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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV BUCHBESPRECHUNG 1975 ::: ARCHIV KIRCHE 1975 :::
Buchbesprechung 11. Mai 1975

Buchbesprechung
kath. Theologie und Kirche

Else Pelke
DER LÜBECKER CHRISTENPROZESS 1943
Mainz, 1961/1974, 202 Seiten

In Abständen von jeweils drei Minuten ließ am Abend des 10. November 1943 der Henker des Zuchthauses Hamburg-Holstenglacis das Fallbeil niedersausen. Damit vollstreckte er das Todesurteil an den katholischen Lübecker Kaplänen Johannes Prassek, Eduard Müller, Hermann Lange und an dem evangelischen Pastor Karl Friedrich Stellbrink. Sie hatten gegen die Unmenschlichkeiten des nationalsozialistischen Regimes protestiert: durch offene Stellungnahmen auf der Kanzel und in Gemeindegruppen, durch Verteilen von Flugschriften, durch Verkehr mit Juden und Fremdarbeitern. Ihr Protest entsprang nicht so sehr einem politischen als vielmehr einem moralischen und pastoralen Engagement. So gehörten sie auch keiner Untergrundorganisation an. Dennoch galten sie für das Regime als äußerst gefährlich.

Else Pelke hat unter dem Titel „Der Lübecker Christenprozeß 1943“ das verfügbare Material zusammengetragen und neben einer Darstellung der vier Persönlichkeiten Verhaftung, Gefangenschaft, Prozeß und Hinrichtung nachgezeichnet. Sie geht davon aus, daß der im Juni 1943 eigens aus Berlin nach Lübeck angereiste 2. Senat des Volksgerichtshofes den fertigen Urteilsspruch bereits mitbrachte. Es mußte wohl im Sinne Heinrich Himmlers ein Exempel statuiert werden. Danach hat „ein Mann in Amt und Würden“ seinen Kopf zu verlieren, wenn er „beim friedlichen, braven, deutschen Mann“ – so wörtlich – „Glauben, Vertrauen, Treue und Gehorsam zerstört“. Von der Bekanntgabe einer Hinrichtung solcher Leute verspricht sich Himmler eine abschreckende Wirkung, wobei – wieder Zitat – „dadurch aus einem verfehlten Leben ein Nutzen für die Nation entsteht“.

Das Lübecker Urteil sollte allerdings noch nicht den Kirchenkampf einläuten. Das glaubte sich Hitler seinerzeit noch nicht leisten zu können. Die endgültige Abrechnung wurde für die Zeit nach dem Endsieg aufgespart. Worte Hitlers 1942 im Führerhauptquartier: „Solange wir die Pfaffen dulden, geschieht uns das ganz recht. Aber diesen Kampf der deutschen Geschichte werde ich endgültig einmal für immer zum Austrag bringen.“ Soweit der politische Hintergrund des Lübecker Prozesses.

Was aber ist in den Männern vorgegangen, die dieser Terrorjustiz des Dritten Reiches ausgeliefert waren? Aus der Zusammenstellung von Gesprächsaufzeichnungen, Tagebucheintragungen, Notizen und Briefen werden die Umrisse von Menschen sichtbar, die in der Gewißheit des Todes zu einer inneren Ruhe und Gelöstheit finden, die ihre Umgebung in Staunen versetzt. Prassek und Müller hatten nach der Urteilsverkündigung unabhängig voneinander in ihr Neues Testament geschrieben: „Der Name des Herrn sei gepriesen – Heute wurde ich zum Tode verurteilt“. Geradezu ungeduldig wartete Prassek auf die Stunde seiner Hinrichtung. „Ich habe lange Zeit nicht mehr,“ so schreibt er, „so ruhig und selig gelebt, vielleicht noch nie, wie jetzt.“ Die Vorstellungen, die ihn und auch die andern prägen, kommen aus einer starken Jenseitshoffnung. Dort erwarten sie die beglückende Begegnung mit Gott und einst auch das Wiedersehen mit ihren Angehörigen, Freunden und Gemeindegliedern. Geradezu kindlich freut sich Kaplan Lange darauf, im Himmel seine Lieblingsheilige, die hl. Theresia von Lisieux zu sehen und von ihr an der Hand genommen zu werden. Von ihm stammt der Satz: „Wenn man wirklich die ganze Hingabe an den Willen Gottes vollzogen hat, dann gibt das eine wunderbare Ruhe und das Bewußtsein unbedingter Geborgenheit“. Hier tragt für einen Leser des Jahres 1975 der Versuch einer theologischen Einstufung nichts mehr aus. Es beginnt der Respekt vor menschlicher und christlicher Größe. Die Autorin schreibt: „Sie waren keine Helden“. Aber, wer sind dann Helden?


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