Salvatore Pittà
EU-Aktionsplan Marokko
Wie sich Europa Undokumentierter und Staatenloser entledigt
Arbeitsgruppe
Kohärenz von Innen- und Außenpolitik
– Aktionspläne –
RESSOURCEN
siehe auch: Asylpolitik in der EU – Tagung 1. – 3. September 2000 in der Evangelischen Akademie Arnoldshein
1. Einführung
Mailand, den 1. Juni 2000. Ein irakischer Fluechtling wird von der Flughafenpolizei abgefangen, bevor er EU-Boden betreten kann. Er moechte zu seinem Bruder nach Deutschland und sieht sich vorerst gezwungen, in Italien um politisches Asyl nachzusuchen. Er behauptet, aus Marokko eingeflogen zu sein. In derselben Stunde wird er nach Rabat geschickt und soll dort Asyl bekommen. Marokko unterhält jedoch freundschaftliche Beziehungen mit der Regierung Hussein und weigert sich, den Asylsuchenden aufzunehmen. Seit drei Monaten sitzt nun der irakische Fluechtling in Rabats Flughafen fest. Was im Oktober 1999 unter dem Titel ‘Freiheit, Sicherheit und Recht’ von den EU-Innenminister verkauft wurde, die Aktionsplaene der Hochrangigen Gruppe Migration, ist in Marokko schon heute Tatsache. Ziel war es, das Land in die Fluechtlingsabwehr der EU einzubinden, laut SPD-Bundesministerin Wieczorek-Zeuls „unter Wahrung der Menschenrechte“. Ersteres gelang offensichtlich. Zweiteres – offensichtlich nicht.
2. Marokko ist kein Einwanderungsland
Allein im laufenden Jahr wurden im Lande sieben Zeitungsausgaben verboten, Folter wird in gewissen Gefaegnissen noch immer praktiziert, friedliche Demonstrationen meist mit rueder Gewalt niedergeknüppelt, Gewerkschaftsfunktionäre und Menschenrechts-AktivistInnen juristisch verfolgt und/oder ihresPasses beraubt, Parteien verboten oder schlichtwegs nicht eingetragen. Vereinzelt verschwinden noch immer Menschen. Die geltende Verfassung verleiht dem König weiterhin absolute Macht, laut Artikel 19 darf Seine Majestät nicht ‘mal oeffentlich kritisiert werden. Nichtsdestotrotz behauptet der EU-Aktionsplan: „Morocco (…) has not in the recent past been a country of origin of asylum seekers“.
Recht hat die Hochrangige Gruppe Migration mit ihrer Behauptung, „Morocco is primarily a country of origin of economic migrants“. Über 10% marokkanischer Staatsangehöriger, in etwa drei Millionen, leben derzeit im Ausland. 1,6 Mio. haben in Europa einen rechtmässigen Aufenthaltsstatus errungen, die meisten in Frankreich, Spanien, Belgium, Holland, Italien und Deutschland. In Marokko selbst sind knapp ein Drittel der Bevölkerung unter 35 Jahren arbeitslos, 13% aller in Marokko Wohnhaften leben unter dem Existenzminimum, 55% sind AnalphabetInnen, die meisten davon Frauen, vorab aus ländlichen Gebieten.
Neueren Datums ist die im Aktionsplan stark gewichtete Transitfunktion Marokkos: „It is, however, a major country of transit of migrants, mostly asylum seekers, from Algeria and the Subsaharian region“. Die Hohen EU-Migrationstechnokraten zählen 1998 lediglich 3500 Personen dieser Kategorie in Spanien. Sie dürften weit mehr sein, unter den knapp 1 Mio. Menschen, die Spanien alleine 1999 an ihren Küsten und Enklaven abgewiesen hat. Tatsächlich: Angefangen von der an Algerien grenzenden Stadt Oujda über Nador, Al Hoceima, Tetouan, Tánger, an den Toren der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla, aber auch der atlantischen Kueste entlang in Asilah, Larrache, in Rabat und Casablanca befinden sich Menschen, die bereit sind, auf eine Patera de la muerte oder unter einem nach Spanien reisenden Lastwagen ihr Leben zu riskieren, um ihrem Elend, Tod und Folter zu entkommen.
3. Entrechtung in Europa
Dabei unterscheidet sich die Situation Emigrierter in Europa weitgehend von den neusten Automodellen, die diese in ihren Augustferien den Familienangehörigen stolz vorführen. Krassestes Beispiel des heutigen Rassismus in Europa ist El Ejido, ein spanisches Vorort von Almeria, das in den letzten zwanzig Jahren einen unglaublichen Boom erlebt hat und heute zum Hauptlieferanten Europas von Wintergemüse avanciert ist. Seit dem Pogrom von anfangs Februar 2000 getrauen sich die Menschen dort am Wochenende kaum auf die Strasse. Sie werden in den Bars nicht mehr bedient, haben jedoch auch kein Geld mehr, um es dort auszugeben: Deren Lohn sank im letzten Halbjahr von umgerechnet 50 auf gut 30 DM pro Tag. Ihre Häuser wurden bisher nicht repariert, so leben viele in Kartonschachteln und Wellpappe. Ihre medizinische Versorgung ist vielmals nicht gewährleistet. Wer ihnen hilft, läuft selbst Gefahr, Ziel der „Caza al hombre“, der Menschenjagd zu werden. Die künstlich eingeführte Unterscheidung zwischen Legale und Illegale spielt in El Ejido dabei kaum eine Rolle. Mittlerweile haben die meisten europaeischen Staaten neue Ausländergesetze eingeführt, die die Hürden zur Legalität derart hoch angesetzt haben, dass alle Nicht-EU-Arbeitende erpressbar geworden sind. „Passt Dir die Arbeit nicht, wirst Du gefeuert und verlierst ergo Deine Aufenthaltsbewilligung“, ist die einfache Rechnung der europäischen Machthabenden. Internierungslager schiessen wie Pilze aus dem Boden. Abschiebungen stehen auf der Tagesordnung. Um zu verhindern, dass Menschen ihre Familien nachziehen, erarbeitet Europa neue Temporärarbeitsvertraege. Spanien und Marokko stehen vor dem Abschluss einer solchen Vereinbarung. In Portugal verhindern bereits Jahresaufenthaltsbewilligungen mit einer maximalen Wiederholung bis zu fünf Jahren, dass das Land gegen verschiedene Internationale Abkommen verstösst. Die Schweiz war hier richtungsgebend und handelte sich die Kritik der UN-Rassismuskommission ein. Mit juristischen Tricks konnte scheinbar die Situation entschärft werden: zuungunsten der Menschen mit Migrationserfahrung.
4. Einbindung Marokkos in die EU-Fluechtlingsabwehr
Bereits 1993 stellten die EU-Migrationsminister in Kopenhagen die Kontaktnahme Marokkos in Sachen Migration in Aussicht. 1995 wurde das Land in das sogenannte Barcelona-Prozess eingebunden, ein Pendant zum hier weit bekannteren Budapester-Prozess. Am 26. Februar 1996 beteiligte sich das Land am daraus resultierenden Euromediterranen Kooperationsabkommen, das seit dem 1. Maerz 2000 in Kraft getreten ist und den Freihandel zwischen 27 Staaten rund um den Mittelmeer ab 2012 vorsieht. Dank weiteren vierzig bilateralen Abkommen, so mit Italien, Frankreich, Spanien und der Schweiz, wurde das Land ökonomisch gefügig gemacht. Am 3. Februar 2000 unterzeichnete schliesslich König Mohammed VI das sogenannte Suva-Abkommen, das das frühere Lomé-IV-Abkommen zwischen der EU und 71 Staaten aus dem Afrikanisch-Karibisch-Pazifischen Raum umfasst. Neben einer grosszügigen Finanzhilfe Europas an diese sog. AKP-Staaten von 13,5 Mia. Euro enthält besagtes Suva-Abkommen einen Artikel, den sich hier zu zitieren lohnt:
„At the request of a Party, negotiations shall be initiated with ACP States aiming at concluding in good faith and with due regard for the relevant rules of international law, bilateral agreements governing specific obligations for the readmission and return of their nationals. These agreements shall also cover, if deemed necessary by any of the Parties, arrangements for the readmission of third country nationals and stateless persons…“
Offensichtlich an diesem Artikel 13.5.c. ist der erklärte Wille Europas, sich der Undokumentierten und Staatenlosen zu entledigen, indem diese denjenigen Länder zugeschoben werden sollen, die sie vor ihrer Einreise in EU-Gebiet durchstreift haben. Der eingangs zitierte Fall beweist, dass es der EU dabei äusserst eilig ist: Bereits am 1. Juni existiert ein in Artikel 13.5.c. noch hypothetisches Abkommen. Doch Marokko weigert sich in der Praxis meistens anzuerkennen, dass Aufgegriffene durch sein Territorium reisten. Der spanische Regierungsabgeordnete in Andalusien, José Torres Hurtados, schildert am Rande eines Symposiums in Almeria, wo er diese Aussage machte, das „glücklichere“ Schicksal von 193 in der Nähe von Cadiz Mitte Juli aufgegriffenen illegal Eingereisten: 121 davon wurden umgehend in Ceuta eingeknastet.