Flughafen Frankfurt Rhein-Main:
Minderjähriger Flüchtling in Abschiebungshaft genommen
Einzelrichter auf Probe ignoriert die obergerichtliche Rechtsprechung
PRO ASYL: Abschiebungshaft für Minderjährige verstößt gegen Völkerrecht
Mit Beschluß vom 6. Januar 1997 hat ein Richter des Amtsgerichts Frankfurt am Main einen Sechzehnjährigen aus dem Himalaja-Kleinstaat Bhutan bis Ende des Monats in Zurückweisungshaft nehmen lassen. Aus Indien kommend war dieser am 1. Dezember 1996 auf dem Frankfurter Flughafen gelandet und hatte einen Asylantrag gestellt, der vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und vom Verwaltungsgericht Frankfurt als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden war. Am Neujahrstag wurde auf Antrag des Grenzschutzamtes Frankfurt „Sicherungshaft zum Zwecke der Zurückweisung“ verhängt. Ein erster Abschiebungsversuch nach Kathmandu/Nepal scheiterte daran, daß die nepalesische Einwanderungsbehörde die Einreise mit der Begründung verweigerte, es handele sich um einen bhutanischen Staatsangehörigen. Daraufhin hatte das Amtsgericht über die weitere Sicherungshaft zu entscheiden und ordnete sie an.
Die bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge PRO ASYL protestiert scharf gegen diesen Verstoß gegen das Völkerrecht und die Mißachtung geltender Kriterien für die Anordnung von Abschiebungshaft.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes genügt die bloße Weigerung, freiwillig das Bundesgebiet zu verlassen, nicht für die Anordnung von Abschiebungshaft. Vielmehr muß mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, daß der Ausländer seine Abschiebung ohne Haft erheblich behindern oder sich der Abschiebung entziehen werde. Diese Annahme muß sich auf konkrete Umstände stützen (BGH, Beschluß vom 12. Juni 1986). Zur Begründung der Inhaftnahme führt der Einzelrichter u.a. an, daß Zweifel an den Personenangaben des Jugendlichen beständen. Zwar spreche die Einreiseverweigerung durch Nepal dafür, daß er Bhutaner sei. Andererseits habe die bhutanische Vertretung in Genf Zweifel an den Angaben des Betroffenen geäußert. Obwohl der Jugendliche seine Adresse in Bhutan und die von ihm besuchte Schule genannt hatte, genügte dem Amtsrichter die bloße Mutmaßung der Auslandsvertretung Bhutans. Deren Aussage überzubewerten verbietet sich eigentlich, ist ihre Interessenlage doch zumindest zweifelhaft. Denn nach Auskunft von amnesty international sehen sich viele nepalisprachige Bhutaner als Folge der diskriminierenden Politik Bhutans zum Verlassen des Landes gezwungen. Ob jemand bhutanischer Staatsbürger ist, ist also ein Politikum ersten Ranges.
Völlig unbeachtet ließ der Amtsrichter, daß es sich bei dem Betroffenen um einen Minderjährigen handelt, für den die Inhaftierung nach dem gescheiterten Abschiebungsversuch eine besondere Härte darstellt und der sich von der Situation völlig überfordert fühlen muß. In der Begründung der sofortigen Beschwerde gegen die Freiheitsentziehung weist der Rechtsanwalt denn auch darauf hin, daß das Kindeswohl vom Gericht außer Acht gelassen worden sei und bei einer Abwägung der möglichen Mittel nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unserer Verfassung die Haftanordnung gegen einen Minderjährigen auf keinen Fall als das gebotene mildeste Mittel anzusehen sei. Der Jugendliche gehöre in die Betreuung des Jugendamtes und nicht in Haft.
PRO ASYL forderte über die Kritik am Einzelfall hinaus, die Inhaftierung Minderjähriger zum Zwecke der Sicherung ihrer Abschiebung müsse vom Gesetzgeber verboten werden. PRO ASYL-Sprecher Heiko Kauffmann verwies dabei auch auf völkerrechtliche Normen: „Gemäß Art. 37(b) der UN-Kinderrechtskonvention darf die Freiheitsentziehung bei einem Kind nur das letzte Mittel sein und nur für die kürzeste angemessene Zeit angewandt werden. Nachdem der deutsche Gesetzgeber Minderjährige im Asylverfahren für verfahrensfähig erklärt hat, scheinen Richter nun auch im sensiblen Bereich der Freiheitsentziehung Staatsraison vor Kindeswohl zu stellen. Ihre Verpflichtung aber ist es, die Regeln des Völkerrechts auf Flüchtlingskinder anzuwenden.“