Robert-Bosch-Stiftung
Deutsche und Ausländer im Stadtteil
2. Projektentwurf
(H. Leuninger, 13.10.1978)
Förderungsgebiet:
„Allgemeine Wohlfahrtspflege“
Schwerpunkt:
„Kinder ausländischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland“
Projektrahmen:
„Kinder ausländischer Arbeitnehmer im Vorschulalter“
1. Situationsbeschreibung
In der Bundesrepublik leben mit Stichtag 30.9.1977 402.300 Kinder unter 6 Jahren, deren Eltern nichtdeutscher Nationalität sind. In den Jahren 1975 und 1976 wurden 99.113 bzw. 88.647 Kinder ausländischer Eltern in der Bundesrepublik geboren, das ist ein Geburtenanteil von 16,5 % bzw. 14,7 % (s. Wirtschaft und Statistik 6/77). In mehreren Großstädten, u.a. in Frankfurt, liegt der Anteil der neugeborenen Kinder aus Ausländerehen bei 40 %, in Stadtteilen mit hoher Ausländerkonzentration bei Werten weit über 50 %.
Diese demographische Entwicklung ist ein Epiphänomen der faktischen Einwanderung, die sich aus der langjährigen Ausländerbeschäftigung ergeben hat.
Die damit gestellte Integrationsaufgabe ist für die sogenannte erste Generation und Teile der zweiten Generation der Einwanderer, also der hier aufgewachsenen Kinder und Jugendlichen, nicht gelöst worden. Optimaler Ansatzpunkt, um sie für die bereits hier geborene zweite bzw. dritte Generation zu bewältigen, stellt die Institution des Kindergartens dar. Die Funktion des Kindergartens als wichtige für die kognitive und affektive Entwicklung von Kindern im vorschulischen Alter, vor allem im Sinne einer familienergänzenden Sozialisationsinstanz, ist gerade für Kinder anderer Muttersprache und anderer ethnischer Herkunft unverzichtbar. Bei der marginalen Stellung der nichtdeutschen Arbeiterbevölkerung in unserer Gesellschaft und den dadurch zwangsläufig auftretenden Sozialisationsdefiziten ihrer Kinder fällt dem Kindergarten eine entscheidende Rolle zu, um eine Chancengleichheit dieser Kinder in Schule und Gesellschaft zu ermöglichen.
Derzeit ist aber die pädagogische Versorgung dieser Kinder im Kindergarten weder quantitativ noch qualitativ gegeben. Es bedarf umfassender sozialpädagogischer und sozialpolitischer Strategien, um den Versorgungsgrad anderssprachiger Kinder mit Kindergartenplätzen und die spezifische pädagogische Förderung zu erreichen. Nach stichprobenartigen Erhebungen des Deutschen Caritasverbandes liegt der Versorgungsgrad deutscher Kinder mit Kindergartenplätzen bei 65 %, der der ausländischen Kinder nur bei 30 %. Diese Zahlen werden für Bayern vom Statistischen Landesamt Bayern bestätigt. Danach besitzen von 100 3-5-jährigen Deutschen 67 einen Kindergartenplatz, von 100 gleichaltrigen Ausländern dagegen nur 29.
Der Deutsche Städtetag hat sich im Mai 1977 unter dem Leitthema „Ausländerkinder – ihre Zukunft in unseren Städten“ u.a. mit dem Kindergartenbereich befaßt und auf die besondere Bedeutung des Kindergartens für die ausländischen Kinder hingewiesen. Der Städtetag sieht sogar eine Chance, den meisten ausländischen Kindern in absehbarer Zeit einen Kindergartenplatz zur Verfügung zu stellen. Er begründet dies mit dem starken Ausbau der Kindergärten in allen Bundesländern und den sinkenden Geburtenzahlen bei der deutschen Bevölkerung.
Die eklatante Unterversorgung nichtdeutscher Kinder mit Kindergartenplätzen hat sehr verschiedene Gründe.
Von Seiten des Kindergartens sind es u.a.:
- Für die ausländische Arbeiterbevölkerung unpassende Öffnungszeiten;
- zu geringes Angebot an Tagesplätzen;
- mangelnde Verständigung zwischen Erziehern und Eltern;
- das Fehlen geeigneter pädagogischer Programme für die Integration deutscher und nicht deutscher Kinder;
- die mangelnde Förderung nicht deutscher Kinder in ihrer ethnischen Identität;
Von Seiten der nicht deutschen Eltern sind es u.a.:
- Die Unsicherheit über das Verbleiben in der Bundesrepublik oder die Rückkehr in die Heimat;
- eine große Distanz gegenüber deutschen Institutionen;
- die erfahrene Ablehnung und Diskriminierung seitens der deutschen Gesellschaft;
- die Angst vor der „Germanisierung“ der Kinder;
- das Misstrauen gegenüber nicht-familiärer Erziehung;
- die mangelnde Information über das Angebot von Kindergartenplätzen und die pädagogische Bedeutung eines Kindergartens;
- der als zu hoch empfundene Kindergartenbeitrag;
- die isolierte Stellung der emigrierten Mütter;
Von Seiten der deutschen Eltern sind es u.a.:
- Die unreflektierte Überzeugung von dem Vorrang deutscher Kinder vor nicht deutschen bei der Versorgung mit Kindergartenplätzen;
- Vorurteile gegenüber Menschen anderer sozialer und ethnischer Herkunft;
- Angst vor einem Niveauverlust des Kindergartens bei Aufnahme vieler nicht deutscher Kinder und damit die Sorge um die Chancenminderung ihrer Kinder beim Übergang in die Schule.
Von Seiten der Aufnahme-Gesellschaft sind es u.a.:
- Die Marginalisierung der nichtdeutschen Bevölkerung;
- ein ungeklärter und unscharfer Begriff von Integration;
- die politische Vorstellung, die Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland und die nicht deutsche Wohnbevölkerung sei im Prinzip nur vorübergehend in der Bundesrepublik;
- die Entmischung der deutschen und nicht deutschen Bevölkerung in Großstädten und in Stadtteilen mit signifikantem Ausländeranteil; damit das Zulassen von Ghettobildungen;
- die infrastrukturelle Unterversorgung – gerade auch mit Kindergartenplätzen in den Vorzugsweise von Ausländern bewohnten Stadtteilen von Großstädten.
2. Aufgabenstellung
Die relativ geschlossene Institution Kindergarten ist mit ihren Kräften allein nicht in der Lage, eine nachhaltige und umfassende Versorgung der nicht deutschen Kinder im Kindergartenalter zu leisten, obwohl sie im sozialen Umfeld der ausländischen Wohnbevölkerung eine wesentliche und zentrale Integrationskompetenz besitzen könnte und müßte.
Vor allem bedarf es zusätzlicher Strategien und Kräfte, um die nicht deutschen Eltern – und hier wiederum insbesondere die Mütter – zu befähigen, einen partnerschaftlichen Zugang zum Kindergarten zu finden.
Immer mehr konzentriert sich die Aufmerksamkeit der sozialpädagogischen Experten auf die Rolle der ausländischen Mütter, die, wenn sie nicht berufstätig sind, in größter Kommunikationslosigkeit zu ihrer Umwelt stehen und in allen Fragen der Lebensführung und der Kindererziehung auf in der Heimat vermittelte, aber hier nicht mehr gültige Verhaltensmuster angewiesen sind. Bei der berufstätigen, vielleicht sogar alleinerziehenden ausländischen Mutter, kumulieren zu den Beanspruchungen der Berufstätigkeit noch die der Haushaltsführung und der Kindererziehung. Daher tragen die ausländischen Mütter psychisch und funktional die größte Last der Emigration und werden hierbei von der Gesellschaft fast völlig im Stich gelassen.
Wenngleich die Gründe für die Unterversorgung der nichtdeutschen Kinder auf dem Kindergartensektor für die ländlichen wie die städtischen Räume gleichermaßen gelten, bekommen sie in Großstädten mit hohem Ausländeranteil ein anderes Gewicht. Durch die höhere Geburtenrate der Bevölkerung anderer ethnischen Herkunft und den Wegzug von jüngeren und einkommensstärkeren deutschen Familien aus Stadtteilen mit signifikantem Ausländeranteil verändert sich mit der Bevölkerungsstruktur auch die potentielle und faktische Belegung von Einrichtungen für Kinder im Vorschulalter. Die ethnischen Minderheiten werden zu numerischen Mehrheiten. Damit besteht die Gefahr, daß sich die deutsche Minderheit, soweit sie nicht wegziehen kann, selbst abkapselt und in der einen oder anderen Form ihre bisherige gesellschaftliche Privilegierung gegenüber den Ausländern im Sinne einer Apartheid zu verteidigen sucht. Dem könnte andererseits eine Nationalisierung und Ghettoisierung der in den betreffenden Stadtteilen besonders stark vertretenen ethnischen Gruppierungen entsprechen. Wenn es dem Kindergarten über ein ausreichendes Angebot von Plätzen hinaus gelingt, eine gemeinsame Erziehung deutscher und nicht deutscher Kinder und eine gemeinsame Arbeit deutscher und nicht deutscher Eltern zu leisten, wäre dies ein entscheidender Beitrag zu einem integrierten Zusammenleben von Bevölkerungsteilen verschiedener ethnischer Herkunft in einem Stadtteil. Das künftige Gemeinwohl der meisten deutschen Großstädte ist auf solche Integrationsleistungen dringend angewiesen.
3. Projekt
3.1 Zielsetzung
3.1.1 Hauptziele
3.1.1.1
Nachhaltige Verbesserung der sozialen Versorgung nicht deutscher Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahres durch gemeinsame pädagogische Förderung mit den deutschen Kindern der entsprechenden Altersstufe im Kindergarten.
3.1.1.2
Überwindung der Zugangs- und Zulassungsbarrieren zum Kindergarten durch intensive Elternarbeit, vor allem mit den nichtdeutschen Müttern.
3.1.2 Nebenziele
3.1.2.1
Verbesserung des Versorgungsgrades der Kinder anderer Muttersprache mit Kindergartenplätzen und dessen Angleichung wenigstens an den Versorgungsgrad der entsprechenden deutschen Altersgruppe.
Die schwierige soziale Ausgangslage der nicht deutschen Kinder rechtfertigte allerdings einen wesentlich höheren Versorgungsgrad wie den bei deutschen erreichten. Hierbei werden aber die Grenzen der in den betreffenden Stadtteilen vorhandenen Platzkapazitäten erreicht, so daß andere Möglichkeiten der Versorgung in Betracht gezogen werden müssen, eventuell auch ein Bustransport in benachbarte Kindergärten.
3.1.2.2
Stützung der Identität der nichtdeutschen Kinder durch Förderung in der Herkunftskultur ihrer Eltern und in ihrer Muttersprache.
Hiermit wird nicht nur der Angst der Eltern vor der „Germanisierung“ ihrer Kinder Rechnung getragen, sondern auch der Tatsache, daß die Kinder über die frühkindliche Sozialisation hinaus auf die Vermittlung von Kommunikationsfähigkeit und Verhaltensmuster in einer anderen Sprache angewiesen sind. Eine Beeinträchtigung des Erwerbs der deutschen Sprache ist bei einem gemeinsamen Aufwachsen mit deutschen Kindern nicht gegeben. Für bilinguale und bikulturelle Erziehung sollte man sich die Erfahrungen und Ergebnisse der einschlägigen Modellversuche in München nutzbar machen. Es ist die Frage zu prüfen, ob die bikulturelle Erziehung nicht sogar ein besonders geeignetes Mittel zur Integration ist. Allerdings muß hierbei die Bildung getrennter nationaler Blöcke in einem Kindergarten vermieden werden. Dies ist ggfs. dadurch zu vermeiden, daß die deutschen Kinder in die Bikulturalität und Bilingualität einbezogen werden.
3.1.2.3
Anpassung der Kindergartenstruktur und -pädagogik an die speziellen Bedürfnisse gegenseitiger Integration (vgl. 1.6).
3.1.2.4
Qualifizierung der Fachbasis (Professionalisierung).
Die an dem Projekt beteiligten Erzieher, Sozialarbeiter und Sozialberater werden ihren Wahrnehmungshorizont erweitern und neue Handlungskompetenzen entwickeln. Dies geschieht vor allem durch gemeinsame Analysen, Reflexionen, Arbeitssitzungen und Weiterbildungsveranstaltungen, durch die Verarbeitung vorhandener Informationen und die Verwendung geeigneten didaktischen Materials.
(die Erarbeitung von Informations- und Arbeitsmaterial ist nicht Schwerpunkt des Projekts).
Inhaltlich geht es neben der besseren Kenntnis der Herkunftsländer, der allgemeinen Bedingungen von Emigration, Ausländerbeschäftigung und Einwanderung um das gründliche Erfassen von Institutionsbarrieren, Ghettobildungen und ihre Überwindung, Minderheitenkulturen, Stadtteilstrukturen, um die Rolle der eingewanderten Mütter, um Integrationsprozesse und Multiethnizität.
3.1.2.5
Abbau von Vorurteilen und Stärkung der gegenseitigen Integrationsbereitschaft bei Eltern, Erzieherinnen, Stadtteilbevölkerung und Öffentlichkeit.
3.1.2.6
Verhinderung bzw. Auflösung von Ghettostrukturen.
Ghettostrukturen sind Formen der Fremd- und Selbstisolierung, die bei allem Schutz, den sie schwächeren Minderheiten bieten, integrationshemmend und aggressionsfördernd wirken. Neben der Schule dürfte es vor allem der stadtteilorientierte Kindergarten sein, mit dem eine gezielte und wirksame Gegensteuerung zu Segregationstendenzen bei verschiedenen Bevölkerungsteilen ansetzen kann.
3.2. Zielgruppen
3.2.1
Die 3- bis 5-jährigen deutschen und nicht deutschen Kinder.
Die durchaus notwendige und von einigen Gutachtern geforderte Einbeziehung der 0 bis 3- und der 7- bis 10-jährigen, vor allem ausländischen Kinder in das Projekt sprengt dessen Rahmen. Jede dieser Altersgruppen wäre Ansatzpunkt besonderer Modellmaßnahmen. Die Frage des Übergangs vom Kindergarten zur Schule wird derzeit durch Modellvorhaben in Zusammenarbeit mit dem DJI untersucht. Die 0 bis 3-jährigen ausländischen Kinder werden von der vorgesehenen Stützung der Handlungs- und Erziehungskompetenz ihrer Mütter profitieren (vgl. 3.2.2). Die Einbeziehung der Mütter 0 bis 3-Jähriger ist deswegen vorzusehen, weil gerade mit Ihnen zusammen die aus ihrer Isolierung herrührenden Institutionsbarrieren abgebaut und durch eine konzertierte Beratungstätigkeit Dauerschäden der frühkindlichen Sozialisation, die im Kindergarten kaum noch kompensiert werden können, verhindert werden sollen.
3.2.2
Die deutschen und nicht deutschen Eltern der Kinder im Kindergartenalter.
Wenn auch am Anfang und für längere Zeit Formen nationaler und multinationaler Mütter- und Elternarbeit ohne Beteiligung deutscher Eltern unumgänglich sind, sollen sie aber auch der Hinführung und Befähigung für eine gemeinsame Elternarbeit und Elternvertretung im Umfeld der Kindergartenarbeit dienen.
3.2.3
Die deutsche und nichtdeutsche Wohnbevölkerung des ausgewählten Stadtteils.
Eine im Wohngebiet vorhandene Ghettoisierung ist ein großes Hindernis für eine integrierte Kindergartenarbeit. Andererseits sind die gemeinsame Förderung deutscher und anderssprachiger Kinder und eine gemeinsame Elternarbeit wichtige Interaktionsstrukturen, die einen günstigen Einfluß auf ein kommunikatives Zusammenleben von Menschen verschiedener ethnischer Herkunft in einem Stadtteil haben können. Diese Interdependenz verlangt eine besondere Aufmerksamkeit gegenüber der gesamten Stadtteilbevölkerung.
3.3 Zielgebiet
Stadtteile mit einem Geburtenanteil von Kindern Eltern, der über 40 % liegt, und zwar
in Großstädten, die in wirtschaftlichen Ballungsräumen liegen und eine ausländische Wohnbevölkerung von mehr als 12 % aufweisen.
3.4 Anzahl der Projekte
Zwei (bis drei) Projekte in verschiedenen Großstädten, die unter ähnlichen Voraussetzungen (s. 3.3) und Bedingungen (vgl. 3.5 bis 3.7) durchgeführt werden.
Sie sind inhaltlich, verfahrensmäßig und methodisch so aufeinander abzustimmen, daß während der Projektdurchführung zwischen den Projekten ein praxisnaher und wissenschaftlicher Erfahrungsaustausch möglich wird, vergleichbare, aber auch sich gegenseitig ergänzende Ergebnisse erwartet werden können und diese mittels einer abschließenden gemeinsamen Dokumentation eine Übertragung auf vergleichbare Soziotope zulassen.
Die Konzentration auf ein Großprojekt, das in zwei bis drei Großstädten durchgeführt wird, empfiehlt sich aus verschiedenen Gründen:
- Die zu erwartenden Ergebnisse sind homogener Art.
- Die vorhandenen Mittel können optimal eingesetzt werden.
- An den wenigen Einsatzorten kann differenziert und umfassend auf die Veränderung der Sozialstruktur eingegangen werden.
- Die Repräsentativität der Ergebnisse wird verstärkt.
- Die gezielte Vermittlung an die Fachwelt wird erleichtert.
- Die Einwirkung auf die Öffentlichkeit durch die auf Großstadt bezogenen Medien wird verbessert.
- Die sozialpolitisch zentrale Funktion der geplanten Integrationsarbeit kann für die politischen Entscheidungsträger umfassender herausgestellt werden.
3.5 Träger
3.5.1
Wohlfahrtsorganisationen oder Kommunen, die in dem ausgewählten Stadtteil Kindergärten bzw. Kindertagesstätten führen und zur Kooperation mit anderen Einrichtungen fähig und bereit sind.
Die Kooperationsbereitschaft bezieht sich auf alle für das Projekt in Frage kommenden Träger freigemeinnütziger oder kommunaler Einrichtungen der Wohlfahrtspflege, auf Selbsthilfeeinrichtungen, auf Initiativgruppen, auf vorhandene bzw. zu gewinnende ehrenamtliche Mitarbeiter, auf kommunalpolitische Organisationen, auf die Medien und auf wissenschaftliche Mitarbeiter.
3.5.2
Organisationen und Einrichtungen, die bereits eine stadtteilbezogene Ausländerarbeit für Kinder und Familien durchführen und ebenfalls zur Kooperation mit anderen Einrichtungen fähig und bereit sind.
3.6 Methoden
3.6.1
Einrichtungsbezogene pädagogische Einzel- und Gruppenarbeit.
Die Integrationsarbeit im Kindergarten verlangt eine reflektierte Zusammensetzung der Gruppen und eine dementsprechende pädagogische Akzentsetzung. Diese Zusammensetzung kann sich entweder auf zwei Nationalitäten (deutsch/nicht deutsch) beschränken, aber auch multinational bzw. multiethnisch sein. Während bei binationalen Gruppen in der Gruppe eine bikulturelle und bilinguale Förderung u.U. unter Einbeziehung der deutschen Kinder möglich ist, liefe die Förderung anderssprachiger Kinder bei multinationalen Gruppen entweder auf eine Einzelförderung oder auf eine gruppenweise Förderung von Kindern, die aus verschiedenen Gruppen zusammengeführt werden, hinaus.
- Eine Intensivierung der Elternarbeit mit deutschen und nichtdeutschen Eltern, deren Kinder bereits im Kindergarten sind. Hierbei sind nationale Elterngruppen eine wichtige Voraussetzung zur Verbesserung der Kommunikation und Interaktion.
- Bildung und Unterstützung von Mütter- und Elterngruppen einer bestimmten Nationalität für allgemeine Erziehungsfragen, Beratungsmöglichkeiten und deren Inanspruchnahme, für Nachbarschaftshilfe, für die Verbesserung der Wohnsituation und zur Selbstvertretung in Kindergarten und Schule.
- Ausweitung dieser Arbeit auf multinationale Mütter- und Elterngruppen.
- Weitere Ausweitung auf deutsch/nicht deutsche Elterngruppen.
Dies schließt ein:
3.6.2
Stadtteilbezogene Gemeinwesenarbeit mit der deutschen und nicht-deutschen Wohnbevölkerung.
Sobald die Elternarbeit zu funktionieren beginnt, werden sich die Interessengemeinsamkeiten und Gegensätze im Nachbarschaftsbereich und Wohnbezirk verdeutlichen. Die damit verbundene Aufgabenstellung der Kooperation, der Kommunikation, der Information und der Aufklärung auf Stadtteilebene ist Teil der Projektarbeit. Sie soll erreichen, das multiethnische Zusammenleben im Stadtteil zu verbessern.
3.6.3
Öffentlichkeits- und Medienarbeit
Die unter 3.6.2 bereits als notwendig bezeichnete Informations- und Aufklärungsarbeit soll von Anfang an auf eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit den Medien abstellen. Inhalt dieser Arbeit sind das Projekt selbst, die einzelnen Schritte und Phasen, die auftretenden Schwierigkeiten, die Zwischen- und Endergebnisse. Dazu ist das Sammeln, Aufbereiten und Weitergeben von Informationen, Meinungen, Aufrufen und Forderungen notwendig.
3.6.4
Überregional relevante, ausbildungsorientierte, wissenschaftliche Projektarbeit.
Vorbereitung, Begleitung und Reflexion des Projektes soll unter wissenschaftlicher Begleitung erfolgen. Es empfiehlt sich hierzu, wissenschaftliche Institute heranzuziehen, die bereits einschlägige Erfahrung auf dem Gebiet haben und die der Ausbildung von Sozialarbeitern bzw. Sozialpädagogen dienen. Das Projekt sollte sowohl der Forschung als auch der Ausbildung zugute kommen.
3.7 Projektphasen
3.7.1
Nach der Auswahl der Projektträger und Projektorte: Anstellung des Koordinators (auch für die Medien- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig) durch den Projektträger und Auswahl des wissenschaftlichen Mitarbeiters.
3.7.2
Gemeinsame Fachtagung der Projektträger, der verantwortlichen Mitarbeiter in den Einrichtungen, der Koordinatoren und der Wissenschaftler der einzelnen Projekte zur Abstimmung des Programms, des Vorgehens und des Erfahrungsaustauschs.
3.7.3.1
Wissenschaftliche Erhebung
- der Zusammensetzung, des Altersaufbaus und der Nationalitätenstruktur der Stadtteilbevölkerung,
- des Bedarfs und Angebots an Kindergartenplätzen,
- der Zugangs- und Zulassungsbarrieren und -kriterien für nicht deutsche Kinder zum Kindergarten.
3.7.3.2
Gleichzeitige Anstellung der zusätzlichen (zweisprachigen) Erzieher für die pädagogische Arbeit mit nicht deutschen Kindern im Kindergarten und (zweisprachigen) Sozialarbeiter/Sozialpädagogen für die Elternarbeit im Stadtteil und mit dem Kindergarten.
3.7.4
Gemeinsame Fachtagungen der Mitarbeiter in den Einrichtungen, der zusätzlichen Sozialarbeiter/Sozialpädagogen, der ausländischen Sozialberater, der Vertreter der Ausländerorganisationen im Stadtteil zur Auswertung und Handlungsumsetzung der Analysen, zur umfassenden Information über die Herkunfts- und Aufnahmesituation der nichtdeutschen Familien, über das Integrationskonzept, über das Vorgehen und die Kooperation.
3.7.5.1
Beginn der gezielten Integrationsarbeit im Kindergarten mit der Förderung der nichtdeutschen Kinder in ihrer Muttersprache und Herkunftskultur.
3.7.5.2
Beginn der besonderen Elternarbeit mit den nicht deutschen Eltern im Kindergarten als Ausgangspunkt der Eltern- und Mütterarbeit im Stadtteil, vor allem der Bildung von Elterngruppen.
3.7.6
Kontaktaufnahme und Zusammenarbeit mit allen Stellen, die im Stadtteil und in der Stadt für die soziale Versorgung der Bevölkerung zuständig und tätig sind.
3.7.7
Spürbare Verbesserung des Versorgungsgrades der nichtdeutschen Kinder mit Kindergartenplätzen.
3.8 Überleitung
3.8.1
In der letzten Projektphase Übernahme der zusätzlichen zweisprachigen Erzieherinnen in den Kindergärten durch die Einrichtungsträger.
3.8.2
Übernahme der zusätzlichen Sozialarbeiter/Sozialpädagogen für die Elternarbeit im Stadtteil durch die Kommune.
3.9 Auswertung
3.9.1
Dokumentation der wissenschaftlichen Ergebnisse
3.9.2
Erarbeitung eines übertragbaren Programms zur Überwindung von Institutionsschwellen bei nicht deutschen Familien und zur koordinierten Elternarbeit im Stadtteil und im Kindergarten.
3.9.3
Gemeinsame Publikation der Ergebnisse der einzelnen Projekte.
3.10. Zusätzliche Mitarbeiter
3.10.1
Pro Jahr und pro Projekt
(auch Medien- und Öffentlichkeitsarbeit)
DM 50.000,-
1 wissenschaftlicher Mitarbeiter
DM 50.000,-
3 Erzieherinnen
(für 3 verschiedene Nationalitäten)
DM 135.000,-
3 Sozialarbeiter / Sozialpädagogen
(für 3 verschiedene Nationalitäten)
DM 135.000,-
1 Verwaltungskraft
DM 40.000,-
Sachkosten
DM 50.000,-
insgesamt
DM 460.000,-
3.10.2
Bei 4-jähriger Laufzeit (inklusive Vorlaufphase) und zwei Projekten
DM 3.680.000,-
3.10.3
Bei 3-jähringer Laufzeit und drei Projekten (nur 2 Erzieher und 2 Sozialarbeiter)
DM 3.330.000,-
(Herbert Leuninger)
siehe auch Vorwort zum Endbericht 1994
Dr. Christoph Walter
ROBERT BOSCH STIFTUNG
Herrn
Herbert Leuninger
Lindenstraße 12
65719 Hofheim
Oktober 1994
Sehr geehrter, lieber Herr Leuninger,
Stiftungen haben einen langen Atem -! In der Anlage erhalten Sie den Band
Er enthält die Auswertung unseres Programms Deutsche und Ausländer im Stadtteil – Integration durch den Kindergarten.
Ich habe nicht vergessen, wie engagiert und durch Erfahrung kundig Sie in den Anfängen an der Konzeption und Durchsetzung mitgewirkt haben.
Ich denke, es wird Sie interessieren, was daraus geworden ist (und wie wir es gesehen wissen wollen!).
Mit vielen guten Wünschen für Ihre Arbeit und freundlichen Grüßen
Ihr
(Dr. Christoph Walter)
Robert Bosch Stiftung GmbH: Heidehofstraße 31 · 70184 Stuttgart
Herbert Leuninger · Lindenstraße 12 · 65719 Hofheim Ts. · Tel. 06192 6513 Fax: 06192 6518
5.1.1995
Herrn
Dr. Christoph Walter
Robert Bosch Stiftung
Postfach 100628
70005 Stuttgart
Lieber Herr Dr. Walter!
Erst jetzt komme ich dazu, auf die Übersendung des Abschlußberichtes „Neue Wege in Kooperation in der sozialen Arbeit“ und Ihren freundlichen Brief zu antworten. Dabei habe ich mich über beides sehr gefreut.
Wenn ich an die Anfänge der Konzipierung des Programms zurückdenke, kommt mir in lebhafter Weise das Bild vor Augen, wie wir beide durch die Straßen von Köln-Ehrenfeld gegangen sind und an einzelnen Häusern die Klingelanlagen auf die multikulturelle Zusammensetzung der Hausbewohner untersucht haben. Leider hat uns keiner dabei fotografiert. Es wäre heute sicher so etwas wie eine historische Aufnahme im Rahmen der Feststellung, wie weit der Einwanderungsprozess damals bereits gediehen war.
Es beeindruckt mich sehr, daß die Robert-Bosch-Stiftung drei Projektgenerationen finanziert hat. Eine solche konstruktive Kontinuität hätte ich mir in meinen anderen Arbeitsbereichen auch gewünscht.
Ich grüße Sie herzlich und mit allen guten Wünschen für das begonnene Neue Jahr als
Ihr
(H. Leuninger)
VORWORT
Hansjörg Lüking, Neue Wege der Kooperation in der sozialen Arbeit: Konzepte und Erfahrungen aus zwölf Jahren Förderung, Deutsche und Ausländer im Stadtteil, Hrsg. von der Robert Bosch Stiftung, Berlin 1994, S. 13-15
siehe Konzept
Die Robert Bosch Stiftung hat in ihrem Schwerpunkt „Zusammenleben von Deutschen und Ausländern“ über fünfzehn Jahre in Berlin, München und Stuttgart ein Programm „Deutsche und Ausländer im Stadtteil – Integration durch den Kindergarten“ durchgeführt und Folgeprojekte gefördert. Als Aktivität einer privaten Stiftung war das Programm nach Umfang und Dauer in der sozialen Arbeit in der Bundesrepublik etwas Neues. Die Stiftung will mit diesem Band Einblick geben in die Ergebnisse der Förderung. Er dokumentiert den Ertrag des Programms und der Folgeprojekte. Er enthält vor allem eine Darstellung und Auswertung der Zusammenarbeit zwischen Praxis-, Fach- und Entscheidungsebene, die für das Programm charakteristisch war.
Als die Stiftung 1978 mit der programmorientierten Förderung der Ausländerarbeit begann, wiesen Fachleute darauf hin, daß die soziale und pädagogische Arbeit mit den Kindern und Familien ausländischer Arbeitnehmer weitgehend außerhalb der Einrichtungen und Dienste stattfand, die freie und öffentliche Träger für die deutsche Bevölkerung vorbehielten. An dieser Beobachtung setzte das Integrationsverständnis an, das Zielsetzung und Verfahren der Förderung bestimmte. In der Wahrnehmung der sozialen und kulturellen Bildungsangebote der deutschen Gesellschaft durch die ausländische Bevölkerung sah die Stiftung einen Ausweis gesellschaftlicher Teilhabe und Integration.
Mit dem partizipativen Integrationsbegriff traten die sozialen Dienste, ihre Mitarbeiter und Träger in den Brennpunkt der Förderung. „Aus- und Fortbildung in Berufen, die mit Ausländerfragen befaßt sind“ und „Integration in die Regelversorgung“ wurden die bestimmenden Förderlinien auch über das Stadtteilprogramm und seine Folgeprojekte hinaus.
In den fünfzehn Jahren Förderung, die hier dargestellt werden – die letzten Projekte gingen 1993 zu Ende -, hat sich die „Ausländerfrage“ ebenso wie die „Ausländerpolitik“ häufig, auch weitreichend geändert.
Die von der Stiftung geförderten Projekte mußten – und konnten – deswegen Antworten auf die Frage suchen: Wie müssen die sozialen Dienste und Einrichtungen arbeiten, organisiert und ausgestattet sein, damit sie einer Bevölkerung gerecht werden, die in ihrer sprachlich-ethnischen, sozialen und kulturellen Zusammensetzung nicht nur nicht einheitlich, sondern immer wieder auch Veränderungen unterworfen ist.
Die Stiftung hatte die Förderung so angelegt, daß die Projekte ihre Aufgaben in der sozialen Praxis lösen sollten. Die Projektarbeit war deswegen weitgehend durch die Praktiker sowohl unmittelbar auf der Arbeits- wie auf der Fach- und Entscheidungsebene zu leisten. Eine von außen hinzukommende wissenschaftliche Begleitung hatte die Stiftung trotzdem nicht vorgesehen. Die – auch theoretisch angeleitete – Planung und Reflexion der Arbeit war Aufgabe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die als Koordinatoren und Fachberater eingesetzt waren. Außerdem hatte die Stiftung eine Programmbegleitung eingerichtet, die neben der Programmsteuerung und Praxisberatung auch die theoretische Diskussion und die Berichterstattung und Auswertung anstoßen und vorbereiten sollte. Das Verfahren der Selbstevaluation, das dabei entwickelt wurde, ist, auch in den Grenzen, an die es gekommen ist, im Anhang dargestellt.
Das Förderverfahren hat zu einer zweistufigen Berichterstattung und Auswertung geführt. Aus den einzelnen Projekten liegen – teilweise aufbauend auf der Selbstevaluation – Projektinformationen und Abschlußberichte vor. Sie dokumentieren Anlage und Verlauf der Praxis, Arbeitskonzepte und -materialien. Sie stellen den Ertrag der Förderung für die praktische Ausländersozialarbeit dar. Als Handbuch für den Kindergarten hat die Stiftung auf dieser Grundlage und unter Einbeziehung der Ergebnisse der verschiedenen Programme und Projekte, die Ende der siebziger Jahre zur Ausländerarbeit im Kindergarten durchgeführt wurden, „Materialien zur interkulturellen Erziehung im Kindergarten“ herausgegeben.
Um der förderpolitischen Bedeutung des Ausländerprogramms gerecht zu werden, hat die Stiftung darüber hinaus die Programmbegleitung mit einer Auswertungsstudie abschließen lassen, die sie hiermit vorlegt. Sie fußt auf den Informationen und Berichten der Projekte sowie auf den Akten und Dokumentationen der Projektbegleitung. Entsprechend dem Praxischarakter der Projekte und der zentralen Rolle, die die sozialen Dienste und Einrichtungen in ihnen hatten, stehen die Ergebnisse und Erfahrungen im Vordergrund, die das Programm für die Innovation und Kooperation in der sozialen Arbeit im Stadtteil erbracht hat.
Abgeschlossen wird sie mit einem Rückblick auf das Programm aus fachpolitischer Sicht. Der Koordinator des Münchener Projekts, der heute das Jugendamt der Landeshauptstadt leitet, und die Fachberaterin bewerten das Programm im Lichte der kommunal- und ausländerpolitischen Diskussion der Großstadt von heute.
Die Programmbegleiter Dr. Friedemann Tiedt und Hansjörg Lüking haben die laufende Dokumentation und Auswertung der Programmentwicklung und Projektbegleitung in eigener Verantwortung vorgenommen. Die Stiftung dankt ihnen und Frau Faust-Exarchos, Frau Dr. Jakubeit, Herrn Prof. Dr. Mayer und Herrn Dr. Schröer, die für die Koordination und Fachberatung in den Stadtteilprojekten zuständig waren, für die Mitwirkung an der Auswertung.
Die Stiftung hofft, daß dieser Band nicht nur Öffentlichkeit herstellt für das Vorhaben einer privaten Stiftung, sondern auch Handlungsmöglichkeiten aufzeigt in einem gesellschaftlichen Aufgabenfeld, das unverändert dringlich ist.
Stuttgart, im Juni 1994 Robert Bosch Stiftung