Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 19. – 24. Februar 1968
RADIO KURZPREDIGTEN
Die bedrohliche und die durchbohrte Hand
Nichts anderes als Blumentöpfe möchte ein Töpfer in einem tschechoslowakischen Film herstellen. Er wird aber in seinem Vorhaben immer wieder von einer übergroßen Hand, die in sein Atelier eindringt, behindert. Die Hand will ihn dazu bringen, eine weitere Hand zu modellieren. Es hilft dem Töpfer wenig, sich gegen dieses Ansinnen zu wehren. Auch wenn er die Hand für einen Augenblick vertreibt, kommt sie wieder, entweder aus dem Telefon oder aus dem Fernsehgerät. Die Hand schmeichelt und droht; zuletzt kommen aus ihren Fingern Schlingen heraus, die den Künstler einfangen und in einen Käfig sperren. Es gelingt ihm aber, sich mit Hilfe der Hand, die er aus einem Stein herausgemeißelt hat, zu befreien. Er versucht weiterhin, der anderen Hand jeden Zugang zu versperren. Kaum vermeint er, damit Erfolg gehabt zu haben, hört er sie im Schrank rumoren. Während er diesen vernagelt, fällt ihm einer seiner Blumentöpfe, die auf dem Schrank stehen, auf den Kopf und erschlägt ihn. Die Hand – sie sorgt für ein ehrenvolles Begräbnis!
Ohne Zweifel will der Film symbolisch verstanden werden. Die Herstellung von Blumentöpfen steht für den Wunsch, ein individuelles und privates Leben führen zu dürfen. Die Hand ist der Zugriff von außen, der Zugriff einer totalitären Macht etwa. Sie will den Menschen dahin bringen, sich ihr ganz unterzuordnen. Die Hand, die verlangt eine andere Hand zu schaffen, verlangt damit innere und äußere Anpassung an ihre Herrschaftsform. Nirgends kann sich der Mensch dem unerbittlichen Einfluß entziehen. Die ist immer und überall da, sie ist gleichsam allgegenwärtig.
Damit nimmt die Hand, die als das Zeichen menschlicher Übermacht zu sehen ist, unversehens göttliche Züge an. Auch die Ängste, die sie verursacht, ähneln der Angst bei Menschen, die sich der Hand Gottes ausgesetzt wähnen. Denn „es ist schrecklich, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“ (Hebr 10,31). Die damit verbundene Ohnmacht des Menschen ist im Psalm 138 beschrieben: „Deine Hand hast du auf mich gelegt (…). Wohin könnte ich gehen, von deinem Geiste fort? Wohin fliehen vor deinem Angesicht? Steig ich zum Himmel hinauf, so bist du dort; bette ich mich in die Unterwelt: siehe, auch da bist du. Nehm‘ ich die Flügel der Morgenröte, laß ich mich nieder am Ende des Meeres, wird auch dort deine Hand mich führen, deine Rechte mich halten.“
Wenn auch in den letzten Worten des Psalms Vertrauen anklingt, so bleibt die Unruhe über die allgegenwärtige Hand Gottes. Bei Menschen, denen Gott allzusehr als Herrscher gepredigt wurde, wächst diese Unruhe zur Angst an. Der Umschlag von der Angst vor Gott zu seiner Ablehnung ist fast zwangsläufig.
Auf der Documenta IV, der bekannten Ausstellung moderner Kunst in Kassel, trägt ein Werk den Titel „Hände mit durchbohrter Handwurzel“. Vielen Betrachtern wird sich sofort die Erinnerung an die durchbohrten Hände Christi aufdrängen, ohne daß es in der Absicht des Künstlers gelegen haben muß. Durchbohrte Hände indes wecken keine Angst in uns. Sie unterscheiden sich grundlegend von allen anderen Händen, die nach uns fassen. Gott aber, so glauben wird, greift mit den durchbohrten Händen Christi nach uns.