Bosnische Flüchtlinge
„Pro Asyl“ BRIEFAKTION (2000)
RESSOURCEN
Frankfurt/M., den 19. September 2000
Es ist höchste Zeit zu handeln! Das Bleiberecht für bosnische Flüchtlinge muss endlich Wirklichkeit werden.
Liebe Surferin, lieber Surfer,
erinnern Sie sich? 1992 – 1995: Krieg in Bosnien-Herzegowina. Über 2 Millionen Menschen werden vertrieben, 200.000 werden getötet oder sind vermisst, 1,2 Millionen gelingt die Flucht ins Ausland, 350.000 davon kommen nach Deutschland.
Seit 5 Jahren ist der mörderische Krieg in Bosnien-Herzegowina nun vorbei. Und von den Menschen, die in Deutschland Schutz suchten, haben bereits über 300.000 das Land wieder verlassen. Entweder, um unter unvorstellbar schwierigen Bedingungen eine Rückkehr nach Bosnien-Herzegowina zu wagen, oder um in einem anderen aufnahmebereiten Land eine neue Existenz für sich und ihre Familie aufzubauen. Nur 37.000 Kriegsflüchtlinge sind in Deutschland geblieben. Um die Zukunft dieser Menschen geht es heute.
Immer noch vertreten maßgebliche Politiker und Behörden die Haltung, auch diese Menschen müssten Deutschland verlassen. Sie verkennen dabei, dass es sich bei dem verbliebenen Personenkreis in den meisten Fällen um besonders bedrohte Menschen handelt, die nicht selten Opfer von Folter, Vergewaltigung, Lagerhaft und gewaltsamer Vertreibung wurden.
Ein Beispiel:
Ahmet S. ist ein bosnischer Journalist, dem es gelang, nach 6-wöchiger Haft in einem kroatischen Konzentrationslager zu fliehen. Seit 1993 lebt er mit seiner Frau und seinen 3 Kindern in Deutschland. Nach seiner Flucht berichtete er in der Zeitschrift „Nova Bosna“ von den Qualen, die er und sein Sohn in dem Konzentrationslager erlitten. Die Folge der Veröffentlichung waren Morddrohungen durch kroatische Organisationen. Schriftlich vorliegende Aussagen beweisen, dass Herr S. weiterhin die Verfolgung durch kroatische Polizeiangehörige zu befürchten hat. Als Überlebender eines Konzentrationslagers ist Herr S. potenzieller Zeuge vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Seine diesbezügliche Aussage liegt der bosnischen Botschaft in Den Haag vor.
Ähnlich wie Ahmet S. gehört der größte Teil der bosnischen Flüchtlinge zu Gruppen, die aus schwerwiegenden Gründen nicht in ihre Heimat zurückkehren können. Dies ist das Ergebnis einer ausführlichen aktuellen Studie, die von „Pro Asyl“ in Zusammenarbeit mit dem UNHCR und anderen herausgegeben wurde.
Der Deutsche Bundestag hat in einem Beschluss vom 6. Juli die längst überfällige Konsequenz gezogen und einstimmig gefordert, eine neue Regelung zu finden, die die spezifische Situation der 37.000 verbliebenen Kriegsflüchtlinge berücksichtigt. Nun müssen die Innenminister von Bund und Ländern auf ihrer nächsten Konferenz am 23. November entscheiden. Da zu befürchten ist, dass es ohne entsprechenden öffentlichen Druck bei dieser Konferenz zu keiner positiven Einigung kommen wird, brauchen wir Ihre Unterstützung.
Unser Anliegen an Sie: Wenden Sie sich mit einem persönlichen Schreiben an den Innenminister Ihres Bundeslandes und bitten Sie ihn, sich für ein Bleiberecht der in Deutschland befindlichen bosnischen Kriegsflüchtlinge einzusetzen. Für ein solches Bleiberecht gibt es eine Vielzahl von Argumenten. Ein entsprechender Musterbrief liegt bei. Besonders wirksam sind jedoch individuell verfasste Schreiben, in denen explizit auf Einzelschicksale hingewiesen wird.
Und nun noch eine weitere Bitte: Wie Sie wissen, kann sich „Pro Asyl“ nur deshalb so erfolgreich für Flüchtlinge und Verfolgte einsetzen, weil wir politisch und finanziell unabhängig sind. Helfen Sie uns durch Ihre Spende oder Ihre Fördermitgliedschaft bei „Pro Asyl“. Auch der Einsatz für Menschenrechte kostet Geld. Und ohne die finanzielle Unterstützung durch Menschen wie Sie wäre unsere Arbeit völlig unmöglich.
Vielen Dank für Ihr persönliches Engagement und Ihre Hilfe.
Mit freundlichen Grüßen
Günter Burkhardt
Geschäftsführer
Die Innenminister der Bundesländer
Stand: November 2000
- Innenministerium Baden-Württemberg
Minister Dr. Thomas Schäuble, MdL
Dorotheenstr. 6
70173 Stuttgart - Bayerisches Staatsministerium des Innern
Herr Dr. Günther Beckstein, MdL
Odeonsplatz 3
80539 München - Senatsverwaltung für Inneres
Herr Senator Dr. Eckart Werthebach
Klosterstr. 47
10179 Berlin - Ministerium des Innern des Landes Brandenburg
Herr Minister Jörg Schönbohm
Henning-v.-Treschkow-Str. 2-8
14467 Potsdam - Freie Hansestadt Bremen
Senator für Inneres, Kultur und Sport
Herr Senator Dr. Bernt Schulte
Contrescarpe 22-24
28203 Bremen - Freie und Hansestadt Hamburg
Behörde für Inneres
Herr Senator Hartmuth Wrocklage
Johanniswall 4
20095 Hamburg - Hessisches Ministerium des Innern und für Sport
Herr Staatsminister Volker Bouffier
Friedrich-Ebert-Allee 12
65185 Wiesbaden - Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern
Herr Minister Dr. Gottfried Timm
Karl-Marx-Str. 1
19053 Schwerin - Niedersächsisches Innenministerium
Herr Minister Heiner Bartling
Lavesallee 6
30169 Hannover - Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen
Herr Minister Dr. Fritz Behrens
Haroldstr. 5
40213 Düsseldorf - Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz
Herr Staatsminister Walter Zuber
Schillerplatz 3-5
55116 Mainz - Ministerium für Inneres und Sport
Herr Minister Klaus Meiser
Franz-Josef-Röder-Str. 21
66119 Saarbrücken - Sächsisches Staatsministerium des Innern
Herr Staatsminister Klaus Hardraht
Wilhelm-Buck-Str. 2
01097 Dresden - Ministerium des Innern des Landes Sachsen-Anhalt
Herr Minister Dr. Manfred Püchel
Halberstädter Str. 2
39112 Magdeburg - Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein
Herr Minister Klaus Buß
Düsternbrooker Weg 92
24105 Kiel - Thüringer Innenministerium
Herr Minister Christian Köckert
Steigerstr. 24
99096 Erfurt
MUSTERBRIEF
Sehr geehrter Herr Innenminister,
Sie werden sich anlässlich der Herbsttagung der Innenminister am 23. und 24. November 2000 auch mit der Situation der ca. 35.000 bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge befassen, die zur Zeit noch in der Bundesrepublik Deutschland leben.
Bei diesen Menschen handelt es sich nach den Erkenntnissen von UNHCR, Wohlfahrtsverbänden und „Pro Asyl“ um:
– Personen, die nach der Rückkehr an ihren Vorkriegswohnort dort nicht der ethnischen Bevölkerungsmehrheit angehören würden,
– Opfer von Folter und sexualisierter Gewalt,
– Menschen, die gewaltsame Vertreibung oder Konzentrationslagerhaft erlitten haben,
– traumatisierte Flüchtlinge,
– alte Menschen ohne Angehörige in Bosnien-Herzegowina,
– alleinerziehende Personen mit minderjährigen Kindern und
– gemischt-ethnische Familien.
Die schwierige soziale und rechtliche Situation dieser Menschen in der Bundesrepublik Deutschland und die Lage in Bosnien-Herzegowina selbst machen es notwendig, nunmehr sehr schnell zu einer pragmatischen und humanen Lösung für die noch hier lebenden Flüchtlinge zu kommen. Hierfür sprechen rechtliche, humanitäre und auch ökonomische Gründe:
– Die meisten bosnischen Flüchtlinge, die noch in der Bundesrepublik Deutschland leben, sind Opfer von Verfolgung geworden und daher Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Sie hätten daher Anspruch auf ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland gehabt. Der zeitnahe Zugang in ein Verfahren zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft wurde ihnen jedoch verwehrt. Die Rückkehr an den Vorkriegswohnort in Sicherheit und Würde ist für viele nicht möglich. Ihre Häuser und Wohnungen sind von den noch über 800.000 innerhalb Bosnien-Herzegowinas Vertriebenen belegt. Traumatisierte Flüchtlinge werden vor Ort keine ausreichende therapeutische Infrastruktur vorfinden. Der Zugang zum ohnehin rudimentären Sozialsystem in Bosnien-Herzegowina ist besonders anfälligen Personen – insbesondere bei „Rückkehr“ in die Binnenvertreibung – versperrt.
– Die Flüchtlinge leben seit nunmehr sechs bis neun Jahren in der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Kinder sind hier geboren, gehen hier zur Schule und sprechen oft besser Deutsch als Bosnisch. Sie sind geschätzte und akzeptierte Nachbarn geworden und haben sich in die hiesige Gesellschaft integriert. Nach langen Jahren ist ihnen die Bundesrepublik Deutschland zur Heimat geworden. Eine erzwungene „Rückkehr“ nach Bosnien-Herzegowina empfinden sie zurecht als eine erneute Vertreibung. Trotz intensiver Bemühungen von Nichtregierungsorganisationen und Wohlfahrtsverbänden hat die Innenministerkonferenz die bosnischen Flüchtlinge bedauerlicherweise von der sogenannten „Altfallregelung“ im November 1999 ausgeschlossen.
– Es ist unverständlich und ökonomisch unsinnig, dass im Falle der noch hier lebenden Flüchtlinge eine Ausreise erzwungen werden soll, wenn zur gleichen Zeit eine Debatte um die Notwendigkeit von Einwanderung geführt wird. Insbesondere im Handwerk und in mittelständischen Betrieben sind viele bosnische Flüchtlinge zu unverzichtbaren Mitarbeitenden geworden. Dies zeigt unter anderem die gemeinsame Initiative der Oberbürgermeister der Städte Konstanz und Singen, die beschlossen haben, keine bosnischen Flüchtlinge abschieben zu wollen, die in festen Beschäftigungsverhältnissen stehen.
Wir appellieren daher an Sie, für ein Bleiberecht für bosnische Kriegsflüchtlinge einzutreten.
Mit freundlichen Grüßen