TAG DES FLÜCHTLINGS 1999
Aktuelles Grundlagenpapier zum »Kirchenasyl«
aus: KLD-Brief Ausländische Flüchtlinge Nr.29
Materialheft zum Tag des Flüchtlings am 1. Oktober 1999
Herausgeber: PRO ASYL, Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge
mit freundlicher Unterstützung von: Deutsche Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe e. V., Deutscher Caritasverband e. V., Interkultureller Beauftragter der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, Kirchlicher Entwicklungsdienst der Ev. Kirche in Deutschland, durch den ABP, Land Hessen
Der Tag des Flüchtlings findet im Rahmen der Woche der ausländischen Mitbürger/ Interkulturellen Woche (26. September bis 2. Oktober 1999) statt und wird von PRO ASYL in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Vorbereitungsausschuß zur Woche der ausländischen Mitbürger vorbereitet.
INHALT
- Grußwort des Vertreters des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) in der Bundesrepublik Deutschland
- Zum 50. Jahrestag eines geschundenen Grundrechts: Auszüge aus gesammelten Übertreibungen
- 50 Jahre Grundgesetz – (k) ein Feiertag für Flüchtlinge(?)
- Der Lack blättert
- Bundesamt im Außendienst
- Kontinuitäten …
- Nichtstaatliche Verfolgung und die Genfer Flüchtlingskonvention
- Kampagne »Verfolgte Frauen schützen!«
- Von Deutschland in den türkischen Folterkeller
- Tödliche Fehleinschätzungen: Deutschland und der Kosova-Krieg
- Vergebliche Mahnungen: Die deutsche Politik ignorierte jahrelang die Zeichen der Eskalation im Kosovo
- Kindeswohl in Theorie und Praxis
- Woran wir uns nicht (wieder) gewöhnen dürfen: Die organisierte Unmenschlichkeit der Abschiebungshaft in Deutschland
- Ausgrenzen und bespitzeln – Die Realität des Asylbewerberleistungsgesetzes
- Die erneute Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes 1998
- Aktuelles Grundlagenpapier zum »Kirchenasyl«
- »Man sieht am Abend, was man geschafft hat«
- Zwischen Aufruhr und Routine – Alltag beim Bundesgrenzschutz am Frankfurter Flughafen
- Blinde Passagiere – Flüchtlinge auf dem Seeweg
- Europäische Asyl- und Migrationspolitik im Übergang »von Maastricht nach Amsterdam«
- Budapest oder Barcelona? Die Rolle der Europäischen Union als Wohlstandsinsel
- Europäische Union (externer Link)
- Statistiken 1998
Die für Migrationsfragen zuständige Kommission XIV der Deutschen Bischofskonferenz hat im November 1998 eine Schrift herausgegeben mit dem Titel: »Hilfe und Schutz bedrohter Menschen im Einzelfall«. Der Untertitel lautet: »Eine Argumentations- und Entscheidungshilfe zum sogenannten ›Kirchenasyl‹«. Das Papier will zur Klärung und zum besseren Verständnis des Sachverhalts beitragen, zu einer Versachlichung der öffentlichen Debatte in der Kirche sowie in Politik und Gesellschaft ermuntern sowie konstruktive Perspektiven und Entscheidungshilfen im Konfliktfall aufzeigen.
Die in zwölf Thesen zusammengefaßten Hauptgedanken der Schrift sind nachfolgend wiedergegeben:
- »Heilige Orte« (Asylstätten) mit einer eigenen Gesetzlichkeit hat es zwar in der Geschichte der christlichen Religionen gegeben. Im modernen Rechtsstaat ist jedoch der sakrale Ort kein rechtsfreier Raum mehr. Da folglich nur der Staat Flüchtlinge anerkennen, insbesondere Asyl gewähren kann, nimmt »Kirchenasyl« einen solchen rechtsfreien Raum nicht in Anspruch.
- »Kirchenasyl« ist der Versuch, dem der begründeten Befürchtung nach zu Unrecht abgewiesenen Flüchtling zu seinem Recht zu verhelfen. Es geht um eine Beistandsleistung, die primär tatsächlich gefährdeten Personen den nötigen Schutz gibt und dadurch indirekt ein besseres und gerechteres Flüchtlingsrecht im Einzelfall einklagt. Weder eine Opposition gegen den Staat noch eine Relativierungvon dessen Rechtsprechung ist damit angezielt.
- Die Kirche fühlt sich zu einer kritischen Haltung und Wachsamkeit aufgefordert, die Grundwerte in einem demokratischen Gemeinwesen zu wahren. Diese Wachsamkeit ist besonders geboten, da sich auch seit der Asylrechtsänderung vom 1.7.1993 Fälle von Fehlleistungen der Verwaltung und Gerichte sowie Mängel bei der Durchführung des Asylverfahrens mit zum Teil fatalen Folgen für die Betroffenen aufzeigen lassen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich eine Beistandspflicht, das Flüchtlingen versagte Recht vom Staat einzufordern.
- Infolge der Asylrechtsänderung und einer restriktiven Auslegung des »politischen Asyls« wird die Diskrepanz zwischen dem rechtlich anerkannten politischen Asyl und dem tatsächlichen Schutzbedürfnis von Flüchtlingen entsprechend der Genfer Flüchtlingskonvention und anderer internationaler Konventionen größer. Das führt zu einer wachsenden Kluft und bringt Christen zunehmend in Gewissenskonflikte.
- Wenn es um das Grundrecht des Menschen auf Leib und Leben geht, ist sogar ein Verstoß gegen das Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen ethisch gerechtfertigt. Dieser Grenzfall kann im Falle einer zu Unrecht drohenden Abschiebung eintreten. Verantwortbar ist eine Intervention gegen eine rechtskräftige Abschiebeandrohung nur bei einer ernsthaften Gewissensprüfung und -entscheidung.
- Die Bitte eines Flüchtlings um Beistand und Schutz im Falle einer angedrohten Abschiebung kann Christen und Gemeinden in eine ethische Konfliktsituation führen. Gegenüber den rechtsstaatlich getroffenen Entscheidungen klagen sie deren mangelnde Legitimität ein: besonders im Hinblick auf fundamentale Rechte, wie es beispielsweise das Recht auf Unversehrtheit des Lebens, aber auch das Asylrecht als Menschenrecht darstellt. Dies wird nicht nur vom Glaubensethos, sondern auch vom staatsbürgerlichen Ethos begründet.
- Eine Beistands- und Schutzgewährung kommt nur dann in Frage, wenn der Schutzsuchende sich selbst mit der Bitte um Hilfe an Amtsträger oder andere Mitglieder der Kirche wendet. Weder den Flüchtlingen noch den verantwortlichen Gemeinden darf ein »Kirchenasyl« aufgenötigt werden. Schließlich hat sowohl der Schutzsuchende als auch der Schutzgewährende jeweils die Letztverantwortung für das eigene Handeln.
- Das Engagement von Christen und Gemeinden, die sich durch »Kirchenasyl« einer drohenden Abschiebung in den Weg stellen, geht von Einzelfällen aus und richtet sich in erster Linie auf Einzelmaßnahmen. Ihre Beistands- und Schutzgewährung ist dabei als »ultima ratio«, das heißt als letztes zur Verfügung stehendes Mittel zur Abwendung einer akuten Gefahr für Leib und Leben eines von Abschiebung bedrohten Flüchtlings zu verstehen.
- »Kirchenasyl« ist längerfristig kein geeignetes Mittel, um Mängel im geltenden Flüchtlingsrecht auszugleichen. Letztlich muß alles daran gesetzt werden, politische und gesetzliche Lösungen zur Verbesserung des staatlichen Flüchtlingsschutzes anzustreben.
- Als »ultima ratio« stellt »Kirchenasyl« einen Akt der Nothilfe für Flüchtlinge dar. Notwendig werden neben diesem allerletzten Mittel, aber auch und vielleicht noch mehr, die ersten präventiven Mittel zur Schutz- und Beistandsgewährung von Flüchtlingen. Viele Möglichkeiten, beispielsweise der rechtzeitigen Beratung und der Öffentlichkeitsarbeit, sind noch lange nicht ausgeschöpft.
- Ziel einer vorbeugenden Flüchtlingsarbeit ist es, darauf hinzuwirken, daß ein »Kirchenasyl« nicht erforderlich wird. Zu einer solchen präventiven Sorge gehört eine frühzeitige Kontaktaufnahme zwischen Flüchtlingen und Kirchengemeinden. Die Gewährung von »Kirchenasyl« ist Ausdruck und letzte Konsequenz eines allgemeinen Einsatzes für Flüchtlinge und eines entsprechenden gesellschaftspolitischen Engagements.
- Im Bedarfsfall kann es hilfreich sein, »Kirchenasyl« in binnenkirchlicher und/ oder ökumenischer Vernetzung und in Zusammenarbeit mit außerkirchlichen gesellschaftlichen Gruppen bzw. Organisationen durchzuführen.
Die Schrift »Hilfe und Schutz bedrohter Menschen im Einzelfall – Eine Argumentations- und Entscheidungshilfe zum sogenannten ›Kirchenasyl‹ « kann gegen Rückporto bestellt werden bei: Prälat Dr. Peter Prassel, Adenauerallee 134, 53113 Bonn, Tel.: 0228/ 10 32 18.