Generic selectors
Nur exakte Ergenisse
Suchen in Titel
Suche in Inhalt
Post Type Selectors
HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV FOTOSERIEN 2000 :::

16. Mai 2000

Tag der Kriegsdienstverweigerung

Empfang in Deutschen Bundestag

Pazifismus

Thierse würdigt Motive der Kriegsdienstverweigerer

BERLIN, 16. Mai (dpa). – Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat die Gewissensentscheidung von Kriegsdienstverweigerern gewürdigt. Dieses im Grundgesetz verankerte Recht nähmen sie in der Überzeugung in Anspruch, „dass der Griff zur Waffe und zur Gewalt immer in die falsche Richtung weist, dass Krieg stets inhuman ist“, sagte Thierse am Dienstag in Berlin. Er äußerte sich bei einem Empfang für Mitglieder der Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer im Reichstagsgebäude aus Anlass des Internationalen Tags der Kriegsdienstverweigerer (15. Mai).

Friedliche Konfliktregelung könne aber auch scheitern, wie die Kosovo-Krise gezeigt habe, sagte Thierse weiter. Ihm selbst habe die Zustimmung im Bundestag zum militärischen Eingreifen im Kosovo viel Kopfzerbrechen bereitet.


ANMERKUNG: Der volle Text der Rede wurde vom Presseamt des Bundestages leider nicht ins Internet eingestellt!


Bilder

Empfang des Bundestagspräsidenten Thierse anlässlich
des Internationalen Tages der Kriegsdienstverweigerung
am 16. Mai 2000, 13.30 h – 14.30 h, in Berlin, hier:

Ansprache Bischof i.R. Dr. Christoph Demke

Bundesvorsitzender der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft
zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer (EAK).

Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Dienstag, 16. Mai 2000, 13.30 h

Verehrter Herr Bundestagspräsident!
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!
Liebe Freundinnen und Freunde des Menschenrechtes auf Kriegsdienstverweigerung!

Ich möchte zuerst Ihnen, Herr Präsident, herzlich danken, dass Sie mit diesem Empfang nicht nur Ihre persönliche Aufmerksamkeit für den „Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung“ dokumentieren, sondern auch dem Anliegen dieses Tages in der Öffentlichkeit zur Aufmerksamkeit verhelfen. Wir können uns in der Bundesrepublik Deutschland, denke ich, glücklich schätzen, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung im Grundgesetz so klar in den Grundrechten verankert ist, dass damit eine gute Grundlage für die freiheitliche Gestaltung dieses Menschenrechtes besteht. Das ist auf dem Hintergrund deutscher Vergangenheit und aufgrund des Friedensauftrages des Grundgesetzes mehr als verständlich. Eine nur eingrenzende, gewissermaßen nörgelnde Ausgestaltung und ein engherziger Umgang mit diesem großartigen Freiheitsrecht würde diesen Zusammenhang verdunkeln. Deswegen gilt ein besonderer Dank den Parlamentariern und der Bundesregierung, die die gesetzgeberische Initiative zur Angleichung der Dauer des Zivildienstes an die Dauer des Grundwehrdienstes für Wehrpflichtige ergriffen haben. Die Verkürzung des Zivildienstes auf 11 Monate ist ein deutlicher Schritt zu etwas mehr Gerechtigkeit, wobei freilich viele Zivildienstleistende weiterhin eine Benachteiligung gegenüber dem 10monatigen Grundwehrdienst empfinden.

In der Tat bleiben für die Ausgestaltung dieses Grundrechtes wichtige Aufgaben, von denen ich zwei wenigstens nennen möchte:

– Die Nichtanerkennung der sog. totalen Verweigerung: Ist es so schwer für diejenigen, die den bestehenden zivilen Ersatzdienst wegen seiner Einbindung in die Militärgesetzgebung und damit in die militärische Gesamtverteidigung ablehnen, eine alternative Friedensarbeit jenseits der Wehrgesetze zu ermöglichen?

– Die sogenannte situationsbezogene Dienstverweigerung: Auch wer als Soldat in einer bestimmten Situation Gewissensbedenken gegen einen (völker-)rechtswidrigen Militäreinsatz oder den Einsatz bestimmter Waffen geltend macht, muss die Chance der Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer haben. Gerade im Blick auf die Entwicklung zu einer Freiwilligen- bzw. Berufsarmee kommt dieser Frage besondere Bedeutung zu.

„Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden“. Dieser fundamentale Satz des Grundgesetzes kann ebenso wenig wie der erste Satz der Grundrechte eingeschränkt werden, etwa auf deutsche Staatsbürger. Vielmehr verpflichtet uns diese Aussage unseres Grundgesetzes, einzutreten für alle, die solchem Zwang unterworfen sind, damit sie gleiche Freiheitsrechte erfahren. Ich denke hier z.B. an die Charta der Grundrechte für die Europäische Union. Der Satz aus Artikel 4 (3) GG verpflichtet uns aber akut, uns für diejenigen einzusetzen, die sich als Kriegsdienstverweigerer in Krisen- und Konfliktgebieten dem Zwang zum Militärdienst entziehen.

Damit bin ich beim Hauptthema dieses Empfanges: Das Recht auf Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Fahnenflüchtige (Deserteure) aus Ländern, die dieses Freiheitsrecht der Kriegsdienstverweigerung nicht anerkennen – trotz einschlägiger Empfehlungen der UN-Menschenrechtskommission, des Europarates und des Europaparlamentes. Diese betonen seit Jahren den Menschenrechtscharakter der Kriegsdienstverweigerung als Bestandteil der Gewissensfreiheit. Und für die Bundesrepublik müsste gelten: Wenn tatsächlich „niemand“ gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf, dann müssten eigentlich alle Asylanträge von Menschen, die als Verweigerer zu uns kommen, weil ihnen in ihrer Heimat das Menschenrecht der Kriegsdienstverweigerung vorenthalten wird, anerkannt werden, und zwar schon allein aufgrund ihrer Erklärung.

Viele Regierungen ignorieren die Empfehlungen der internationalen Organisationen – wie z. B. die Regierung des EU-Beitrittskandidaten Türkei. Sie scheuen allem Anschein nach das Risiko, dass die staatlich erwünschte Militärgewalt durch das Recht von Bürgern auf persönlichen Gewaltverzicht infrage gestellt werden könnte. Sie verkennen die friedensfördernden Anstöße persönlichen Gewaltverzichtes und unterdrücken sie. Leider wird dies – auch im Rahmen der europäischen Institutionen und deren Menschenrechtsarbeit – viel zu wenig thematisiert, geschweige denn, dass ein freiheitliches Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu einem Kriterium für Verhandlungen über neue rechtliche Vereinbarungen gemacht würde. Die Auswirkungen dieser Unterlassung sind dann auch im Asylrecht festzustellen, wenn z.B. der „Gemeinsame Standpunkt der Europäischen Union“ vom 4. März 1996 ausdrücklich feststellt, dass „die Furcht vor Bestrafung wegen Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, Nichtbefolgung des Einberufungsbefehls oder Fahnenflucht … a l l e i n nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigen“ kann. Mit dieser politischen Vorgabe bleibt Deutschland für verfolgte Kriegsdienstverweigerer und Deserteure geschlossen, wenn sie nicht zusätzlich weitere asylerhebliche Gründe vorweisen können. Das halten wir für ungerecht, das ist widersinnig angesichts der Aufforderung zu desertieren, die die NATO im Kosovo-Krieg an die serbischen Soldaten richtete. Das steht nicht im Einklang mit den Beschlüssen von Europarat und Europaparlament, die die Aufnahme von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren mehrfach gefordert, ja sogar angemahnt haben.

Im Einvernehmen mit anderen in der Zentralstelle KDV zusammengeschlossenen Verbänden setzt sich die von mir vertretene Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer (EAK) deshalb politisch dafür ein, daß die Bundesrepublik Deutschland darauf hinwirkt, den guten Beschlüssen europäischer Institutionen adäquate politische Vorgaben der europäischen Asylpolitik folgen zu lassen. Das legen nicht nur friedensethische Gründe nahe, auch unsere Geschichte verpflichtet uns dazu, auch die Aussagen des Grundgesetzes, das die Bundesrepublik Deutschland in Pflicht nimmt, „dem Frieden der Welt zu dienen“. Der Einsatz für das Menschenrecht Kriegsdienstverweigerung kommt dieser Friedensverpflichtung nach. Dieser Empfang, sehr geehrter Herr Bundestagspräsident, ganz sicher ebenfalls.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


Eva Rose, Bündnis B. Mai Münster

Manuskript der Rede beim Empfang des Bundestagspräsidenten am 16. Mai 2000 anlässlich des internationalen Tags der Kriegsdienstverweigerung

Sehr geehrte Herren und Damen,

auch ich möchte mich beim Bundestagspräsidenten, Herrn Thierse, und den Initiatoren dieses Empfangs dafür bedanken, dass ich hier einige Worte sagen kann.

Ich spreche stellvertretend für das „Bündnis B. Mai“ in Münster, das fast auf den Tag genau vor 4 Jahren in Münster durch einen Bürgerantrag den Ratsbeschluss erwirkt hat, Deserteure aus Kriegsgebieten in Münster aufzunehmen. Dieser Beschluss wurde im vergangenen November zum ersten Mal in die Tat umgesetzt, indem unsere Stadt zwei Deserteure aus Serbien nach deren Odyssee, von der Sie gleich etwas mehr durch Rainer Hunold erfahren werden, aufgenommen hat. Unsere Initiative war bis dahin nach meinem Wissen einzigartig und hat bundesweit und auch international Beachtung gefunden. Inzwischen sind es weitere 4 Städte in der BRD, die ähnliche Beschlüsse haben und auch umsetzen wollen, es gibt weitere kommunale Initiativen mit gleichen Zielen, und andere europäische Initiativen haben Kontakt zu uns aufgenommen.

Eigenlob gehört vielleicht zu den Eigenschaften von Berufspolitikern. Ich stelle unsere Initiative zwar nicht unter den Scheffel, aber ich bin weit davon entfernt, das, was wir bislang erreicht haben, in ein großartiges Licht zu stellen. Von diesem Ort aus gesehen – ich meine diese Haupstadt und diesen geschichtsträchtigen Reichstag –, ist es geradezu beschämend und lächerlich, davon zu sprechen, dass eine deutsche Stadt zwei Deserteuren, die nicht an einem international geächteten Krieg teilnehmen wollten, einen vorläufigen Schutz bietet.

Das „Bündnis B. Mai“ hat sich 1995 aus verschiedenen politischen Gruppen gegründet, 50 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs, und einen „demonstrativen Stadtrundgang“ in Münster unter dem Titel „Faschismus erinnern – Konsequenzen ziehen“ organisiert. Das war weder eine moralische Zwangsveranstaltung noch ein Ritual, sondern eine sehr konkrete und intensive Erinnerung an die Verbrechen des deutschen Faschismus, die in Münster stattgefunden haben oder von dort ausgingen. Die Ernsthaftigkeit dieser Art des Erinnerns wird daran deutlich, dass wir nicht beim Erinnern stehen geblieben sind, sondern Konsequenzen eingefordert haben. Eine dieser Konsequenzen war unser Bürgerinnenantrag zur Aufnahme von Deserteuren in Münster, der von einer rot-grünen Mehrheit im Rat beschlossen wurde und jetzt von einer schwarzen Mehrheit umgesetzt wird. Allerdings hätte es diesen Beschluss und seine Umsetzung nie gegeben, wenn nicht sehr viele Hände, Köpfe und Herzen dabei geholfen hätten, wie z.B. Connection, dem internationalen Deserteursnetzwerk, Winnie Nachtwei, dem grünen Bundestagsabgeordneten, oder dem Haus für Deserteure in Budapest. Das klingt alles nach männlichen Initiativen. Ich glaube, ohne die Frauen aus den Antikriegsaktivitäten, z.B. den Frauen in Schwarz aus Belgrad, hätte es unseren Beschluss nie gegeben.

Unsere Motive für diese kommunale Initiative waren damals notwendig und sind bis heute notwendig und, fürchte ich, auch morgen und in Zukunft, weil sich auf bundespolitischer Ebene sehr wenig verändert hat, und das teilweise auch noch in die falsche Richtung.

Erstens: Zehntausende deutsche Deserteure des 2. Weltkrieges, die sich einem verbrecherischen Angriffskrieg entzogen haben, sind hingerichtet worden – wie mir jetzt jemand aus den Niederlanden erzählte, sogar nach dem 9. Mai 1945, weil sie von den westlichen Alliierten der deutschen Wehrmacht übergeben wurden. Und diejenigen Deserteure, die die verschiedenen Repressalien der deutschen Gesellschaft ihnen gegenüber bis heute überlebt haben, haben zwar eine unsägliche Bundestagsdebatte wegen ihrer Rehabilitierung und Entschädigung erlebt, müssen aber bis heute gerichtliche Einzelfallprüfungen anstrengen, damit sie formaljuristisch rehabilitiert werden und eine Entschädigungsleistung für erlittenes Unrecht erhalten.

Sie, geehrte ZuhörerInnen, wissen alle sehr gut, dass es einen großen Unterschied macht, ob diese Deserteure in einem Bundesgesetz explizit erwähnt werden und ihnen für ihren Mut Respekt gezollt wird oder nicht. Deserteure werden aber im NS-Aufhebungsgesetz nicht genannt und sie wurden auch nie für ihr Handeln von staatlicher Seite geehrt, im Gegenteil.

Dass Desertion – oder der Aufruf dazu – bis heute in der BRD als Straftat gilt, ist auf dem Hintergrund unserer Geschichte unbegreiflich und ekelhaft.

Zweitens: Seit dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien sind hierzulande anscheinend alle antimilitaristischen Dämme gebrochen. Ganz wesentliche Tabus in Bezug auf die Aufgaben des deutschen Militärs nach 1945 sind gebrochen worden, unter angeblich humanitären Aspekten. Die deutsche Armee soll für internationale Einsätze umgerüstet werden.

Ich bin seit mehr als 20 Jahren in der „3.-Welt-Bewegung“ aktiv, und ich weiß nicht genau, wie viele Kriege es weltweit seitdem gegeben hat, es sind wohl mehr als hundert. Und ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass ethnische, religiöse oder sonstige ideologische Motive in Kriegen immer vordergründig sind. Wir haben in dieser Welt eine strukturelle Gewalt, das ist die Ungleichverteilung des Reichtums, national und international.

Was wir in der 3.-Welt-Bewegung seit Jahrzehnten einfordern, ist eine Logik der sozialen Gerechtigkeit, um Frieden zu schaffen, nicht kurzfristige Eingreiftruppen, die ohnehin immer nur nach den gerade relevanten nationalen Interessen entsandt werden.

Militär kann keinen Frieden schaffen! Wir brauchen eine pazifistische Kultur und aktive Friedenspolitik, die dem Krieg den Boden entzieht. Dazu gehört auch, Deserteure mit offenen Armen zu empfangen und ihnen hierzulande Schutz zu gewähren!

Drittens: Es gibt bei Port Bou an der Grenze zwischen Frankreich und Spanien ein sehr eindrucksvolles Denkmal für den deutschen Philosophen Walter Benjamin. Walter Benjamin war vor den deutschen Faschisten und französischen Kollaborateuren geflüchtet, und mit Hilfe verschiedener Organisationen und einzelner Personen hat er trotz Krankheit die spanische Seite erreicht. Sehr geschwächt angekommen, wollten die spanischen Behörden ihn nicht durchreisen lassen und zurückschicken. Benjamin hat damals wahrscheinlich Selbstmord begangen.

Das Denkmal zeigt einen schmalen Eingang oben auf der Steilküste des Mittelmeeres. Wenn man diesen Eingang betritt, sieht man über viele Stufen hinunter das Meer. Aber wenn man die Stufen hinuntersteigt, ist der Weg zum Meer durch eine Glasmauer versperrt: Man konnte den Weg in die „Freiheit“ sehen, aber nicht gehen.

Was für ein Symbol für die deutsche Asylpolitik! Das Recht auf politisches Asyl, wie es nach 1945 als Konsequenz aus dem deutschen Faschismus ins Grundgesetz geschrieben wurde, ist nicht modernisiert, sondern verspottet worden! Ich beschränke mich hier auf das Recht der Kriegsdienstverweigerung, das bis heute trotzdem keinen Schutz durch das deutsche Asylrecht nach sich zieht, obwohl Kriegsdienstverweigerer und Deserteure in fast allen Ländern schweren Strafen und Repressionen ausgesetzt sind.

Ich nenne hier stellvertretend für viele

– Mehmet Yanalak, einen türkisch-kurdischen Kriegsdienstverweigerer, der z.Zt. in Zwickau lebt und dessen Asylantrag abgelehnt wurde (ist er anwesend?).

– Mehmet Cicek, ebenfalls türkischer Kriegsdienstverweigerer, z.Zt. Aurich, der zwischenzeitlich im Kirchenasyl war, weil sein erstes Asylverfahren negativ für ihn ausging (ist er hier?).

– Mehmet Emin Tak, der als ebenfalls türkischer Kriegsdienstverweigerer bei einem z.Zt. anhängigen 2. Verfahren jederzeit abgeschoben werden kann und dem seine Ausländerbehörde trotz Einladung zu diesem Empfang nicht erlaubt hat, nach Berlin zu kommen.

– Andre Lytaev, einen russischen Kriegsdienstverweigerer, der schon lange hier ist und dessen Asylverfahren immer noch nicht abgeschlossen ist (ist er hier?).

Ein bisschen Hoffnung macht, dass neuerdings (meines Wissens zum ersten Mal) Deserteure aus der BR Jugoslawien im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg einen Flüchtlingsstatus erhalten sollen. Es gibt aber eine große Mehrheit von desertierten Serben, die nicht in die Länder der EU flüchten konnten, die z.B. unter miserablen Bedingungen in den osteuropäischen Anrainer-Ländern des ehemaligen Jugoslawiens leben und dort keinen regulären Flüchtlingsschutz haben, denen wir helfen müssen.

Helfen Sie mit! Deserteure brauchen Asyl!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!


Rainer Hunold

Ansprache aufgeschrieben
von zwei serbischen Kriegsdienstverweigerern,
beim Empfang des Präsidenten der Deutschen Bundestages
aus Anlass des Internationalen Tags der Kriegsdienstverweigerung
am 16.5.2000 im Reichstag in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Bischof, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin gebeten worden, Ihnen das vorzutragen, was zwei Kriegsdienstverweigerer aus der Bundesrepublik Jugoslawien für Sie aufgeschrieben haben. Beide möchten nicht mit ihrem Gesicht in die Öffentlichkeit. Aber sie möchten davon erzählen, wie sie sich dem mörderischen Krieg des Slobodan Milosevic gegen den Kosovo verweigert haben. Und zu Anfang ihrer Ausführungen verweisen sie darauf, dass nicht nur sie, sondern auch viele andere so gehandelt haben. Hier nun das, was die Beiden mir aufgeschrieben haben: Liebe Freundinnen und Freunde, wir möchten uns dafür entschuldigen, dass wir nicht selber teilnehmen können.

Wir kommen beide aus der Bundesrepublik Jugoslawien. Wir sind zwei von vielen Militärdienstentziehern, die vor oder während des Krieges Serbien verlassen haben und nicht bereit waren, den militärischen Befehlen nachzukommen. Die genaue Zahl derer, die sich dem Krieg verweigert haben, ist nicht bekannt. Es gibt aber schon 20.000 Strafverfahren, die gerade anhängig oder bereits abgeschlossen sind. Wir Kriegsdienstverweigerer werden verfolgt. Wir werden nach dem Strafgesetzbuch bestraft wegen der Entziehung vom Militärdienst oder von Militärübungen, wegen des Versteckens, um dem Militärdienst zu entgehen oder wegen des Verbleibens im Ausland während des erklärten Kriegszustandes. Eine Verjährung der – in Anführungszeichen – Straftat Kriegsdienstverweigerung gibt es nicht. Jeder hat, unabhängig davon, wann der Prozess stattfindet, eine Strafe von 5 bis zu 20 Jahren Gefängnis zu erwarten.

Zu unserem großen Bedauern fehlt in der Resolution 1244 der Vereinten Nationen, die sich an die Bundesrepublik Jugoslawien wendet, die Forderung nach einer Amnestie für diejenigen, die sich nicht an der Vertreibung und Ermordung der Kosovaren beteiligen wollten. Die politischen Parteien in Serbien, selbst die oppositionellen, ziehen ein Amnestiegesetz nicht in Betracht. Sie erkennen nicht, was für ein wichtiges Problem das im Moment ist. Auch in den Medien gibt es keine Diskussion über eine Amnestie. Sollen wirklich einige 10.000 Menschen eingesperrt werden, weil sie sich völkerrechtswidrigen und verbrecherischen Militäraktionen entzogen haben?

Doch nun zu unserer ganz persönlichen Geschichte. Während der Bombardierungen im April letzten Jahres waren wir in unserem Heimatort im Norden von Jugoslawien. Mein Freund versteckte sich in der Wohnung seiner Eltern, weil er gegen das Militärgesetz verstoßen hatte. Bomben fielen vom Himmel, auf der Erde herrschte das Regime von Milosevic. Überall gab es Polizisten und Soldaten. Jeden Tag hörte ich Geschichten über eine baldige allgemeine Mobilisierung. Es war klar; dass sie uns bald finden würden. Wir entschieden uns, das Land zu verlassen. Das ging natürlich nur auf illegalen Wegen. Der sicherste Weg schien der über den Fluss Drina – dem Grenzfluss zu Bosnien. Verwandte meines Freundes halfen uns, Menschen zu finden, die Waren über den Fluß schmuggelten. Wenige Tage später, am 4. Mai, war es uns mit ihrer Hilfe möglich, die Grenze zu überqueren.

Am 5. Mai erreichten wir Sarajevo. Dort wollten wir Freunde aus Belgrad treffen, die sich aber weigerten, uns zu helfen. So klopften wir bei der Nichtregierungs-Organisation „Frauen für Frauen“ an die Tür und beschrieben unsere Situation. Die Frau, die uns dort die Tür geöffnete, war in der folgenden Woche unsere Gastgeberin. Wir planten, nach Israel zu gehen, da ein dort lebender Freund uns nach Tel Aviv eingeladen hatte. Die nächste Israelische Botschaft war aber in Budapest und Budapest für uns nur mit dem Flugzeug zu erreichen. Für die Durchreise durch Kroatien hätten wir ein Visum benötigt, dessen Ausstellung über einen Monat dauern sollte.

Mitte Mai erreichten wir also Budapest mit dem Flugzeug. Die Grenzpolizei behandelte uns wie Verbrecher, ließ uns aber nach dreistündiger Befragung doch ins Land. Wir beantragten in der israelischen Botschaft Touristenvisa und erfuhren, dass die Ausstellung mindestens einen Monat dauern würde. Zunächst schliefen wir in Budapest fast jede Nacht in einer anderen Wohnung. Nur durch die Hilfe vieler einzelner Menschen haben wir es geschafft, in Budapest zu überleben.

Ende Juni erhielten wir endlich unsere Visa für Israel – gültig für einen Monat. Da unsere Visa für Ungarn gleichzeitig ausliefen und wir keine Chance auf eine Verlängerung hatten, beschlossen wir, es mit dem einen Monat in Israel zu versuchen. Am 4. Juli kamen wir nach Tel Aviv. Obwohl interessant und voller Möglichkeiten, war Tel Aviv keine Stadt für ein leichtes Leben. Wir mussten arbeiten, obwohl wir wussten, dass wir ohne die dafür nötige Arbeitserlaubnis sofort des Landes verwiesen werden konnten. Ein Journalist, der uns unterstützte, schaffte es, die Behörden zu überreden, unsere Aufenthaltserlaubnis um zwei Monate zu verlängern. Aber ohne Arbeitserlaubnis und langfristige Sicherheit war es uns unmöglich, in Israel zu bleiben.

Wir kehrten Mitte August nach Budapest zurück. Dort engagierten wir uns wieder in dem „Safe“-Projekt, in dem wir schon bei unserem ersten Aufenthalt in Budapest mitgearbeitet hatten. In diesem Projekt werden Menschen wie wir – Kriegsdienstverweigerer und Deserteure – unterstützt. Schon bei unserem ersten Aufenthalt hatten wir einen schriftlichen Kontakt nach Münster in Deutschland. Ende August erreichte uns eine Nachricht aus Münster, dass wir dort vielleicht aufgenommen werden könnten. Mitte September bekamen wir die Bestätigung. Mit der Einladung der Stadt Münster beantragten wir die Visa für Deutschland. Das war trotz der offiziellen Einladung nicht so einfach. Schon für den Antrag mussten wir tagelang anstehen. Nichtsdestotrotz, einen guten Monat später bekamen wir die deutschen Visa und begaben uns wieder auf die Reise.

Am 14. November 1999 kamen wir nach Münster. Wir waren völlig ausgepumpt, denn wir waren fast sieben Monate – von Mitte April bis Mitte November – auf der Flucht. Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir großes Glück hatten. Wir wissen jetzt ein bißchen, in welch verzweifelter Lage sich Millionen von Flüchtlingen, Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern auf der ganzen Welt befinden. Und seit wir in Münster leben, ahnen wir, wie schwer es für Menschen in der westlichen Welt ist, diese verzweifelten Situationen der Flüchtlinge nachzuvollziehen. Das, was die Stadt Münster leistet, ist ein großer humanitärer Schritt und sollte Vorbild für lokale, regionale und staatliche Institutionen sein. Alle sollten es Münster gleich tun. Wir freuen uns deshalb sehr, dass die deutsche Regierung vor wenigen Tagen einen solchen Schritt gegangen ist.

Wir grüßen Sie zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung.

Ihre zwei Kriegsdienstverweigerer aus Serbien, zur Zeit in Münster.


Nach oben