernahmen Neonazis die Patenschaft für eine rechtsextreme Jugendgruppe in Weimar. Hochheimer Anhänger des verstorbenen Neonazis Michael Kühnen nehmen Führungspositionen bei der „Deutschen Alternative“ und bei „Deutsches Hessen“ ein.

„Deutsches Hessen“, eine im Sommer gegründete Partei, operiert von Wiesbaden aus und sieht ihr Ziel darin, eine multikulturelle Gesellschaft zu verhindern. Neben Thesen gegen Ausländer und „Asylanten“ stehen in ihrem 18-Punkte-Programm aber auch Forderungen nach einer menschenwürdigen Altenbetreuung, einer Einheitsrente von 1500 Mark oder die verstärkte Förderung alternativer Energiequellen.

„Ein ansprechendes und deshalb gefährliches Programm“, urteilt Fachmann Fromm, „denn es basiert völlig auf dem Sündenbock-Prinzip. Den Leuten werden soziale Themen angeboten und gleichzeitig suggeriert man ihnen, warum sich nichts tut.“ Ähnlich „moderat“ gibt sich laut Fromm inzwischen die „Taunusfront“. „Schlägereien, Tag des Bieres, das war einmal.“ Heute bringt die Gruppierung Aufkleber heraus mit Parolen wie: „Wohnung und Arbeit für Jedermann, -frau“. Das Impressum nennt ein Postfach in Hofheim.

In der Kreisstadt ist schon seit Wochen der Bahnhof mit Hakenkreuzen beschmiert. An einem Treppenaufgang steht: „Wir wollen den 8. November wieder haben“. Die Glasfassade einer Zeitungsredaktion wurde mit einem Hakenkreuz verunstaltet. Drohbriefe kursieren. Und Journalisten, die mißliebig berichten, werden mit anonymen Telefonanrufen traktiert.

Stadtbekannte Neonazis traten und schlugen in Hochheim zwei italienische Bauarbeiter. Einer mußte sechs Tage im Krankenhaus bleiben. Aus Angst vor neonazistischen Angreifern wollten in Hofheim Veranstalter einer Lesung der Auschwitz-Überlebenden Helen Waterford nur ausgewähltes Publikum einladen. Und in der Nacht zum 10. Oktober versetzten Maskierte die Bewohner eines Flüchtlingswohnheims in dieser Stadt in Angst und Schrecken. Der Geistesgegenwart der Flüchtlinge ist es zu verdanken, daß die Angreifer flohen, bevor sie Schlimmeres anrichten konnten.

Dennoch leben die Asylsuchenden seit dieser Nacht in ständiger Wachsamkeit und Angst. Eine Chilenin, die unter Pinochet verfolgt, wurde, fühlt sich durch den versuchten Überfall an frühere Erlebnisse erinnert. Eine junge Afghanin sagt: „Ich schlafe seitdem nicht mehr.“ Ihre Arbeit als Kassiererin in einem Supermarkt hat sie erst einmal unterbrochen, sie ist krank und ihre dreijährige Tochter möchte sie nicht alleine zu Hause lassen. „In meinem Land ist es sehr schlimm, und hier in Deutschland ist es auch sehr schlimm“, sagt sie.

Die Hälfte der 80 Flüchtlinge sind Jugendliche und Kinder. „Wir gehen nur noch mittags zum Einkaufen“, erzählt ein 15jähriger Iraner. Und nach Hofheim hinein fahren die Jugendlichen sowieso nur noch mit ihren Eltern zusammen: „Besonders die alten Leute gucken uns so böse an“, berichten die Jugendlichen. „In der Schule bilden sie Gruppen gegen Ausländer“, setzen sie hinzu.

Seit dem Angriff auf das Heim stehen jede Nacht Bürger davor, beobachten aufmerksam die vorbeifahrenden Autos, laufen Streife, immer zusammen mit einem Bewohner. „Für viele, die das Haus vorher gar nicht kannten, ist das sehr interessant. Man erfährt einiges über das Schicksal der Flüchtlinge“, sagt ein Lehrer, der Wache schiebt.

Doch Herbert Leuninger, der anfangs alleine Wache hielt, empfindet „Wut und Scham, daß es uns nicht gelang, das zu verhindern“. Der Priester und Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge „Pro Asyl“ wurde mittlerweile selbst Ziel eines Angriffs: Ein Pflasterstein schepperte nachts gegen den Rollladen seiner Wohnung. Im Briefkasten fand er das Schreiben einer „Aktionsgemeinschaft Novembersturm“. Sie zeichnet für den versuchten Überfall auf das Wohnheim verantwortlich und bedrohte ihn schon vorher. „Für Vertreter nicht deutscher Interessen müssen Lager geschaffen werden, in denen sie wieder lernen, sich primär für das Wohl ihres eigenen Volkes einzusetzen“, heißt es in dem Drohbrief.

Ob er jetzt Angst hat? „Nein. Ich kann das eher aushalten als die Flüchtlinge. Solidarität bedeutet für Leuninger auch, ein Stück „das Schicksal der Menschen zu teilen, für die man sich einsetzt“. Den meisten Politikern wirft er vor, „kein Fünkchen eines Versuchs aufzubringen, das Schicksal dieser Menschen zu verstehen“. Wer nach Hoyerswerda nicht sofort die Asyldebatte beendete, müsse sich historisches Versagen vorwerfen lassen, sagt Leuninger. Er ist überzeugt: „Unsere Demokratie hat an Hoyerswerda und danach empfindlichen Schaden genommen.“

Er hält es für „verhängnisvoll“, daß man diesen Ausschreitungen, die so gefährlich an die Zeit vor dem Nationalsozialismus erinnern, nicht genügend wehrt. Viel, viel mehr Menschen müßten auf die Straße gehen, um den Rechtsextremismus zurückzudrängen. Leuninger: „Ich hatte damit gerechnet, daß sich deutlich mehr Menschen dem entgegenstellen. Doch das ist nicht der Fall.“

Der Flüchtlingspfarrer sieht die Auseinandersetzungen hier bereits als Kampf der Ersten gegen: die Dritte Welt. „So wie wir strukturell als Erste mit der Dritten Welt umgehen, gehen wir auch mit Menschen um, die als Repräsentanten dieser anderen Welt unter uns leben.“ Leuninger fordert Objektschutz für alle Ausländerunterkünfte in Deutschland.

Der Rechtsextremismus-Experte Rainer Fromm setzt auf Projekte wie in Hochheim, wo die Kirchen, engagierte Bürger und Stadtjugendpflege versuchen, rechte und linke Jugendliche unter der Vorgabe der Gewaltlosigkeit an einen Tisch zu bekommen. „Die Gewaltbereitschaft sinkt, wenn die Jugendlichen merken, daß die ihnen vorgegebenen Feindbilder nicht stimmen, daß der vermeintliche Gegner auch ein Kumpel sein kann.“ Offene Diskussionen in Jugendzentren sieht er als einzigen Weg der Verständigung. Denn: „Kriminalisierung hilft nicht.“ Nur so läßt sich verhindern, was ein türkischer Jugendlicher aus Eppstein formuliert: „Überall werden wir an den Rand gedrängt, als hätten wir eine ansteckende Krankheit. Sie wollen uns alle raus haben. Aber wenn wir gehen, gibt es hier bald wieder ein Deutsches Reich.“


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