Generic selectors
Nur exakte Ergenisse
Suchen in Titel
Suche in Inhalt
Post Type Selectors
HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV RADIO KURZPREDIGTEN 1967 ::: ARCHIV KIRCHE 1967 :::
Zuspruch am Morgen

Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 18. – 23. September 1967

RADIO KURZPREDIGTEN

Fanatiker


Savonarola, der große Prediger von Florenz, übte eine erstaunliche Macht auf seine Zuhörer aus. Es heißt von der Wirkung seiner Predigten: „Viele Frauen und mitunter Männer wurden während seiner Predigten von Weinkrämpfen befallen, andere wiederum blieben stumm, bewegungslos, wie erstarrt von Entsetzen“. Fanatische Menschen – und dazu wird der mittelalterliche Dominikaner bei allem Respekt vor seiner Persönlichkeit gezählt – faszinieren uns immer wieder. Das hat sich erst in jüngster Zeit wieder gezeigt. Fanatiker sind beherrscht von einer einzigen Idee. Sie entwickeln diese in klaren Beweisgängen und sind kompromisslos in ihren Folgerungen. Heimlich wünschen wir uns, auch so zu sein. Wir wären dann nicht so inkonsequente, (durchschnittliche) Alltagsmenschen.

Uns ruft Nietzsche zu: „Oh, daß dir doch der Kamm schwölle, oh, daß du doch Überzeugungen hättest!“ Der Kamm schwillt uns schon, aber bei unwichtigen Gelegenheiten, bei kleinen Ärgerlichkeiten. So bleibt nichts verständlicher, als wenn wir uns ausliefern an die großen, überzeugenden Gestalten, die sich unter uns erheben und uns bei weitem überragen.

Manchmal kommt es sogar so weit, daß diese Kompromißlosigkeit mit der Leidenschaftlichkeit Christi gleichgesetzt wird. Auch dafür gibt es gegenwartsnahe Belege. Aber bleiben wir bei Savonarola. Seine Gestalt ist bereits Geschichte. Er hat sich ausdrücklich mit Christus gleichgesetzt. In einer seiner Predigten steigert er sich bis zu dem Ausruf: „Wenn ich lüge, so lügt auch Christus!“

Von Christus haben wir das Wort: „Meine Speise ist es, den Willen meines Vaters zu tun.“ Es gibt also eine Idee, die sein ganzes Leben beherrscht, der Gehorsam gegenüber dem Vater. Davon gibt es kein Abweichen nach rechts oder links. Es werden von ihm auch Gemütserregungen berichtet. Leidenschaftlichkeit, wie wir sie von Christus kennen, und Fanatismus sind aber zwei verschiedene Dinge. Leidenschaft ist etwas Edles, wo sie fehlt, da versinkt der Mensch in eine flache und spießerische Haltung. Er wagt nichts mehr, ist ohne Überzeugung, ohne Kraft und Schwung. Der leiden-schaftliche Mensch hat mit dem Fanatiker gemein – auch deswegen kann man sie so leicht verwechseln – daß beide nach dem Höchsten und Letzten streben. Daher darf es nicht verwundern, wenn wir gerade im religiösen Bereich sowohl den leidenschaftlichen Menschen als auch den fanatischen kennen. Beide sind Ausnahmemenschen. Aber irgendwo liegt ein großer Unterschied, und es ist wichtig, ihn zu kennen oder wenigstens zu ahnen.

Wo aber liegt der Unterschied? Er zeigt sich in den Augenblicken, in denen der fanatische Weltverbesserer, Reformer oder Revolutionär in höchste Erregung gerät. Dann legt er die Tiefenschichten seiner Seele bloß. An drei aufeinander folgenden Sonntagen hat Savonarola z.B. gegen seinen großen Feind gewettert: „Schlagt ihm den Kopf ab (…)!“ Ein anderer Rebell in Christo wollte „keinen Menschen auf dieser Erde verschonen, der dem Worte Gottes widersteht.“ Hier sehen wir die Grenze, die echte Leidenschaft von ungutem Fanatismus trennt. Oft geht diese Grenze durch ein und denselben Menschen. Wer zu Terror, Zwang und Gewalttaten, wer zur Ausrottung seiner Gegner aufruft, hat diese Grenze eindeutig überschritten. Seine Offensive gegen das Böse ist gepaart mit Haßgefühlen und das Gefährliche ist, daß diese Haßgefühle sich leicht übertragen auf die Masse. Wehe denen, die Objekte dieses Hasses sind, seien es die Juden, die Ketzer, die Kommunisten, die Amerikaner, die satten Bürger (…), die Reihe läßt sich beliebig fortsetzen, Mißtrauen wir den Fanatikern, den frommen nicht weniger als den politischen.


Nach oben