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TAG DES FLÜCHTLINGS 1997

Anregungen zum Tag des Flüchtlings 1997

Günter Burkhardt

Traditionell findet der Tag des Flüchtlings in Deutschland am Freitag in der Interkulturellen Woche / Woche der ausländischen Mitbürger statt. In diesem Jahr fällt er auf den 3. Oktober, den Tag der deutschen Einheit. Sicherlich ist ein arbeitsfreier Feiertag, der auf einen Freitag fällt, kein günstiges Datum. Viele werden das verlängerte Wochenende zum Urlaub nutzen. Für PRO ASYL stellte sich die Frage, ob der Tag des Flüchtlings verlegt werden soll. Unsere Empfehlung lautete: Nein.

Die zufällige Zeitgleichheit hat auch eine Symbolwirkung und wirft inhaltliche Fragen auf: Welche Einheit ist gemeint? Der Zusammenbruch des Staatssozialismus in der DDR hatte seinen Ursprung in dem Streben nach Freiheit, Bürger- und Menschenrechten. Freiheit und Menschenrechte sind nicht in einer hermetisch abgeschlossenen Festung zu erreichen. Freiheit heißt auch: Offenheit für andere, Offenheit für Menschen, denen nichts anderes übrigbleibt, als ihr Land zu verlassen, als zu fliehen, um frei zu sein. Der Tag der deutschen Einheit darf nicht zum Tag der Deutschtümelei werden. Asylinitiativen sollten deshalb diesen Tag nicht der politischen Rechten und den Gegnern des Rechts auf Asyl überlassen. Der Tag des Flüchtlings sollte gezielt zu Veranstaltungen genutzt werden, die danach fragen, wie es um die Grundrechte in Deutschland steht. Deshalb sollte der Tag des Flüchtlings nicht verlegt werden. Selbstverständlich ist jede Initiative, jede Kirchengemeinde frei, andere, eventuell günstiger erscheinende Tage für Veranstaltungen zu wählen.

Folgende Themen können zum Tag des Flüchtlings besonders herausgestellt werden:

Verfolgte Frauen

Bei der Weltfrauenkonferenz im September 1995 spielte das Thema »Flüchtlingsfrauen« eine wichtige Rolle. Bereits im Jahr 1990 hat der Deutsche Bundestag einstimmig Verbesserungen für Frauen im Asylverfahren gefordert. Keine der Forderungen des Deutschen Bundestages ist bisher umgesetzt worden. Mit Zustimmung der Bundesregierung ergangene Beschlüsse des Exekutivkomitees des UNHCR, des Europäischen Parlaments etc. bleiben ohne Folgen. Deshalb hat PRO ASYL zusammen mit dem Deutschen Frauenrat, einer Dachorganisation von über 100 Frauenverbänden in Deutschland, die Kampagne »Verfolgte Frauen schützen!« am Internationalen Frauentag am 8. März 1997 gestartet. Diese Kampagne wird unterstützt vom Deutschen Gewerkschaftsbund, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen u.a. Ziel ist es, auf die spezifische Situation von Frauen im Asylverfahren aufmerksam zu machen. Die Exekutive (Bundes- und Länderinnenminister) muß dazu bewegt werden, geltende Gesetze so auszulegen, daß verfolgte Frauen tatsächlich Schutz finden. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, in § 51 Ausländergesetz klarzustellen, daß auch eine Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Gründen ein asylrechtliches Abschiebungshindernis darstellt. Das Bundesamt muß vom Bundesinnenminister angewiesen werden, im Bereich des § 53 Ausländergesetz sexuelle Übergriffe als Abschiebungshindernis zu akzeptieren, wenn und solange im Herkunftsstaat die gesellschaftliche Realität ein Leben der Frauen in Würde nicht erwarten läßt.
Diese Aktion des Deutschen Frauenrates und PRO ASYL ist über ein Jahr hinweg angelegt. Wir bitten darum, Veranstaltungen zum Tag des Flüchtlings, aber auch zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember und zum Internationalen Frauentag am 8. März 1998 durchzuführen.

  • Bitte legen Sie den Aufruf »Verfolgte Frauen schützen!« (siehe Umschlagrückseite) bei Veranstaltungen und in Kirchengemeinden aus.
  • Die Unterschriftenaktion soll bis zum Internationalen Frauentag 1998 gehen. Dann sollen die Unterschriften der Bundestagspräsidentin übergeben werden.

Situation in Abschiebungshaftanstalten

Die gegenwärtige Praxis der Verhängung von Abschiebungshaft ist aus verschiedenen Gründen verfassungswidrig. Dies hat Rechtsanwalt Hubert Heinhold in dem PRO ASYL-Faltblatt »Abschiebungshaft in Deutschland« herausgearbeitet. Abschiebungshaft kann bis zu sechs Monaten – angeordnet und auf bis zu 18 Monate verlängert werden. Werden Deutsche straffällig, können sie nur dann in Untersuchungshaft genommen werden, wenn eine Strafe ohne Bewährung droht. Eine halbjährige Untersuchungshaft ist z. B. nur dann gerechtfertigt, wenn eine erhebliche Freiheitsstrafe ohne Bewährung zu erwarten ist. Abgelehnte Asylsuchende oder Ausländer/innen, die ausgewiesen werden sollen, können dagegen, ohne daß sie eine Straftat begangen haben, bis zu 1 1⁄2 Jahre inhaftiert werden.
Die zunehmende Inhaftierung von Flüchtlingen ist nicht nur in Deutschland ein Problem. Der Europäische Flüchtlingsrat ECRE hat dazu aufgerufen, auf die Situation der Flüchtlinge in Haft öffentlich aufmerksam zu machen. Europaparlamentarier/innen, Mitglieder nationaler Parlamente etc. sollen gebeten werden, Abschiebungshaftanstalten zu besuchen. Der UN-Arbeitsgruppe zu willkürlicher Inhaftierung sollen Fälle und Berichte aus der Praxis übergeben werden. Wir bitten um Zusendung gut dokumentierter Fälle zur Weiterleitung.
Im vorliegenden Materialheft haben wir auf die Situation in Abschiebungshaft einen besonderen Schwerpunkt gelegt und versucht, Beispiele und Anregungen zusammenzustellen.

Europäisches Jahr gegen Rassismus

Die Europäische Kommission hat 1997 zum »Europäischen Jahr gegen Rassismus« bestimmt. In Deutschland wird dieses Jahr durch das Bundesinnenministerium, Abteilung Innere Sicherheit, koordiniert. Angesichts der Politik des Bundesinnenministers ist dies ein Ärgernis ohnegleichen. Trotzdem sollte das Jahr genutzt werden, um auf den Rassismus in Deutschland aufmerksam zu machen. Bewußt hat PRO ASYL das Logo des EU-Jahres gegen Rassismus auf den Faltblättern zum Thema »Abschiebungshaft« oder dem Heft zum Tag des Flüchtlings verwendet. Wir regen an, Veranstaltungen in diesem Jahr ganz bewußt in den Rahmen des Europäischen Jahres gegen Rassismus zu stellen und dabei auch das von der Europäischen Kommission herausgegebene Logo zu verwenden.

In Deutschland wurde jahrelang geleugnet, daß es Rassismus gibt und schließlich auf das Phänomen der Gewalt gegen Ausländer und Flüchtlinge reduziert. Die Gewalt gegen Fremde ist nur die Spitze eines Eisberges, einer breiten Front der Ablehnung bis hin zur staatlichen Ausgrenzung, z.B. durch die Gesetzgebung. Im Europäischen Jahr gegen Rassismus sollten Flüchtlingsinitiativen hier aktiv werden. Besonders eklatant ist die Ausgrenzung von Flüchtlingen durch das Asylbewerberleistungsgesetz.

Das Bundessozialhilfegesetz soll jedem Menschen ein Leben in Würde ermöglichen. Das Grundgesetz kennt nur eine Menschenwürde und unterscheidet hier nicht zwischen Deutschen und Ausländern. Willkürlich wurden Flüchtlinge aus dieser existentiellen Grundsicherung ausgegrenzt. Sie erhalten geringere Leistungen nach dem sog. Asylbeweberleistungsgesetz. Haben sie etwa nicht die gleiche Würde wie Deutsche und dauerhaft in Deutschland lebende Ausländerinnen und Ausländer?

Eine der zentralen Ursachen der Ablehnung von Flüchtlingen liegt in der Unkenntnis über die Gründe der Flucht. Einer der wichtigsten Ansätze, um Rassismus zu bekämpfen, ist deshalb die Aufklärung über die Fluchtursachen und die Situation in Herkunftsländern. Auch solche Veranstaltungen, die alljährlich zum Tag des Flüchtlings an vielen Orten stattfinden, sollten bewußt in den Rahmen des Europäischen Jahres gegen Rassismus gestellt werden. Hier liegt eine zentrale Aufgabe für Asylinitiativen, zumal die Politik kaum einen Versuch unternimmt, Vorurteile gegen Flüchtlinge abzubauen, im Gegenteil diese Vorurteile jahrelang geschürt hat.

Das Europäische Jahr gegen Rassismus verläuft nicht im Sinne des deutschen Koordinators. Zu Beginn des Jahres wies PRO ASYL in einer Presseerklärung, die in vielen Zeitungen Deutschlands abgedruckt wurde, auf die Diskriminierung im Sozialhilferecht hin. Die Einführung der Visumpflicht für Kinder aus den ehemaligen Anwerbestaaten löste eine Welle der Empörung aus, wobei immer wieder auf den Widerspruch zwischen der Politik des Bundesinnenministers und den Zielen des Europäischen Jahres gegen Rassismus hingewiesen wurde. In diesem Sinne sollten wir das Europäische Jahr gegen Rassismus weiterführen. Beispiele dafür gibt es genug.

Tag des Flüchtlings

Am Tag des Flüchtlings soll in diesem Jahr die Kampagne »Der Einzelfall zählt« weitergeführt werden. Auf das Schicksal jedes einzelnen Menschen kommt es an. Unser besonderes Augenmerk gilt der geplanten massenhaften Abschiebung von Flüchtlingen nach Bosnien. Wir regen an, die geplante Rückführung nach Bosnien zu einem der zentralen Themen des Tages des Flüchtlings zu machen. Erfahrungen aus den letzten Jahren zeigen, daß viele Zeitungen offen sind, Einzelfälle zum Tag des Flüchtlings der Öffentlichkeit vorzustellen. Die Politik schürt in bezug auf Bosnien die Erwartung, daß eine schnelle Rückkehr nach Bosnien möglich sei. Einzelne Schicksale von Flüchtlingen, z. B. gemischtnationale Familien, sollten zum Tag des Flüchtlings der Öffentlichkeit dargestellt werden. Besuchsreisen von Flüchtlingen und deutschen Unterstützenden nach Bosnien mit anschließendem Bericht, z. B. am Tag des Flüchtlings, können ebenfalls zur Bewußtseinsbildung beitragen. Es ist wichtig, anhand konkreter Einzelschicksale die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, damit Druck von unten gegen die den Einzelfall mißachtende Abschiebungsmaschinerie entsteht.

All dies sind viel zu viele Themen für einen Tag. Deshalb regen wir an, Veranstaltungen zum Tag des Flüchtlings bis hin zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember auszudehnen. Fragen des Umgangs mit Flüchtlingen und die Frage des Rassismus in Deutschland sind Menschenrechtsfragen. Dies wird in Deutschland bisher nicht ausreichend wahrgenommen, auch von in der Asylarbeit Engagierten. Unser Gegenüber sind in der Regel die Innenpolitiker von Regierungen und Parlamenten. Kaum befaßt werden die für Menschenrechtsfragen zuständigen Abgeordneten, die als Unterausschuß Menschenrechte eine Untergliederung des Auswärtigen Ausschusses sind.
In der internationalen Öffentlichkeit wird jedoch zunehmend ein Zusammenhang zwischen der Asyl- und Ausländerthematik und Menschenrechtsverletzungen hergestellt. Die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen hat 1993 einen Sonderberichterstatter für Rassismusfragen ernannt und beschäftigt sich mit der Menschenrechtssituation in Deutschland. Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung zur Achtung der Menschenrechte in der Europäischen Union vom 17. September 1995 ebenfalls die Flüchtlingsthematik in den Kontext der Menschenrechtsthematik gestellt und Verbesserungen im Asylbereich gefordert.

Der Zusammenhang zwischen Menschenrechts- und Asylfragen muß unsererseits stärker herausgearbeitet werden. Das Heft zum Tag des Flüchtlings ist deshalb so konzipiert, daß es auch Anregungen zum Tag der Menschenrechte enthält. Die Plakatserie des Vorjahres, in der der Umgang mit den Opfern von Menschenrechtsverletzungen im Asylverfahren gezeigt wird, ist weiter verfügbar und nicht nur zum Tag des Flüchtlings, sondern auch zum Tag der Menschenrechte einsetzbar.

Stilles Gedenken
Trauer sollte niemanden ausschließen. Das vertritt eine Flüchtlingsinitiative aus dem bayerischen Wolfratshausen und erinnerte anläßlich des Volkstrauertages 1996 an die Flüchtlinge, die sich in Bayern das Leben genommen haben.

Foto: Sabine Hermsdorf

Aus der Lokalzeitung: »Eine Ehrenformation der Wolfratshauser Gebirgsschützenkompanie stand Spalier, als die Kränze niedergelegt wurden. An der Zeremonie beteiligten sich der Bürgermeister sowie Abordnungen der Feuerwehr, der Soldatenkameradschaft, des VdK, der SPD, der CSU, des Trachtenvereins D’Loisachtaler, der Königlich-privilegierten Feuerschützengesellschaft, der Sudetendeutschen Landsmannschaft und der Gebirgsschützenkompanie. Die Sängerzunft und der Trompeter Joachim Kopp umrahmten die von Böllerschüssen beschlossene Feierstunde. Die Mitglieder einer Initiative entrollten bei der Gedenkveranstaltung ein Transparent mit den Namen von neun Asylbewerbern, die sich in Bayern aus Angst vor Abschiebung das Leben genommen haben.«


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