Budapest oder Barcelona?
Die Rolle der Europäischen Union als Wohlstandsinsel
(mit Folien)
Die Europäische Union betrachtet sich als prosperierende Weltregion, die auf unabsehbare Zeit Ziel grosser Wanderungsbewegungen ist. Dabei spielt der Unterschied zwischen Arbeitsmigranten und Flüchtlingen keine Rolle. Beider Gruppen Kommen gilt als politisch und wirtschaftlich unerwünscht. Es soll mit allen Mitteln verhindert werden. Dafür gibt es bislang zwei Strategien. Sie werden – wohl um die Längerfristigkeit wie auch die Flexibilität des Vorgehens zu betonen – als „Prozesse“ bezeichnet.
Der Budapester Prozess
„Die Staaten Südosteuropas sowie die Staaten auf den Routen der Wanderungsströme über Südosteuropa gehen von dem bewährten Grundsatz aus, dass Gefahren und Risiken besonders erfolgversprechend beim Versuch des ersten Eindringens in die Region mit massierten Kräften und im weiteren Verlauf durch nacheinander gestaffelte Sicherungslinien im Rahmen eines abgestimmten Vorgehens abgewehrt werden können“ (Anlage „Sonderkonferenz im Rahmen des Budapester Kongresses über illegale Wanderung durch Südosteuropa, Budapest, 29./30.Juni 1998“ zur Pressemitteilung des Bundesministeriums des Innern vom 30. Juni 1998, Bonn/Budapest, S.3).
Der Barcelona-Prozess
Von einem anderen Ansatz ist der „Barcelona-Prozess“ bestimmt, der 1995 die EU und die Anrainerstaaten des Mittelmeers in der Hauptstadt Kataloniens zusammenführte. Es geht um eine Zusammenarbeit, die sich zum einen auf die nordafrikanischen Maghreb-Länder (Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen) sowie den Raum des arabischen Mashrek (Ägypten, Jordanien, Libanon und Syrien), zum anderen auf Israel, die Türkei, Malta und Zypern bezieht. Diese Länder sollen langfristig (bis zum Jahr 2010) mit der erweiterten EU und den Ländern Mittelosteuropas (soweit sie bis dahin nicht bereits selbst Mitglieder der EU sind) zur „größten Freihandelszone der Welt“ zusammenwachsen. Es wäre ein Binnenmarkt mit 600-800 Millionen Einwohnern in 30-40 Ländern.
Sie enthalten die politische und sicherheitspolitische Partnerschaft, die Wirtschafts- und Finanzpartnerschaft sowie eine Partnerschaft im sozialen, kulturellen und menschlichen Bereich.
Im politischen und sicherheitspolitischen Bereich wird ein regelmäßiger politischer Dialog geführt mit dem Ziel der schrittweisen Errichtung eines Friedens-, Stabilitäts- und Sicherheitsraums. Dabei werden geeignete Mittel und Methoden zur Umsetzung der Grundsätze der Erklärung von Barcelona (Friedliche Streitbeilegung, Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Rüstungskontrolle einschließlich vertrauens- und sicherheitsbildender Maßnahmen, Zusammenarbeit bei Bekämpfung von Terrorismus, Förderung von Demokratie und Rechtsstaat, Achtung der Menschenrechte) geprüft. Das Schwergewicht der Arbeit liegt bei einem Katalog vertrauensbildender Maßnahmen und dem Projekt einer „Charta für Frieden und Stabilität im Mittelmeerraum“.
Kern der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist die schrittweise Errichtung einer Freihandelszone. Für die erforderlichen Strukturanpassungen ist die finanzielle Unterstützung der EU aufgestockt worden und beläuft sich für den Zeitraum 1995-1999 auf ca. 10 Mrd. DM. Hinzukommen noch EIB-Darlehen. Ob diese finanziellen Hilfen aber ausreichen, oder aber das 10-fache dem wirklichen Bedarf gegenüber angemessener wäre, bleibt offen.
Im dritten Korb, der Partnerschaft im sozialen, kulturellen und menschlichen Bereich, stehen im Vordergrund die Förderung eines besseren Verständnisses zwischen den Kulturen und Religionen, die Anerkennung grundlegender sozialer Rechte, die Anerkennung und Förderung der Zusammenarbeit nicht-staatlicher und autonomer gesellschaftlicher Gruppierungen („Zivilgesellschaft“), Migrationsfragen und die Bekämpfung der organisierten Kriminalität (vgl. Presserklärung des Auswärtigen Amtes, EU-Mittelmeerpolitik/Barcelona-Prozess, homepage http://www.auswaertiges-amt.de/4_europa/7/4-7-1a.htm).
Veranstaltungskalender
Aus dem Brüsseler Veranstaltungskalender wird deutlich, wie vielseitig die Ebenen und Bereiche sind, in denen eine Zusammenarbeit angestrebt oder intensiviert wird. Er umfasst nicht nur Ministertreffen, sondern auch die Zusammenkünfte von Beamten verschiedener Ebenen und Ressorts. Dazu zählen Zusammenkünfte eines gemeinsamen Komitees für den Barcelona-Prozess, das Treffen von Spitzenbeamten, die für Politik und Sicherheitsfragen zuständig sind, ein Seminar für Teilnehmer mit militärpolitischer Verantwortung über den militärischen Einsatz bei humanitären Aufgaben, das Treffen eines Lenkungsausschusses für das Projekt zur Verhinderung von Natur- und Humankatastrophen, eine Konferenz der Institute für Verteidigungsfragen, ein Workshop für Beamte über den Dialog der Kulturen wie auch das Seminar zur besseren Nutzung des Internet.
Des weiteren gibt es die Euro-Mediterrane-Konferenz über Finanzmärkte, die Konferenz der Energie-Minister, einen Workshop für die schrittweise Einrichtung eines Netzwerks für technologische Innovation, eine Folgekonferenz der Arbeitsgruppe der Industrie-Minister zur Entwicklung der Industrie- und Unternehmensstrukturen, der einer weiteren Arbeitsgruppe zu Rechts- und Verwaltungsstrukturen, eine Euro-Mediterrane-Konferenz zur Beteiligung von Frauen am wirtschaftlichen und sozialen Leben oder ein Forum über die Informationsgesellschaft.
Schließlich enthält der Veranstaltungskalender des Barcelona-Prozesses einen Workshop über den Dialog der Kulturen und Zivilisationen, Expertentreffen über Migration in der Euro-Mediterranen Region und ein Trainingsseminar zur polizeilichen Zusammenarbeit,
Das Brüsseler Programm sieht vor, dass sich die Präsidenten der Parlamente des Euro-Mediterranen Raums treffen, es ist ein Parlamentarisches Forum geplant, außerdem gibt es eine Konferenz zur parlamentarischen Zusammenarbeit (vgl. European Commission, Calendar of priority actions in the Barcelona process, 16/09/1997)
Mit dieser Aufzählung, die nur die Veranstaltungen der 2. Jahreshälfte von 1998 benennt, wird der umfassende Ansatz des Barcelona-Prozesses einigermaßen deutlich. Es ist ein Stil der Zusammenarbeit, der über die üblichen Modelle zwischenstaatlicher und internationaler Kooperation hinausgeht. Er verlässt in einem gewissen Sinn auch das Schema, wie es sich in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit herausgebildet hat, nämlich das der Geber- und der Nehmerstrukturen.
Erinnerung an KSZE
Der Ansatz erinnert an die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) von Helsinki und Genf, natürlich auch an die Kooperation der auf der KSZE basierenden Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die Schlussakte von Helsinki (1975) war von dem Versuch bestimmt, ein neues Klima der Zusammenarbeit und des Vertrauens zwischen Ost und West zu schaffen. Hier werden die Themen gesetzt, die auch für den Barcelona-Prozess bestimmend sind: u.a. die Zusammenarbeit zwischen den Staaten, vor allem in den Bereichen der Wirtschaft, Wissenschaft, Technik und Umwelt, der Austausch im Bereich der Kultur, die Betonung der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, vertrauensbildende Maßnahmen zu Sicherheit und Abrüstung, und nicht zuletzt die Festlegung auf friedliche Regelungen von Streitfällen (vgl. Volle, Hermann u. Wagner, Wolfgang, Hrsg., KSZE Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Bonn, 1976, S. 237ff.).
Ausdrücklich wird von der KSZE auch die Migration behandelt und dabei betont, dass die „Wanderbewegungen von Arbeitskräften in Europa einen bedeutenden Umfang angenommen haben und dass sie einen wichtigen wirtschaftlichen, sozialen und menschlichen Faktor sowohl in den Aufnahme- als auch in den Herkunftsländern darstellen“. Noch stehen im Vordergrund die Bemühungen für „einen geordneten Ablauf der Wanderbewegung“, aber auch die zu fördernden Bemühungen der Herkunftsländer, „im eigenen Lande erweiterte Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen“ (a.a.O., S. 264). Das übergeordnete Ziel von Helsinki ist durch den ideologischen Konflikt zwischen Ost und West und das Bemühen bestimmt, eine drohende kriegerische, vielleicht sogar atomare Auseinandersetzung zu verhindern. Dies galt als ein entscheidender Beitrag zur Entspannungspolitik.
Helsinki war eine Sache des Westens und des Ostens. In der Schlussakte wurde aber der Zusammenarbeit mit den Mittelmeerstaaten ein eigener Abschnitt gewidmet und dabei auf die bestehenden „geografischen, historischen, kulturellen, wirtschaftlichen Aspekte“ der Beziehungen hingewiesen (a.a.O., S. 265ff.). So müsse sich auch der „Prozess der Verbesserung der Sicherheit“ auf den Mittelmeerraum erstrecken. Es sei u.a. „mit den nichtteilnehmenden Mittelmeerstaaten die Entwicklung einer beiderseitig nutzbringenden Zusammenarbeit in den verschiedenen Bereichen der Wirtschaft, besonders durch die Ausweitung des Handels, zu fördern. Politisches Ziel ist es, „zum Frieden, zur Verminderung von Streitkräften in der Region, zur Festigung der Sicherheit, zur Verringerung der Spannungen und zur Ausweitung des Umfangs der Zusammenarbeit beizutragen“. Man könnte dies bereits als Kern des „Barcelona-Prozesses“ ansehen.
Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus bekommt Helsinki mit der OSZE, die ja nicht nur der Erhaltung oder der Schaffung des Friedens dienen soll, ganz neue Aufgaben. Es geht um den Aufbau demokratischer, sozialer, wirtschaftlich leistungsfähiger und rechtsstaatlicher Gemeinwesen in Osteuropa. Dabei spielt die Angst in Westeuropa eine nicht zu unterschätzende Rolle, dass ein Misslingen dieses Prozesses Migrations- und Fluchtbewegungen in der Größenordnung von vielen Millionen Menschen auslösen könnte. Hinter dem Aufbauprozess in Osteuropa ist also bereits eine ausgeprägte Abwehrhaltung Westeuropas auszumachen. Immerhin ist aber die Verteidigungseinstellung mit einem politischen Gesamtkonzept kombiniert.
Die umfangreichen Fördermaßnahmen schließen nicht mehr wie in der konventionellen Form der Entwicklungshilfe nur finanzielle und technische Transfers ein, sondern stellen für viele gesellschaftlichen Bereiche besondere Programme zur Verfügung, die dem Auf- und Ausbau stabiler und moderner Gesellschaften dienen. Dabei wird auch die Bedeutung der Errichtung und Stützung einer Zivilgesellschaft mit eigenen Strukturen gesehen und Wert darauf gelegt, eine Bürgerrechtsbewegung zu unterstützen und zu entfalten.
Allerdings scheint doch in einem weiten Umfang die Geber- und Empfängerstruktur, wie sie sich auf dem Entwicklungssektor eingespielt hat, erhalten geblieben zu sein, d.h. die Einstellung, dass die anderen, in diesem Fall die Länder Osteuropas, die Lernenden und die EU und alle beteiligten Organisationen Westeuropas die Lehrmeister der politisch und wirtschaftlich unterentwickelten Völker sind.
Standortpapier der CDU/CSU
Wenn Mittel- und Osteuropa für die Europäische Union (EU) zwar immer noch einen Schwerpunkt ihrer Beziehungen bilden, haben die „Mittelmeermitglieder der EU, nämlich Frankreich, Spanien und Italien, die 1995/96 drei aufeinander folgende EU-Präsidentschaften gestellt haben, darauf gedrängt, daß die EU sich intensiver um ihre südliche Nachbarregion kümmert“. Der spanische EU-Kommissar Marin fordert für die Union ein “Gleichgewicht in ihren Beziehungen nach Osten und Süden“. Der Europäische Rat bestätigte diese Politik auf seinem Gipfeltreffen im Dezember 1994 in Essen (vgl. Falk, Rainer, Euro-Mediterraner Wirtschaftsraum, Die neue Strategie der EU für die Südflanke, in: Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft, 6/95).
Ein Standortpapier „Die Trennung überwinden -Vorschläge für eine Mittelmeerpolitik der Europäischen Union“ hat 1994 der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU- Bundestagsfraktion Karl Lamers MdB anläßlich der EU-Mittelmeerkonferenz am 27./28.11.1995 in Barcelona vorgelegt. (CDU/CSU-Bundestagsfraktion, 1997)
Danach liege eine „engagierte Teilnahme an einer aktiven Mittelmeerpolitik der Europäischen Union in Deutschlands Interesse“. Schon heute werde es stark von den Problemen und Konflikten in der Region betroffen, darunter Migration, nicht nur aus der Türkei. Die Tendenz sei steil ansteigend. Andererseits wird der Mittelmeerbereich aber auch als ein interessanter, potentiell sehr attraktiver Markt gewertet, der in fünfzehn Jahren ca. 300 Mio. Menschen umfasse.
In der politischen Bestandsaufnahme sieht Lamers die Mittelmeerregion geprägt von „Gegensätzen, Konflikten und Schwierigkeiten in höchster Konzentration“. Hier verliefen Grenzlinien zwischen Zonen unterschiedlicher wirtschaftlicher Entwicklung, Sicherheit, politischer Systeme und politischer Kulturen, religiöser Bekenntnisse und Kulturen.
Ein hohes Wohlstandsgefälle zwischen Nord und Süd und die Unterentwicklung würden durch ein rasantes Bevölkerungswachstum verschärft.
„Zwischen den Jahren 1990 und 2000 wird die Bevölkerung der nicht zur Europäischen Union gehörenden Mittelmeeranrainerstaaten mindestens um 20 %, das sind 50 Millionen Menschen, anwachsen. Etwa die Hälfte der Bevölkerung in den arabischen Staaten und der Türkei ist jünger als 16 Jahre. Auch aufgrund dieses Bevölkerungswachstums sind die Länder seit längerer Zeit nicht mehr in der Lage, ihre Bevölkerung selbst zu ernähren. Daraus könnte ein erheblicher Migrationsdruck erwachsen auf die jeweiligen Nachbarländer, aber auch auf die Europäische Union“.
Lamers verweist auch auf die hohe Arbeitslosigkeit von teilweise über 30 %, die in besonderer Weise Jugendliche treffe.
Kulturelle und ethnische Gegensätze führten teilweise zu zwischen Regierungen und Minderheiten gewalttätig ausgetragenen inneren Konflikten. „Minderheiten haben im südlichen und östlichen Mittelmeerraum in der Regel nur unzureichende Möglichkeiten, ihre Interessen wahrzunehmen. Dies gilt für christliche Minderheiten in verschieden islamischen Ländern ebenso wie für die in mehreren Staaten lebende kurdische Bevölkerung oder die Berber in den Maghreb-Staaten“.
Lamers Fazit: Die in vielen Mittelmeerdrittländern drohende offene Krise, könne „nur durch eine umfassende wirtschaftliche und politische Strukturanpassung vermieden werden“.
Cordon Sanitaire
Auch wenn mit dem Barcelona-Prozess ein partnerschaftlicher und alle Politikbereiche einschließendes Konzept verfolgt wird, scheinen die migrationspolitischen Fragen eine besonders hohe Motivation der EU auszumachen. So zitiert die Financial Times vom 20.10.1994 den spanischen EU-Kommissar Marin bei der Vorstellung des Gesamtkonzeptes in Brüssel mit dem Satz: „Wenn wir rund 5 Mrd. Ecu bereitstellen, werden viele Länder darauf bestehen, daß die Drogen- und Einwanderungskontrolle eine zentrale Rolle dabei spielt.“ Es wird deutlich: „Die südlichen und östlichen Mittelmeeranrainer sollen ähnlich wie das östliche Europa eine Art migrationspolitischen cordon sanitaire an der südlichen Flanke der EU bilden“.
Der Londoner „Economist“ hat in seiner Vorausschau für das Jahr 1995 die nordafrikanischen Staaten als einen der „explosivsten Teile der Welt“ bezeichnet. Als Gefahren sieht das Magazin:
„Alle sind Diktaturen; alle sind überbevölkert, mit einem beängstigend hohen Bevölkerungsanteil unter 25. Keiner hat seinen Frieden mit der modernen kapitalistischen Welt gemacht. Alle sprechen (mit verschiedenen Akzenten) arabisch; alle sind natürlich Anhänger des Islam. Alle diese Länder befinden sich an der Türschwelle Europas. Und es gibt genügend Zündstoff, der 1995 hochgehen könnte wie ein Pulverfaß.“ (Zitate in: Falk,Rainer, aaO.)
Ähnlich beschreibt es die EU-Kommission: „Unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen gibt es in einer Reihe dieser Länder Quellen der Instabilität, die zu massenhafter Migration, zu fundamentalistischem Extremismus, zu Terror, Drogen und organisiertem Verbrechen führen können.“
Perspektiven
- Der Barcelona-Prozess ist an den Interessen der Europäischen Union orientiert, den Wohlstandsgraben zwischen ihr und den Mittelmeerländern aufzufüllen, ohne aber das wirtschaftliche Übergewicht und die damit verbundenen Privilegien zu verlieren. Die bisher für das ganze Projekt ausgewiesenen finanziellen Beträge stehen in keinem Verhältnis zu den Ansprüchen, auf die sich der Prozess selbst festgelegt hat. Außerdem verhindert die dem ganzen Konzept zugrundeliegende Sicherheits- und Abwehrmentalität gegenüber Flucht und Migration eine Sicht, die sich von den Vorstellungen einer gerechten Wirtschaftsordnung und dabei von der einer gerechten Verteilung der Ressourcen und ihres Verbrauchs leiten ließe. Abgesehen davon wird es sich als politisch nicht stimmig und damit als kontraproduktiv erweisen, die Freizügigkeit des Kapitals und der Dienstleistungen auf der einen Seite zu fördern und die Freizügigkeit der Menschen massiv zu behindern. Die Freizügigkeit wird voraussichtlich menschenrechtlich betrachtet in der Zukunft einen höheren Stellenwert bekommen und in dem Maße, wie nationalstaatliches Handeln zurückgeht, auch stärker abgesichert werden. Das Asylrecht ist dabei ein zentraler Bestandteil.
- Der Barcelona-Prozess ist sehr regierungs- und behördenlastig. Dies wiederum ist ein Charakteristikum des europäischen Einigungswerkes. Dennoch wird dem Sektor der regierungsunabhängigen Organisationen konzeptionell ein nicht unwichtiger Part zugestanden. Nur gibt es die europäische Zivilgesellschaft noch nicht, geschweige denn eine mediterrane, die sich ihrer Rolle bewusst ist und sie auch nur annähernd auszufüllen versteht. Der Barcelona-Prozess ist vielleicht eine Chance, dies zu ändern.
- Budapest oder Barcelona? Beide Prozesse haben große Gemeinsamkeiten in der Sichtweise (West-) Europas, das sich als Wohlstandsinsel versteht. Der Prozess, der konzeptionell stärker in die Zukunft weist, dürfte allerdings Barcelona sein. Sein Partnerschaftsmodell entspricht eher dem neuen Stil internationaler Zusammenarbeit, wie er sich allmählich durchzusetzen scheint.
veröffentlicht im Materialheft von „Pro Asyl“ 1999