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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV Kirche-Migration 1990 :::

Frankfurter Rundschau
Lokalrundschau

Freitag, 5. Oktober 1990

Asylsuchende dürfen ein paar Tage Urlaub machen

Gericht hebt Verbot von Landrat Riebel wieder auf

Von Susanne Hoerttrich

MAIN-TAUNUS-KREIS. – Die Ausländerbehörde des Main-Taunus-Kreises hat gestern mit ihrer engen Auslegung des Asylverfahrensgesetzes erneut eine Schlappe vor Gericht erlitten. 25 Kindern und 14 erwachsenen Flüchtlingen aus Eritrea, Afghanistan, dem Iran und Pakistan wollte Landrat Jochen Riebel (CDU) verweigern, den Main-Taunus-Kreis zu verlassen, um an einer Familienfreizeit am Gederner See (Vogelsberg) teilzunehmen. Mit einer einstweiligen Anordnung entschied das Verwaltungsgericht Wiesbaden zugunsten einer Iranerin und ihrer beiden minderjährigen Kinder. Landrat Jochen Riebel kündigte gestern daraufhin an, alle Flüchtlinge fahren zu lassen. Er wird gegen den Beschluß keine Rechtsmittel einlegen.

Der Hofheimer Pfarrer Herbert Leuninger (Pax Christi) und andere Vertreter katholischer Organisationen reagierten gestern während einer Pressekonferenz in Hofheim mit Erleichterung auf die Entscheidung des Gerichtes. Mit Spendengeldern, kirchlichen Zuschüssen und einem „organisatorischen Kraftakt“ hatte Pax Christi dafür gearbeitet, 80 Flüchtlingen etwas zu ermöglichen, „was für uns Einheimische selbstverständlicher Bestandteil des Lebens“ ist, nämlich „eine kurze, erholsame Freizeit zu gestalten.“

In einem Brief an Landrat Jochen Riebel macht Pfarrer Leuninger deutlich, warum diese Freizeit für die Flüchtlinge so wichtig ist: „Bei den beengten Wohnverhältnisse, in denen viele von ihnen leben müssen, ihrer weitgehenden Isolierung und der Unmöglichkeit, selbst einen Urlaub zu gestalten und zu finanzieren, betrachten wir diese Freizeit als eine wichtige Maßnahme der Erholung, des gegenseitigen Austausches und der psychischen Stabilisierung:“ Weil die meisten betroffenen Flüchtlinge zusammen in einem Haus an der Ahornstraße in Hofheim leben und auch sonst immer gemeinsam zu Veranstaltungen eingeladen werden, sei es eine „unbillige Härte“, einem Teil von ihnen die Reise zu verweigern, argumentierte Leuninger. So lebe beispielsweise eine eritreische Familie, deren Asylanträge anerkannt sind, in der Ahornstraße Tür an Tür mit einer Eritreerin und ihren beiden Kindern, die noch Asylsuchende ist und infolgedessen den Main-Taunus-Kreis ohne Erlaubnis nicht verlassen darf.

Für die Ausländerbehörde waren dies, im Gegensatz zum Verwaltungsgericht, jedoch keine Gründe, die nötige Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Die ablehnende Antwort der Ausländerbehörde sei „ein Schlag ins Kontor“ gewesen, sagt Pfarrer Leuninger, zumal Landrat Jochen Riebel zu Beginn seiner Amtszeit Signale gesetzt habe, die hoffen ließen, „daß er die Erlaubnis geben würde“. Negative Erfahrungen hatte Pax Christi schon mit dem Riebel-Vorgänger Bernward Löwenberg (CDU) gemacht, der vor vier Jahren ebenfalls zunächst die Teilnahme an einer Freizeit verweigerte, dann aber auch korrigiert wurde.

In dem der FR vorliegenden Beschluß des Verwaltungsgerichtes Wiesbaden wird die Entscheidung der Ausländerbehörde konterkariert: „Gerade auch im Hinblick auf die in Paragraph 25 des Asylverfahrensgesetzes zum Ausdruck kommende Intention, Asylbewerbern den Kontakt mit Betreuungsorganisationen zu erleichtern, muß vorliegend von einer Ermessensreduzierung auf Null und damit einer Verpflichtung der Ausländerbehörde, die beantragte Erlaubnis zu erteilen, ausgegangen werden.“

Landrat Jochen Riebel (CDU) sieht das genau umgekehrt: Der „restriktive Charakter“ des Asylverfahrensgesetzes sei Wille des Gesetzgebers gewesen. „Da vom Rechtsgedanken her das Wort Urlaub nirgendwo vorkommt, ist nach meinem Gefühl das Ermessen der Ausländerbehörde auf Null reduziert, in dem Sinne, daß ich die Fahrt nicht erlauben darf: „Wenn es jetzt nach dem Gerichtsbeschluß eine „unbillige Härte“ sei, den Urlaub zu verweigern, gebe es „keinen anderen denkbaren Fall“ mehr, das Verlassen des Kreises zu verweigern, sagt der Kreishauschef, dem es wichtig ist zu betonen: „Ich mache keine Ausländerpolitik, ich vollziehe sie nur“.

Herbert Leuninger freilich kommentiert das anders: „Die Entscheidung des Landrates hängt zusammen mit der politischen Akzentsetzung, die Asylgesetzgebung mit ihren einschränkenden Maßnahmen durchzusetzen. Die dahinterstehende Abschreckung soll wirksam werden, koste es menschlich, was es wolle.“


FR – Kommentar

Urteile übersehen

„Wir machen keine Ausländerpolitik. Wir vollziehen sie nur.“ Landrat Jochen Riebel (CDU) ist sehr darum bemüht, sich akkurat im Rahmen dessen zu bewegen, was der Gesetzgeber vorsieht. In Fragen des Asylverfahrensgesetzes zieht der Kreishauschef dazu gerne Gerichtsurteile und Kommentare zu Rate oder setzt seinen juristischen Sachverstand ein. Nur manchmal gehen ihm dabei offenbar die Urteile durch die Lappen, die das Recht zugunsten der Asylbegehrenden auslegen. So hat beispielsweise das Stuttgarter Verwaltungsgericht am 27. April 1981 entschieden, Urlaub könne ein „zwingender Grund“ sein, einem Asylsuchenden zu erlauben, den Kreis zu verlassen.

Und es gibt sogar noch weitergehende Gerichtsentscheide. Die besagen beispielsweise, daß Asylsuchende, wenn sie nicht unmittelbar für ihr Verfahren gebraucht werden, die Erlaubnis bekommen müssen, ihren eng abgesteckten Aufenthaltsraum zu verlassen.

Diese Urteile scheinen bisher in den viel zitierten „Ermessensspielraum“ des Landrates nicht einzufließen. Seine de facto restriktiven ausländerpolitischen Entscheidungen haben die Gerichte jetzt zum zweiten Mal korrigiert. SUSANNE HOERTTRICH


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