Ein Jahr neues Asylrecht
FLÜCHTLINGE WEITGEHEND RECHTLOS
Gesetzesänderungen verlangt
Das neue Asylrecht hat den Flüchtling weitgehend rechtlos gemacht. Er kann nur noch „illegal“ die Grenze überschreiten und nur durch „illegales“ Verschweigen seines Fluchtweges ein Asylverfahren erreichen. In diesem Verfahren ist er völlig überfordert. Er wird nur noch mangelhaft auf seine Fluchtgründe hin angehört: Der Rechtsschutz wird durch kaum einzuhaltende Fristen für Anwälte und Gerichte ausgehebelt. Am Ende stehen entweder eine übereilte Abschiebung, die Abschiebehaft oder der Versuch, sich dem Zugriff der Behörden zu entziehen. Diese Personengruppe dürfte inzwischen bis zu einem Drittel der abgelehnten Asylbewerber ausmachen. Das neue Asylrecht hat die Zahl der „legalen“ Flüchtlinge vermindert, um die der „illegalen“ zu erhöhen. Die Fluchtursachen und die Fluchtbewegungen haben sich nicht verändert.
Es nützt dem inneren Frieden nicht, dieser Entwicklung tatenlos zuzusehen oder ihr durch die Militarisierung einer tief gestaffelten Grenzabwehr bzw. durch Kriminalisierung von Flüchtlingen zu begegnen. „Illegalität“ darf nicht der Flüchtlingsstatus der Zukunft sein. Daher fordert „Pro Asyl“ rechtliche Änderungen. Sie können durch den einfachen Gesetzgeber unterhalb einer Grundgesetzänderung erfolgen. In Europa wäre es das Signal für eine Harmonisierung des Asylrechts auf dem Niveau der Genfer Flüchtlingskonvention.
Die Forderungen sollen im Rahmen einer demnächst beginnenden Kampagne an die Parteien und an die BundestagskandidatInnen herangetragen werden. Sie beziehen sich hauptsächlich auf das Asylverfahrensgesetz und beschränken sich auf einige Bereiche. Wir halten sie für vereinbar mit dem veränderten Grundgesetz:
1. Die Drittstaatenregelung
Dem Ausländer ist die Einreise aus einem Drittstaat zu gestatten,
- wenn begründete Zweifel bestehen, daß der Flüchtling im Drittstaat Zugang zu einem an den Mindestgarantien der Genfer Flüchtlingskonvention gemessenen Asylverfahren hat oder
- wenn sich ein Mitglied der Kernfamilie bereits mit einem Aufenthaltsstatus oder geduldet in der Bundesrepublik aufhält.
- Diese Änderung geht davon aus, daß das Bundesverfassungsgericht die ausnahmslose Geltung der Drittstaatenregelung in Frage stellen dürfte.
Vor einer Abschiebung in einen sicheren Drittstaat hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zunächst zu prüfen, ob dem Ausländer außerhalb der Bundesrepublik Menschenrechtsverletzungen drohen.
- Diese Forderung ergibt sich aus der Ankündigung des Bundesverfassungsgerichtes im sogenannten Griechenlandfall, die Frage entsprechend prüfen zu wollen.
2. Die Anhörung
Der Ausländer darf frühestens am 7. Tag nach seiner förmlichen Antragstellung angehört werden.
Ihm ist bei der Antragstellung ein Merkblatt in der gewünschten Sprache auszuhändigen, auf dem detailliert auf die Notwendigkeit eines umfassenden und substantiierten Vortrags bei der Anhörung hingewiesen wird.
Dem Asylbewerber ist Gelegenheit zu schriftlicher Antragsbegründung zu geben, die von Amts wegen zu übersetzen und bei der Anhörung zu verwerten ist.
- Das Herzstück des Asylverfahrens ist die Anhörung. Deswegen muß bei seiner Gestaltung das größte Gewicht auf sorgfältige und möglichst erschöpfende, am Grundrecht auf Asyl und am Menschenrechtsschutz orientierte Aufklärung, gelegt werden.
- 1993 hat das Bundesamt über Asylanträge von 513.561 Personen entschieden. Soweit diese Entscheidungen (ca. 320.000) neu eingereiste Asylbewerber betrafen, wurden die Flüchtlinge spätestens am 4. Tag nach Antragstellung angehört.
- Die Anhörungsprotokolle und die Asylbescheide lassen das Urteil zu, daß in ungezählten Fällen die Antragsteller nicht ausreichend befragt wurden. Bei vielen Protokollen wird deutlich, daß voreingenommen und zu Lasten der Antragsteller gefragt und entschieden wurde. So wird z.B. bei Kurden aus der Türkei, wenn sie Folterungen angeben, weder nach Einzelheiten noch nach Folterspuren am Körper gefragt. Werden Aussagen bezweifelt, unterbleibt die Nachfrage nach Zeugen. Sind Zeugen benannt, werden sie so gut wie nie gehört.
- Im übrigen entsprechen die Forderungen den Verfahrens-Kriterien im einschlägigen Handbuch des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR).
3. Die Fristen
Die Ausreisefrist hat in jedem Fall mindestens einen Monat zu betragen und darf nicht mit der Rechtsmittelfrist zusammenfallen.
- Fallen beide Fristen zusammen, wird das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz von Gesetzes wegen vereitelt.
Die Frist für einen Stopantrag ist von einer auf mindestens zwei Wochen zu verlängern.
Ersatzlos sind alle den Richtern für ihre Entscheidung gesetzten Fristen zu streichen.
- Sie sind ein Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz. Viele Gerichte überschreiten die gesetzten Fristen um Wochen und Monate.
- Mangelhafte Vorbereitung auf die Anhörung und eine unzulängliche Anhörung führen zu fehlerhaften Bescheiden, vor allem wo „offensichtlich unbegründete“ Anträge abgelehnt werden. Dies betrifft 47 % aller Sachentscheidungen des Bundesamtes in 1993. Darunter sind Anträge von Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina, Afghanistan und der Türkei (Kurdistan). In diesen Fällen beträgt die Klagefrist eine Woche, die für den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ebenfalls eine Woche und die Frist für die Begründung eine Woche.
- Ein qualifizierter Anwalt kann – von Ausnahmen abgesehen – einem Flüchtling innerhalb dieses Zeitraums keinen Termin für eine gründliche Befragung mit einem Dolmetscher geben. Ein effektiver Rechtsschutz ist unter diesen Bedingungen nicht mehr möglich.
4. Die Flughafenregelung
Sie ist ersatzlos zu streichen.
- Die hier dem Bundesgrenzschutz, dem Bundesamt, dem Flüchtling, seinem Anwalt und den Richtern gesetzten Fristen, aber auch der besondere Internierungsstreß bei den Asylbewerbern sprechen gegen ein korrektes Verfahren.
5. Das Asylbewerberleistungsgesetz
Dieses Gesetz ist ersatzlos abzuschaffen.
- Sein Abschreckungseffekt ist mehr als bedenklich und zweifelhaft. Die Umstellung der gekürzten Sozialhilfe auf Sachkosten führt zu einer verminderten Versorgung der Flüchtlinge und zu einer Erhöhung des behördlichen Aufwands. Außerdem ist die unterschiedliche Behandlung von Flüchtlingen in den Einrichtungen mit großen Schwierigkeiten verbunden. Flugs streben die Innenminister an, das Gesetz auf alle Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge auszudehnen.
Die notwendigen Änderungen im Ausländergesetz, die auf eine vernünftige Altfallregelung, auf Abschiebestopps für gefährdete Flüchtlingsgruppen und auf die Möglichkeit humanitärer Einzelfallentscheidungen durch die Ausländerbehörde abheben, können hier nur angemeldet werden. Entsprechende Forderungen werden zu einem späteren Zeitpunkt erhoben.