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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV PRO ASYL PRESSEERKLÄRUNG 1993 :::
27.12.1993

Hilfe für Flüchtlinge
ASYL-BILANZ ’93
neue Aufgaben


Schock

„Der Schock bei den Flüchtlingsinitiativen über die am 1. Juli eingetretene Änderung des Asylrechts zur Jahresmitte sitzt tief“. Dies erklärte „Pro Asyl“ zum Jahresende in Frankfurt. Dennoch verzeichnet die bundesweite Arbeitsgemeinschaft keinen Rückgang der Aktivitäten, sondern einen erhöhten Bedarf an Informationen und Handreichungen. Ein Leitfaden für die Praxis trägt diesem Bedürfnis Rechnung. Er soll juristischen Laien als Wegweiser durch den neuen Paragraphendschungel dienen. Danach hat jeder Flüchtling das Recht, sich bei seinem Verfahren von einem Bevollmächtigten begleiten oder vertreten zu lassen. Dieser muß kein Rechtsanwalt sein. Ohnehin registriert „Pro Asyl“ Klagen darüber, daß Asylbewerber durch die kurzen Fristen für ihre Anhörung und die Anrufung der Gerichte nur noch in seltenen Fällen einen Anwalt erreichten. So wären Asylbewerber, die zu Tausenden heimlich die deutsche Grenze überschritten hätten, oft schneller wieder draußen, als sie hereingekommen seien.

Kirchenasyl

Stark angestiegen sind auch die Abschiebungen von Ausländern, darunter vor allem die von abgelehnten Asylbewerbern. Waren es im ganzen Vorjahr ca. 20.000, so in den ersten neun Monaten dieses Jahres bereits 21.000. Bisher hat es immer wieder Versuche gegeben, Abschiebungen von Menschen, die bei ihrer Rückkehr an Leib und Leben bedroht sind, für die aber kein Rechtsschutz mehr besteht, durch das Kirchenasyl zu verhindern. Nach dem Vorbild der USA, der Schweiz und der Niederlande ist es im September zu einer Vernetzung entsprechender Initiativen in Nordrhein-Westfalen gekommen. Ein bundesweiter Zusammenschluß soll im Februar des kommenden Jahres erfolgen.

Bundesverfassungsgericht

„Pro Asyl“ geht davon aus, daß die Einstufung aller Anrainerstaaten Deutschlands als sogenannte sichere Drittstaaten verfassungsrechtlich nicht durchzuhalten ist. Einzelne bis vor das Bundesverfassungsgericht vorgetragene Fluchtschicksale haben gezeigt, daß die sicheren Drittstaaten nicht unbedingt sicher sind und eine Abschiebung von dort in das Verfolgerland nicht auszuschließen ist. Mit Spannung wird daher das ausstehende Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe erwartet. Dieses hatte in Eilentscheidungen zugunsten zweier Bahá’í-Anhänger aus dem Iran erklärt, es müßten die Fragen beantwortet werden, ob der Absatz 2 des neuen Artikels 16a bei fehlender Sicherheit eines Drittstaates einschränkend ausgelegt werden könne. Auch werde der Frage nachzugehen sein, ob nicht andere Verfassungsbestimmungen wie z.B. Artikel 1 (Würde des Menschen) und Artikel 2 (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) die Abschiebung eines Flüchtlings in sein Heimatland verbieten, wenn ihm dort eine menschenrechtswidrige Behandlung droht. Die kurzen Fristen, zu denen das Gericht Experten zu Stellungnahmen aufgefordert hat, läßt auf eine Entscheidung am Anfang des kommenden Jahres schließen.

Europa

Eine wichtige Aufgabe sieht „Pro Asyl“ im kommenden Jahr darin, die europäische Zusammenarbeit von Flüchtlingsorganisationen zu unterstützen. Durch eine großräumige Abschottung von Gibraltar bis zum Ural, vom Peloponnes bis zum Nordkap werde Flucht aus den Krisenregionen der Welt nach Westeuropa immer schwieriger. So habe Polen nach bundesdeutschem Vorbild mit allen seinen östlichen Nachbarstaaten Verträge zur Rücknahme von Flüchtlingen abgeschlossen. Auch habe der russische Präsident Boris Jelzin nach den Wahlen Maßnahmen getroffen, um die Kontrolle der Ein- und Weiterreise von Flüchtlingen an den Grenzen Rußlands und auf den Flughäfen erheblich zu verschärfen.

Herbert Leuninger, Sprecher von „Pro Asyl“


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