HINTERGRUND
Gastkommentar
Eine Mauer um Deutschland?
Eine überlebte Diskussion ist wieder aufgebrochen. Es geht um eine Grundsatzfrage. Was ist die Bundesrepublik. Ein geschlossener oder ein offener Nationalstaat?
Ausgelöst wurde diese Diskussion durch den vorzeitig in die Öffentlichkeit gelangten Gesetzentwurf von Bundesinnenminister Zimmermann zum neuen Ausländerrecht. Das heißt, es geht um zwei Gesetze: ein Integrationsgesetz für bereits länger hier lebende Arbeitsemigranten und ihre Familien und ein Aufenthaltsgesetz für Ausländer, die künftig in die Bundesrepublik kommen. Die Fülle der neuen Vorschläge ist verwirrend, umso klarer ist die Konzeption, die dahinter steht, die Staatsphilosophie gewissermaßen: Es ist die eines Nationalstaates des vergangenen Jahrhunderts, der sich als völkische Gemeinschaft versteht und sich gegen die Fremden abzuschließen versucht.
Natürlich weiß der Innenminister, daß die Bundesrepublik längst nicht mehr der Staat ist, den sich stramme Deutsche wünschen. Die Bundesrepublik ist Mitglied der Europäischen Gemeinschaft. Damit besteht Freizügigkeit über alle Grenzen. Außerdem hat die Anwerbung von Arbeitnehmern aus dem Mittelmeerraum zu einer dauernden Einwanderung Hunderttausender von Familien geführt. Sie sollen – im Sinne einer Schadensbegrenzung aber auch nicht alle – hierbleiben dürfen beziehungsweise das Recht auf Familienzusammenführung behalten. Schließlich sind es die Flüchtlinge aus Osteuropa und immer mehr aus der sogenannten Dritten Welt, denen das Grundgesetz ein Bleiberecht einräumt. Ängstlichen Gemütern geht das alles schon zu weit. Für Zimmermann ist die Bundesrepublik an der Grenze ihrer Aufnahmefähigkeit angelangt.
Deswegen soll die Einwanderung aller anderen Ausländer rigoros verhindert werden. Wer jetzt über den genannten Personenkreis hinaus überhaupt noch kommen darf, muß wissen, daß er auf keinen Fall auf Dauer in der Bundesrepublik bleiben kann, es sei denn, die Bundesrepublik habe ein ganz besonderes Interesse an seiner Aufnahme (das gilt vielleicht noch für Wissenschaftler oder berühmte Künstler).
Herbert Leuninger (Hofheim) ist katholischer Pfarrer und Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft „Pro Asyl“.
(Foto: Reinhardt)
Abwehr von Ausländern
Bei der Abwehr von Ausländern geht es nach Zimmermanns Entwurf im Kern um das Selbstverständnis der Bundesrepublik als eines deutschen Staates. Danach würde eine fortlaufende Zuwanderung von Ausländern die Bundesrepublik tiefgreifend verändern. „Sie bedeutete den Verzicht auf die Homogenität (Gleichartigkeit) der Gesellschaft. Die gemeinsame deutsche Geschichte, Tradition, Sprache und Kultur verlören ihre einigende und prägende Kraft.“ Die Bundesrepublik würde sich zu einem multi-kulturellen Gemeinwesen entwickeln. Und das ist für Zimmermann offensichtlich eine Horror-Vision.
Seine Konsequenz: Abschottung der Bundesrepublik, so weit noch irgend möglich. Das trifft Studenten aus Entwicklungsländern, junge Ausländer, die einen nichtdeutschen Ehepartner in der Bundesrepublik haben oder heiraten wollen, Arbeitnehmer, die vielleicht in Kürze wieder angeworben werden müssen, aber dann ohne Familie – nur auf Zeit kommen dürfen. Es trifft vor allem Flüchtlinge, die nach den immer strenger gewordenen Maßstäben nicht mehr als politisch verfolgt anerkannt werden. Soweit sie nicht – auch in Krisengebiete – abgeschoben werden, gelten sie zuerst nur als geduldet, dann wird ihnen der weitere Aufenthalt gestattet. Sollten sie nach anderthalb Jahrzehnten immer noch in der Bundesrepublik sein, kann ihnen die Ausländerbehörde die höchste Stufe der Aufenthaltssicherung für Fremde gewähren, nämlich die Aufenthaltsberechtigung.
Nationalstaat von „Anno dazumal“
Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie sich der Nationalstaat von „Anno dazumal“ im Jahre 2.000 gegen die „Überfremdung“ wehren will. Dabei ist die Bundesrepublik längst ein multikultureller Staat, wobei die größten Veränderungen sicher auf den Einfluß der USA zurückzuführen sind. Die deutsche Sprache hat schätzungsweise 30.000 englische Wörter übernommen, während wir außer „Kebab“ kaum ein türkisches Wort kennen. Die internationalen Wirtschaftsbeziehungen, der weltweite Informationsaustausch, die kulturellen, geistigen und wissenschaftlichen Entwicklungen, das unübersehbare Angebot an Konsumartikeln aus allen Kontinenten, die Reiselust der Deutschen verändern unsere Kultur nachhaltiger und einschneidender, als das Menschen, die als Arbeiter, Studenten oder Flüchtlinge zu uns kommen, je vermögen.
Wer also ernsthaft die deutsche Geschichte, Tradition, Sprache und Kultur vor „Überfremdung“ bewahren will, muß die Fernmeldesatelliten abschießen, die Wirtschaftsbeziehungen zur Welt abbrechen, die Deutschen an die Kette legen und um die Bundesrepublik eine Mauer ziehen.
Das will natürlich niemand, auch der Bundesinnenminister nicht. Die Diskussion, in die sich neben den Parteien auch Kirchen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände im Sinne größerer Rechte für die Ausländer eingeschaltet haben, ist im vollen Gange. Es genügt dabei nicht, Zimmermann zu bremsen. Ein ganz anderes Konzept muß her: das eines offenen Nationalstaates, etwa im Sinne der Vorschläge des Arbeitnehmerflügels der CDU, der sich für Partnerschaft statt „Gefahrenabwehr“ und ein uneingeschränktes Nachzugsrecht für minderjährige Kinder von Ausländern ausspricht – eine bewußt christliche Perspektive.
Herbert Leuninger
Gastkommentar veröffentlicht in: evangelische information Nr. 27, 20. Jahrgang – epd WOCHENSPIEGEL vom 7.7.1998