Buchbesprechungen
kath. Theologie und Kirche
Der magische Rest
Ein Beitrag zur Entmagisierung des Christentums
Düsseldorf 1969, 367 Seiten
So wie der Mensch im körperlichen Bereich ein Museum fossiler Elemente ist, die auf seine Verwandtschaft mit Fischen, Reptilien und Vögeln hinweisen, erweist er sich auch auf der geistig-religiösen Ebene als ein wandelnder Antiquitätenladen. Im Gegensatz aber zu den verkümmerten Organen und Muskulaturen, die keine erkennbare Funktion mehr haben, spielen die religiösen Erinnerungsstücke immer noch eine beachtliche Rolle, gerade im Leben der Kirche. Das ist umso erstaunlicher, als diese Elemente einer Kulturstufe und damit einer Weltanschauung und Religiosität entstammen, die schlechterdings überholt sind; handelt es sich doch hier um die magische Mentalität. Sie geht von der Vorstellung aus, daß die Welt, der Mensch und die Gottheit eine große Einheit bilden mit wechselseitigen, genau festgelegten Abhängigkeiten und Einflüssen. Kennt man diese Zusammenhänge, so ist man auch in der Lage durch Riten, Sprüche und Zeremonien das an sich Unfaßbare in den Griff zu bekommen und seinen Zwecken dienstbar zu machen.
Schon auf der nächsten Stufe der Religiosität, wo sich der Mensch bewußt wird, daß die Gottheit unverfügbar und frei ist, muß das Vertrauen auf Magie grundsätzlich zusammenbrechen. In geradezu diametralem Gegensatz aber zu jeder Magie steht die personale Öffnung, die Jesus Christus auf das Kommen Gottes in die Welt hin gebracht hat. Wenn es dennoch magische Elemente in Christentum und Kirche gibt, dann kann es sich, wie Gottfried Hierzenberger in seinem bei Patmos erschienenen Buch „Der magische Rest“ darlegt, nur um eine Art „Überhangsmagie“ handeln, d.h. um Magie sekundärer Form, die unzulässigerweise neben den berechtigten religiösen Formen besteht.
Auf diesen magischen Rest in der Kirche – in der katholischen Kirche – hat es Hierzenberger abgesehen, da hier das Christentum unnötig und bedenklich depraviert werde. Die Wurzeln dafür kann er nicht erst aus dem 4. Jahrhundert nachweisen, als die Massen in die Kirche einströmten und ihre heidnischen Vorstellungen als Mitbringsel einschmuggelten, sondern bereits aus der frühen Zeit, als Judaismus, Gnosis und Hellenismus ihre unverkennbaren Spuren hinterließen.
Wenn Magie, auch als Überhangsmagie, Abfall vom Christlichen ist, muß sie aufgespürt, beim Namen genannt und neutralisiert werden. Wer allerdings glaubt, daß sich magisches Denken und Verhalten nur in den Randbezirken des kirchlichen Lebens zeigt, wird von Hierzenberger eines Besseren belehrt. Bis in den innersten Bereich von Theologie und Sakramentenfrömmigkeit läßt sich Magisches feststellen. Es ist überall da, wo das Religiöse zu sehr institutionalisiert, wo Vorläufiges verabsolutiert, wo Personales versachlicht, wo Geistiges verdinglicht, wo freie Initiative ritualisiert, wo Ethisches verrechtlicht, wo Gott im Letzten manipuliert wird. Die Kritik, die Jesus seinerzeit an diesen Verfestigungen geübt hat, ist heute immer noch aktuell.
Diese Aktualität zeigt sich in aller Deutlichkeit, wenn man die einzelnen Kapitel des Buches „Der magische Rest“ durchgeht. Sieht man die Bibel als den für alle Zeiten und in jedem Wort gleich gültigen Ausdruck des unveränderlichen Willens eines absoluten Gottes an, so liegt hier der Ansatz für eine Wortmagie vor. Wird der Amtsträger in der Kirche im Gegensatz zum Neuen Testament zum Mittler zwischen Gott und Mensch, der mit besonderen Gnadenkräften ausgestattet ist, so ist das Amtsmagie. Werden die Sakramente als Gnadenmittel verstanden, die übernatürliche Kräfte zuführen, so muß das als Sakramentsmagie bezeichnet werden. Spricht man von einem unabänderlichen Naturrecht (siehe Geburtenkontrolle), und wird ethisches Verhalten, mit dem Einhalten von Normen und Gesetzen identifiziert, so betritt man den Bannkreis der Moralmagie. Konserviert man schließlich Terminologien und Vorstellungen früherer Zeiten als unüberholbar, so ist man der Gefahr der Theologie-Magie erlegen.
Dieser kurze Überblick zeigt, wie brisant das Thema ist, das Hierzenberger ohne falsche Rücksichten aufrollt. Auf weite Strecken hat er die ursprünglich protestantische Kritik an der katholischen Kirche aufgenommen und damit zu einer innerkirchlichen gemacht. Letztlich fordert er den emanzipierten, mündigen Christen, der sich nicht durch das geheimnisvoll Magische, das Sakrale, das Heteronome und Autoritäre in unwürdiger Abhängigkeit halten läßt. Diese Forderung korrespondiert nicht nur mit dem modernen, sondern ebenso mit dem biblischen Menschenbild. Wo dieses magisch verzerrt ist, bedarf es der Korrektur, die auch beim heutigen Entwicklungsstand der Kirche noch äußerst schmerzlich sein wird.