15.07.1998
Flughafenasylverfahren:
Gefolterter Priester mußte vorsingen,
weil man ihm nicht glaubte.
Statt Aufklärung der politischen Verfolgung
theologisches Nachexamen
MISSIO bestätigt die Priestereigenschaft des als
„offensichtlich unbegründet“ abgelehnten Flüchtlings.
Deutsche Beamtin prüft Flüchtling in Theologie – Frankfurter Rundschau vom 16. Juli 1998
Eben so grotesk wie skandalös ist die Behandlung eines Priesters aus der Demokratischen Republik Kongo, der sich zur Zeit im Asylverfahren im Transitbereich des Rhein-Main Flughafens Frankfurt befindet. Der 40-jährige landete am 1. Juli 1998 auf dem Flughafen und gab bereits bei der grenzschutzpolizeilichen Erstbefragung an, er sei als Priester Augenzeuge eines Massakers der Kabila-Truppen an Hutu-Flüchtlingen gewesen, habe internationale Journalisten im Mai 1997 über seine Wahrnehmungen informiert und gegen Korruption und solche Massaker gepredigt.
In der am 6. Juli 1998 folgenden Anhörung beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gab der Kongolese seinen Lebenslauf und den Bildungsgang zum Priester ausführlich zu Protokoll, nannte seine Pfarrgemeinde, die Namen anderer Gemeindepriester, seinen Bischof und mit ihm inhaftierte Professoren. Er berichtete, er sei insgesamt dreimal inhaftiert und dabei zweimal gefoltert worden. Wörtlich sagte er: „Mir wurde ein Revolver an die Stirn gehalten, oberhalb der Nase und danach hat man geschossen. Man hat den Revolver dann in die Luft gerichtet und geschossen. Auch mußte ich mich nackt ausziehen, dann hat man den Revolver an meinen After gehalten und es wurde ebenfalls gefeuert. Danach wurde es heiß.“ Damit hätten genügend Ansatzpunkte für das Bundesamt bestanden, wenigstens einige dieser Sachverhalte zu überprüfen.
Anstatt die politische Verfolgung und die erlittene Folter im Verlauf der Anhörung aufzuklären, begann die Entscheiderin des Bundesamtes mit einem unwürdigen theologischen Examen, das schließlich darin gipfelte, daß der Asylsuchende die Laudes (das Gotteslob) auf lateinisch vorsingen mußte.
Unter anderem wurden von der Entscheiderin abgefragt:
- Die Namen der zwölf Apostel,
- die Stämme des Volkes Israel,
- Hegels Dialektik,
- der Gottesbeweis des Heiligen Augustin,
- Kenntnisse über den Heiligen Eugen, Namenspatron der Gemeinde des Asylantragstellers.
Die offensichtlich dilettantische Übersetzung und die mangelnde Sachkenntnis der Entscheiderin führten dazu, daß die Fluchtgeschichte als unglaubwürdig betrachtet wurde. Aus Wissenslücken in der Theologie schließt das Bundesamt, daß der Flüchtling kein Priester sei und lehnt seinen Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ ab.
Nachdem das Bundesamt offensichtlich glaubte, einen falschen Priester entlarvt zu haben, wurden auch dessen Angaben zur erlittenen Folter ignoriert.
PRO ASYL hat über die Vermittlung eines Caritas-Mitarbeiters das katholische Missionswerk MISSIO eingeschaltet. Am Montag dieser Woche lag eine Bescheinigung von MISSIO vor, daß die genannte Person „in der Tat vom Berufsstand her Priester ist“. Er habe ein Lizentiat mit Auszeichnung in Moraltheologie in Kinshasa absolviert und sei der dortigen Hochschule bekannt.
PRO ASYL betrachtet den Vorgang als drastisches Beispiel für die Unzulänglichkeit des Flughafenverfahrens. „Eine Kombination aus Unsensibilität, eurozentrischer Arroganz und Dilettantismus, kombiniert mit dem Streß und der Hektik eines Eilverfahrens führen zu solchen Entscheidungen. Der Streß im Flughafenverfahren ist offensichtlich so groß, daß selbst ein echter Priester bei theologischen Fragen ins Schwimmen kommt und unklare Antworten gibt. Das Flughafenverfahren ist untauglich, um Zweifel und offene Fragen zu klären. Es muß nach der Bundestagswahl bei der anstehenden Neuregelung des Asylrechts ersatzlos abgeschafft werden“, forderte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.
Über den Fall hat jetzt das Verwaltungsgericht Frankfurt/Main zu entscheiden, das sich damit beschäftigen muß, ob der Asylantrag vor diesem Hintergrund noch als „offensichtlich unbegründet“ angesehen werden kann. Der Bevollmächtigte des Priesters: Ein Rechtsanwalt muslimischen Glaubens.
Zum Hintergrund:
Beispiele für die Qualität der Anhörung und Entscheidung des Bundesamtes
- Gefragt, welche Religionsphilosophen er kenne, antwortete der Asylantragsteller laut Protokoll: „Gabriell und Marselle“. Tatsächlich handelt es sich bei den im Protokoll offensichtlich falsch geschriebenen Namen um Gabriel Marcel, einen Existenzphilosophen und Theologen, der im Rahmen der Priesterausbildung insbesondere in den sechziger Jahren eine Rolle gespielt hat, laut Herbert Leuninger, Priester und langjähriger Sprecher von PRO ASYL, ein klares Indiz für eine theologische Ausbildung des Antragstellers.
- Ausweislich des Protokolls nennt der Asylantragsteller auf die entsprechende Frage elf von zwölf Apostelnamen. Durch die Übersetzung aus der Sprache Lingala entstand jedoch ein heilloses Durcheinander. Offensichtlich wurden zum Teil Namen direkt ins Deutsche übersetzt, zum Teil wurden französische Namen protokolliert, die der Übersetzer offensichtlich kannte, zum Teil wurden einfach falsche phonetische Transkriptionen vorgenommen. Das Bundesamt: Es spreche gegen die Annahme, daß es sich um einen Priester handele, daß es die genannten Apostel namens Peter (Pierre), Martin (Mathien) und Hans (Jacques) nicht gebe. Völlig absurd: Jacques ist nicht Hans sondern Jakobus, nach Peter/Petrus/Pierre ist der Petersdom in Rom benannt und Mathien/Mathieu heißt in der Übersetzung keinesfalls Martin sondern Matthäus.
- Weiter behauptet das Bundesamt, den Heiligen Eugen als Namensgeber einer Kirchengemeinde im Kongo gebe es nicht. Denn man habe in einem CD-Rom Lexikon keinen Bischof dieses Namens gefunden, der heilig gesprochen worden sei. Ein einfacher Blick in einen gängigen Heiligenkalender der katholischen Kirche beweist das Gegenteil: Der heilige Eugen war Bischof von Karthago. Daß der Übersetzer vermutlich die französische Ortsbezeichnung ‚Carthage‘ (Karthago) nicht kannte, zeigt sich im Protokoll, wo ohne jeden Zusammenhang von ‚Kathedrale‘ die Rede ist, wo es offensichtlich ‚Karthago‘ heißen sollte.
Wissenslücken und unklare Antworten führen die Entscheiderin des Bundesamtes ohne jeden Selbstzweifel zu dem Schluß: „Gerade das angeblich abgeschlossene Theologiestudium kann dem Antragsteller nicht geglaubt werden. Zu groß sind die Wissenslücken, als das dem Antragsteller sein diesbezüglicher Vortrag auch nur ansatzweise geglaubt werden kann.“
Ohne jede Kenntnis darüber, worauf in der Priesterausbildung in afrikanischen Staaten Wert gelegt wird, wird dem Asylantragsteller zur Last gelegt, als studiertem Theologen müßten ihm beispielsweise die Systematik der Schöpfungsgeschichte (in der Darstellung des Schriftenmissions-Verlags, Neukirchen-Vluyn, 1985) und die Namen der Stämme Israels bekannt sein.
Beim Thema des mittelalterlichen Gottesbeweises habe er den Philosophen Anselm von Canterbury „nicht einmal erwähnt“. Auch an anderer Stelle wird dem Asylantragsteller nicht vorgehalten, was er gesagt hat, sondern was er nicht gesagt hat: „So hat der Antragsteller es gänzlich verabsäumt, bei der Darstellung der Lehren von Augustinus darauf hinzuweisen, daß …“.
Weitere Kostprobe: Die spärlichen Kenntnisse des Antragstellers über Hegel und dessen Hauptwerk ‚Phänomenologie des Geistes‘, das der Antragsteller nicht einmal hätte benennen können, sprächen auch gegen eine philosophische Hochschulausbildung. „Soweit der Antragsteller zu Hegels Dialektik ausführt, daß These, Antithese zur Synthese führen, erklärt der Antragsteller nur das Grundprinzip der Dialektik, welches jedem einigermaßen gebildeten Menschen bekannt ist …“
Diese arrogante Haltung auf seiten des Bundesamtes zeigt sich auch an der abenteuerlichen Schlußlogik, mit der der von dem Antragsteller vorgelegte Kirchenausweis vom Tisch gefegt wird: „Außerdem ist in diesem Zusammenhang anzumerken, daß es sich bei dem Kirchenausweis des Antragstellers keineswegs um ein echtes Dokument handeln kann, da der Antragsteller wie bereits gezeigt, keineswegs ein Priester ist. Somit stützt der Antragsteller sein Asylverfahren auf gefälschte Beweismittel …“