Buchbesprechungen
kath. Theologie und Kirche
- Manfred Enkrich und Adolf Exeler (Herausgeber)
KIRCHE KADER KONSUMENTEN - Norbert Wetzel
Das Gespräch als Lebenshilfe - Josef Goldbrunner
Seelsorge – eine vergessene Aufgabe - Wybe Zijlstra
Seelsorge-Training - Howard J. Clinebell
Modelle beratender Seelsorge - Joseph W. Knowles
Gruppenberatung als Seelsorge und Lebenshilfe
KIRCHE KADER KONSUMENTEN
Zur Neuorientierung der Gemeinde
Mainz, 1971, 147 S.
Kirche, Kader, Konsumenten – eine einprägsame Alliteration für den Titel eines Buches, das sich mit der Reform der Gemeinden befasst. Wer mit den Konsumenten gemeint ist, das bedarf keiner umständlichen Erklärung: Es handelt sich um das Gros der Gemeindemitglieder, die ihre Pfarrei als religiöse Service-Station auffassen und sie dementsprechend in Anspruch nehmen.
Mit dem Begriff Kader sind die kirchlichen Führungskreise angezielt, die nach wie vor das Heft in der Hand haben. Ursprünglich spricht man im militärischen Bereich von Kadern. Wenn wir dieses Wort benutzen, verbinden wir damit die Vorstellung einer straff geführten Organisation. Gilt dies aber, oder darf das für die Kirche gelten? Die Antwort auf diese Frage lautet: es gilt weithin noch, aber es dürfte nicht gelten. Die starke Heraushebung der Führungskader gerade in der katholischen Kirche hat es nach Otto Betz verhindert, daß wir brüderliche Gemeinden haben. „Je wichtiger das priesterliche Amt wurde, desto mehr wurde der Laie dazu gebracht, zu einer Haltung dankbarer Passivität zu kommen. Er ließ sich seelsorglich betreuen. Von einer eigenständigen Verantwortung, einem Rederecht oder gar einer Redepflicht war nichts zu spüren“ (S. 18). Dieses Phänomen ist für Betz das Kranheitssymptom Nr. 1 unserer Gemeinden.
Mangelnde Mündigkeit und Konsumhaltung auf der einen Seite, der Versuch, diesen Zustand zu überwinden auf der anderen, führt zum pathologischen Phänomen Nr. 2, zu der Polarisierung in den Gemeinden. Hier setzt Karl-Wilhelm Dahm mit seinem Beitrag ein. Er stellt fest, daß „die Kommunikation, die Verständigung zwischen beiden Parteien tiefgreifend gestört (ist)“ (S. 45). Daran kann auch die Predigt kaum etwas ändern. Nach den Erkenntnissen der Kommunikationsforschung trägt sie im wesentlichen nur zur Bestätigung vorhandener Vorstellungen bei. Darin unterscheidet sie sich nicht von Fernsehen, Rundfunk und Vortrag. Wenn Menschen mit unterschiedlichen Auffassungen zueinander geführt werden sollen, müssen sie auf intensive Weise ins Gespräch kommen. In Gruppen vollzogen, vermag es einseitige und unangepasste Vorstellungen und Haltungen nachhaltig zu beeinflussen.
Sind aber Kader und Konsumenten überhaupt gesprächsfähig? Der Verlauf innerkirchlicher Konfrontationen läßt es bezweifeln. Dabei zeigt sich weniger fehlender Wille zum Gespräch als vielmehr ein glattes Unvermögen. Um diesem Mangel abzuhelfen, müßte es ein regelrechtes Gesprächstraining in den Gemeinden geben. Dabei genügt es nicht, einige Kommunikationstechniken zu vermitteln. Erforderlich wäre die Hilfe, um Fehleinstellungen zu sich und seinen Mitmenschen zu verändern.
Das Gespräch als Lebenshilfe
Innsbruck/Wien/München, 1972, 175 S.
Wichtigster Ansatzpunkt für die notwendigen Veränderungen scheinen die Pfarrer selbst zu sein. Die Literatur häuft sich, die versucht, gerade sie besser zum beratenden und helfenden Gespräch zu befähigen. Von Norbert Wetzel, der selbst in der Frankfurter Telefonseelsorge tätig ist, stammt das Buch: „Das Gespräch als Lebenshilfe“. Wetzel glaubt festgestellt zu haben, daß das Gespräch in der kirchlichen Arbeit an Bedeutung gewinnt. Aus seinen praktischen Erfahrungen heraus, die er mit grundsätzlichen Überlegungen zum Wesen des Gesprächs verbindet, möchte er Hilfen für das Gelingen der seelsorgerlichen Aussprachen bieten. „Denn“, so schreibt er, „die Fähigkeit des Seelsorgers zum Gespräch ist nicht selbstverständlich. Vielmehr klagen Ratsuchende, die sich an einen Priester gewandt hatten, oft darüber, dieser habe keine Zeit für sie gehabt, bzw. sie fühlten sich nicht von ihm verstanden“.
Eine in unserem Zusammenhang wichtige Passage des Buches ist der geforderten Grundhaltung des Seelsorgers als Berater gewidmet. Nachdem die verschiedenen Erwartungen genannt wurden, mit denen Menschen einem Seelsorger gegenübertreten – bisweilen sind es die eines mit magischen Kräften ausgestatteten Zauberers – gibt es für Wetzel nur eine Grundeinstellung, nämlich die der Brüderlichkeit. Das ist gegen eine falsche Vaterautorität gesagt, wie sie dem katholischen Priester zugesprochen wurde. Menschen sind leicht geneigt, auf einen Berater die Funktion des Vaters zu übertragen, um eigenen Entscheidungen aus dem Wege zu gehen. Damit wäre nichts gewonnen angesichts der eben beklagten Passivität in unseren Gemeinden. Allerdings weist Wetzel dem Priester eine exzeptionelle Stellung auf andere Weise zu, wenn er meint, „daß der Priester vielleicht als einziger Mensch es sich leisten kann, durch das Gespräch mit einem Ratsuchenden selbst fundamental in Frage gestellt zu werden.“ An diesen Satz, der aus dem üblichen Kontext heraus nicht überbewertet werden soll, seien zwei kritische Bemerkungen angefügt. Wetzel verwendet als Synonym für „Seelsorger“ nur den katholischerseits üblichen Begriff „Priester“. Außerdem spielt die Kirche als Gemeinde für den Hintergrund des seelsorglichen Gesprächs keine Rolle.
Seelsorge – eine vergessene Aufgabe
Freiburg/Basel/Wien, 1971, 190 S.
Dasselbe läßt sich vorweg auch für das andere Buch „Seelsorge – eine vergessene Aufgabe“ sagen. Der katholische Autor Josef Goldbrunner spricht darin über die Erwartungen der Gläubigen an den heutigen Priester. Gegen den Versuch, den katholischen Priester zu entmythologisieren, stellt er die Behauptung auf: „Die Menschen brauchen ein Priesterbild, wie sie ein Vaterbild, ein Mutterbild und ein Gottesbild brauchen.“ Darüber ließe sich streiten, falls die Archetypenlehre C.G. Jungs nicht für evangeliumsgemäßer gehalten wird als die Theorien von Freud. Wir beschränken uns auf das, was Goldbrunner in eindrucksvoller Weise über die seelsorgliche Kommunikation sagt.
Interessant ist dabei, daß diese weithin und ausdrücklich nach dem Modell der ärztlichen Kommunikation beschrieben wird, also nach der Form, wie der Gesprächskontakt zwischen Psychotherapeut und Patient verläuft. Die Kommunikation zwischen dem Priester und dem Einzelnen vollzieht sich in verschiedenen Schichten, nicht nur in der intellektuellen. Sehr zu beachten sei die emotionale Schicht, wobei der Priester wissen müßte, wie er gefühlsmäßig auf andere wirkt. Auf den Seelsorger werde auf der archetypischen Ebene vor allem das Urbild des Priesters übertragen, wodurch das Anziehende und zugleich Fernhaltende der Heiligkeit Gottes erfahren werde. Eine wirkungsvolle Kommunikation hänge aber vor allem davon ab, daß der Priester zu einem existentiellen Kontakt bereit sei. Es ist hiermit eine Verbundenheit gemeint, die den Anspruch auf Liebe anerkennt.
Die drei noch zu erwähnenden Bücher sind von evangelischen Theologen verfaßt. Mit den beiden vorigen Autoren teilen sie die Hochschätzung des seelsorglichen Gesprächs. Ebenfalls steht bei ihnen der ordinierte Theologe im Vordergrund. Verständlicherweise sprechen sie allerdings nicht vom Priester, sondern vom Pfarrer. Das bedeutet für sie, daß sie auch die Gemeinde in ihre Überlegungen miteinbeziehen.
Seelsorge-Training
Clinical Pastoral Training
München/Mainz, 1971, 188 S.
Um die Pfarrer für ihre beratenden Tätigkeiten besser zu befähigen, gibt es eine aus den Vereinigten Staaten stammende Methode, die sich Clinical-Training nennt. Der holländische Theologe Wybe Zijlstra beschreibt sie in einem Buch mit dem deutschen Titel „Seelsorge-Training“. Pfarrer begeben sich für mehrere Monate in eine psychiatrische Klinik, um unter spezieller Anleitung geistliche Gespräche mit den Kranken zu führen. Die Gespräche werden aufgezeichnet und im Kreise der anderen Beteiligten der Kritik und Auswertung unterzogen. Es geht darum, die Sensibilität des Pfarrers so zu verfeinern, daß er besser zuhören lernt. Bei fast allen Teilnehmern kommt es anfänglich zu einem großen Erschrecken, wenn sie erfahren, wie schlecht sie zuhören können. Das Zuhören wird als eine Form christlicher Entäußerung gewertet. „Im Nicht-Zuhören-Können entdecken wir, wie gottlos und demnach wie unmenschlich wir selber sind.“ Wer einen solchen Kurs erfolgreich abschließen kann, ist reicher an Kenntnissen über sich und die anderen geworden. „Manche versichern auch, daß ihr Glaubensleben sich vertieft hat (S. 174)“.
Modelle beratender Seelsorge
München/Mainz, 1971, 287 S.
Wenn auch nicht alle Pfarrer, die in der Beratung stehen – und welcher Pfarrer käme ohne sie aus – ein solches Training absolvieren, bleibt Ihnen die Aufgabe, die Kommunikationsfähigkeit derer zu verbessern, die sich an sie wenden. Alle Schwierigkeiten zwischen Menschen, alle seelischen Krankheiten bedeuten eine Störung der Kommunikation. Howard Clinebell, der ein Buch über „Modelle beratender Seelsorge“ geschrieben hat, stellt fest, daß viele Gemeindemitglieder unfähig zu Kommunikation und Gemeinschaft sind. Ihr seelischer Zustand – wir denken an das, was Otto Betz gesagt hat – trennt mehr, als daß er eint. Sie müssen erst durch eine Therapie in den Stand versetzt werden, zur heilenden, erlösenden Gemeinschaft ihrer Gemeinde beizutragen. Bei Clinebell heißt es wörtlich: „Die mitmenschliche Atmosphäre einer Gemeinde kann durch einen wirksamen Beratungsdienst, der vom Pfarrer und ausgebildeten Laien wahrgenommen wird, wesentlich gebessert werden. So kann die Gemeinde wirklich der Ort der Versöhnung, der Heilung und des inneren Wachsens werden.“ (S. 10) Die Zielrichtung kirchlicher Beratung ist nach dieser Auffassung die Gemeinde, die als solche erlösende Kraft für ihre Umgebung ausstrahlt. Damit ist der Pfarrer in einem klerikalistischen Mißverständnis der Aufgabe enthoben, Erlösung im Alleingang zu repräsentieren. Auch in der Gemeinde selbst liegt die Last, Kommunikation zu fördern, nicht allein auf seinen Schultern. Clinebell nennt als integrierenden Bestandteil die ausgebildeten Laien.
Gruppenberatung als Seelsorge und Lebenshilfe
München/Mainz, 1971, 201 S.
Neben der Einzelberatung, von der bislang ausschließlich die Rede war, erwähnt Clinebell als Gesprächsmodell auch die Gruppenberatung. Sie gewinnt in der heutigen Therapie immer mehr an Bedeutung, zumal der Mensch in seinen wesentlichen Belangen gruppenbezogen ist. Vom Einzelnen hat die Beratung über die Familie zur Gruppe gefunden. Damit ist sie in eine Dimension eingetreten, die die Kirche als erlöste und versöhnte und damit als erlösende und versöhnende Gemeinschaft noch stärker herausfordert. Joseph Knowles reflektiert die neuen Erfahrungen der Gruppentherapie und Gruppendynamik im Zusammenhang mit der Kirche. In seinem Buch „Gruppenberatung als Seelsorge und Lebenshilfe“ kommt er zu der ungewöhnlichen Aussage, daß eine Beratungsgruppe zu einem Gnadenmittel werden kann, „das es der Kirche erst ermöglicht, wirklich zu sein“ (S. 10). Knowles ist überzeugt, daß die Lehre von der Kirche das Modell Gruppenberatung in sich birgt. Kirche ist Heilsgemeinschaft, in der der von sich und seiner Umgebung entfremdete Mensch sich selbst finden sollte.
Bei einer geglückten Gruppensituation herrscht ein Klima, in dem sich der Einzelne angenommen fühlt. Aber auch da, wo es um das Bekennen geht, ist letztlich die Kirche als versöhnende Gemeinschaft aufgerufen. Von der Gruppe her heißt dies: „Jeder muß das mit anderen gemeinsam erarbeiten, was nicht annehmbar ist – das, was ihm das Gefühl des Ausgeschlossenseins gibt, weil er die Treue zu Gott und seiner Gemeinschaft gebrochen hat (…).“ (S. 34). Hier wäre nach Knowles – er ist protestantischer Theologe – der Ansatzpunkt, um die Beichte wieder für die Kirche zurückzugewinnen.
Es erhebt sich natürlich die Frage, ob unsere kranken Gemeinden sich jemals zu einer solchen oder auch nur ähnlichen Sicht ihrer Funktion aufschwingen. Clinebell sieht darin kein Problem. Geradezu emphatisch sagt er: „Nie zuvor hatten wir so viele Möglichkeiten, wie sie sich uns heute durch die Erneuerung von Seelsorge und Beratung, durch die Reformbewegung in den Kirchen, durch all die erregenden Erkenntnisse der Humanwissenschaften und die neuartigen Techniken der Psychotherapie eröffnen. Wenn man all das in den Dienst der beratenden Seelsorge einbringt, wird sich durch die Kirchen ein Strom der Heilung ergießen.“ (S. 14)