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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV RADIO KURZPREDIGTEN 1968 ::: ARCHIV KIRCHE 1968 :::
Zuspruch am Morgen

Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 19. – 24. Februar 1968

RADIO KURZPREDIGTEN

Das Ende der Kirche


Bei dem Wort „Anarchie“ erschrecken wir, verbindet sich doch damit die Vorstellung von Chaos, Attentaten, Gesetz- und Rechtlosigkeit. Wir fürchten nichts mehr, als daß es bei uns einmal zur Anarchie kommen könnte. Zu leicht wird aber vergessen, daß bei den geistigen Verfechtern der Anarchie eine großartige und optimistische Idee ins Spiel gebracht wird. Demnach meint Anarchie einen Zustand, in dem jede Art von Regierung und Ordnungsmacht überflüssig geworden ist, weil die Menschen zu einer neuen Gesellschaftsform gefunden haben, die ohne diese Einrichtungen auskommt.

Wir kennen zur Genüge Gesellschaftslehren, die sich diesem Ideal verschrieben haben, in die Praxis umgesetzt aber das Gegenteil offenbaren. Wann erleben wir es schon, daß Macht sich selbst beschränkt, oder Institutionen oder Ämter sich selbst in Frage stellen? Jeder, der solches zu berichten wüßte, käme uns als ein Münchhausen vor, so ähnlich wie der „Lügner“ in einer kleinen Geschichte von Holthaus:

Bei einem Wettbewerb wird die größte Lüge gesucht. Einer der Teilnehmer weiß von einem Land zu berichten, in dem eine Dienststelle eingerichtet wird, die den Auftrag hat, alle vorhandenen Erbsen zu zählen. Nach kurzer Zeit beschäftigt besagtes Amt 30 Beamte, die zählen, katalogisieren und verwalten. Unausweichlich kommt aber der Tag, an dem alle Erbsen gezählt sind. Da erklärt der Dienststellenleiter: „Wir lösen die Dienststelle auf“, und alle Mitarbeiter erklären ihrerseits: „Wir lösen die Dienststelle auf!“ Diesem Lügenbericht fällt der erste Preis des Wettbewerbs zu. Denn eine Dienststelle, die sich selbst auflöst, – das ist die größte Lüge.

Dabei steckt in allen Ämtern und Organisationen der Keim des Zerfalls. Mit der Zeit sind sie alle überholt, mögen sie sich auch noch so sehr aufgebläht haben; sie werden ersetzt durch andere Ämter und Einrichtungen. Der Grund liegt darin, daß die ihnen gestellte Aufgabe entweder gelöst ist, oder aber in der bisherigen Art und Weise nicht mehr erledigt werden kann.

Nur die Kirche scheint davon ausgenommen zu sein, wenn wir an die Verheißung denken, „(…) und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen“. Die Zeit, keine Zeit kann ihr etwas anhaben, so wir dieser Satz aus der Bibel verstanden. Dennoch hat die Kirche ein begrenztes Ziel. Dieses Ziel ist erreicht am Ende der Zeiten. Dann bedarf es keines Papstes und keines Bischofs mehr. Spendung der Sakramente, Lehramt und Kirchenzucht werden überflüssig. Anders ausgedrückt: Die Kirche ist kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Ist der Zweck erreicht, bedarf es des Mittels nicht mehr.

Niemand kann daraus die Forderung ableiten, dann möge sich die Kirche doch gefälligst bald auflösen. Ohnehin hat für viele ihr letztes Stündchen längst geschlagen. Es geht auch nicht darum, den Papst zum Rücktritt aufzufordern.

Gefordert werden kann aber von der Kirche, daß sie bewußter danach lebt, nicht für sich selbst, sondern für die Welt dazusein. Ein derartiges Bewußtsein würde nämlich außerordentlich bescheiden machen. Diese Bescheidenheit würde sich auch in den Strukturen auswirken. Sie trügen nicht mehr den Anschein der Ewigkeit an sich, sondern verdeutlichten, daß irgendwann ein Tag kommt, an dem die Kirche ihre Aufgabe erfüllt hat.


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