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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV RADIO KURZPREDIGTEN 1968 ::: ARCHIV KIRCHE 1968 :::
Zuspruch am Morgen

Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 19. – 24. Februar 1968

RADIO KURZPREDIGTEN

Eine Kirche ohne Dach


Daß ein Architekt bei der Planung eines Hauses den Schornstein vergißt, soll hin und wieder vorkommen, daß aber ein Baumeister eine Kirche ohne Dach konstruiert, dürfte einmalig sein. Es gibt diese Kirche; sie ist 33 Meter breit und 70 Meter lang und steht in Amerika. Als weitere Besonderheit fehlt der Kirche eine Bestuhlung. Statt des Kirchengestühles befinden sich im Kirchenschiff Buschwerk und Bäume. Fragen wir nach dem Grund für diese ungewöhnliche Kirchenanlage, so erfahren wir von der französischen Schriftstellerin George Sand, deren Idee diese dachlose Kirche ist: „Nur ein Dach, der Himmel ist weit genug, um die ganze Menschheit im Gottesdienst zu umfassen.“

Da der Blick in dieser Kirche immer wieder unwillkürlich zum Himmel gelenkt wird, dürfte es nicht schwer halten, sich diesen Gedanken zu öffnen. Bei dem Entwurf der Kirche hat also nicht die krankhafte Sucht nach Niedagewesenem Pate gestanden, sondern eine große Idee. Mit ihr soll das Allumfassende des Gottesdienstes, der keine Rasse, Kultur oder Epoche ausschließt, sinnenfällig werden. Sonderlich brauchbar im strengen Sinn wird diese Kirche schon aus klimatischen Gründen nicht sein. Aber das darf einmal außer Acht gelassen werden.

In den vergangenen Jahren sind im Gegensatz zu früher sehr viele Kirchen gebaut worden; dabei wurde manch interessante Idee verwirklicht. Aber vielleicht harrt noch eine Idee der Verwirklichung, die selbst jene der dachlosen Kirche übertrifft: die Idee nämlich, keine Kirchen mehr zu bauen und das nicht deswegen, weil keine Räume für den Gottesdienst benötigt würden, sondern weil die üblichen Kirchenbauten, die hochmodernen miteinbegriffen, den künftigen Gottesdienst um vieles mehr behindern als fördern könnten.

Was hier gemeint ist, zeigte sich anläßlich eines evangelisch/katholischen Jugendgottesdienstes, der nach Form und Inhalt ausgesprochen unkonventionell war. Er fand in dem schlichten Raum einer evangelischen Kirche statt. Bei den heftigen Diskussionen, die diese Veranstaltung auslöste, sprach man auf katholischer und evangelischer Seite davon, daß der Gottesdienst für eine Kirche unangemessen gewesen sei, falls man überhaupt noch von einem Gottesdienst reden wolle. Danach ergeben sich durch einen Kirchenraum bestimmte Forderungen und Gesetze, die den Rahmen abstecken für das, was in ihm statthaft ist.

In langen Jahrhunderten hat sich herausgebildet, daß der Raum der Kirche ein besonderes Gepräge haben muß, wodurch er sich von allen anderen Räumen unterscheidet. So kann es kommen, daß ein Kirchenraum maßgeblichen Einfluß gewinnt auf die in ihm gehaltenen Gottesdienste. Wird dieser Einfluß zu einem Zwang, dann werden Gottesdienste, die diesem Zwang nicht folgen wollen, andere Räume suchen müssen. Der angemessenste Raum für den besagten Jugendgottesdienst wäre irgendein Saal gewesen. Das mag vorläufig nur eine Ausnahme sein, könnte für die Zukunft aber selbstverständlich werden, zumal der Drang nach einem weltzugewandten Gottesdienst sehr groß ist.

Keine Kirche mehr zu bauen, ist die Absicht eines jungen Pfarrers, der ein neues Gemeindezentrum errichten möchte. Er denkt an einen Versammlungsraum, der nicht nur dem Gottesdienst vorbehalten sein sollte. Hoffentlich haben alle zuständigen Stellen und seine Gemeinde Verständnis für diesen Plan.


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