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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV RADIO KURZPREDIGTEN 1967 ::: ARCHIV KIRCHE 1967 :::
Zuspruch am Morgen

Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 2. – 7. Januar 1967

RADIO KURZPREDIGTEN

Ergriffensein


Seit geraumer Zeit beschäftigen sich Zeitungen und Zeitschriften mit einem Rauschmittel, das in der Schweiz produziert, in den USA propagiert und in der ganzen Welt probiert wird. Geringe Mengen genügen, um einen Menschen in einen außerordentlichen seelischen Zustand zu versetzen. Zuerst wird er gezwungen, sein Ich unter größten seelischen Schmerzen aufzugeben; schließlich aber gelangt er in einen unbeschreiblichen Glückstaumel. Ein Atheist spricht sogar davon, er habe auf geradezu religiöse Weise den persönlichen Tod und die Wiedergeburt erfahren. Andere wiederum geben an, ihr Leben habe sich durch diese alle bisherigen Vorstellungen übersteigende Erfahrung entschieden gebessert. Der Verfasser eines Artikels zieht sogar in diesem Zusammenhang eine Parallele zum Pfingstereignis.

Es gibt aber auch die andere Seite: Ärzte berichten von den verheerenden Folgen, die über bleibende seelische Erkrankungen schließlich zum Wahnsinn führen. Ein Journalist, der das gerade unter Studenten verbreitete Phänomen studieren wollte, und dem heimlich eine Dosis des besagten Mittels in den Wein geschüttet worden war, warnt die jungen Menschen eindringlich davor, indem er behauptet, es gehe hier um etwas, was ganz und gar unsauber, ja des Teufels sei.

Gar keine Frage, der Wunsch und die Sehnsucht, den normalen Alltag wenigstens gelegentlich hinter sich zu lassen und das Leben in seiner rätselhaften Tiefe zu erfahren, ist auch in unseren Tagen unausrottbar. Ganz deutlich ist das bei Jugendlichen spürbar, die auf ihre Weise versuchen, sich dieses Erlebnis zu verschaffen, allerdings mit Mitteln, die wie etwa ekstatisches Tanzen, zu oberflächlich, oder im Falle von Rauschgift zu verheerend wirken.

Durch die Hintertüre und mit negativen Vorzeichen sucht sich wieder etwas in unserem Leben Bahn zu brechen, das wir vermeinten entbehren zu können und das sich mit dem Wort Mystik umschreiben läßt. Wenn Sie dieses Wort hören, denken Sie unter Umständen gleich an sonderbare Ereignisse, die dem Mittelalter zugewiesen werden. Sie denken vielleicht an Visionen, Verzückungen, an himmlische Stimmen, die vernommen werden, oder ähnliches. Solches ist aber bei uns ziemlich in Mißkredit geraten und gerät noch mehr in Mißkredit, wenn es im Zusammenhang mit Drogen auftritt.

Diese Nebenerscheinungen machen aber das Wesen der Mystik nicht aus. Sie bietet dem Menschen Tieferes: Erleuchtung, Einsicht, Ergriffenheit, Einblicke in die letzten Wahrheiten. Das hätte unsere rationalistische Zeit bitter nötig. Ideen werden genug verzapft, Theorien in Überfülle aufgestellt, es fehlen aber die Menschen, die aus der Tiefe des Menschlichen heraus leben und uns ein Weniges davon vermitteln können. Nennen wir sie Seher, Propheten, Weise, und zählen wir die Dichter, die Künstler und die Heiligen dazu.

Aber vielleicht fehlen sie uns überhaupt nicht? Sie gibt es, nur wir hören sie nicht, wollen sie nicht hören und nehmen stattdessen Pillen und Pülverchen.


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