14. Mai: ein Jahr nach Karlsruhe
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts noch nicht umgesetzt
PRO ASYL: Nicht Schlußpunkt, sondern Ausgangspunkt
„Die Karlsruher Asylentscheidungen vor einem Jahr sind für PRO ASYL und die Flüchtlingsbewegung nicht Schlußpunkt, sondern Ausgangspunkt für eine Neuorientierung des Flüchtlings- und Menschenrechtsschutzes im Sinne des Grundgesetzes, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention“, erklärte Heiko Kauffmann, Sprecher von PRO ASYL, zum Jahrestag der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylrecht vom 14. Mai 1996.
PRO ASYL kritisiert die Untätigkeit der Bundesregierung, welche bislang weder die Vorgaben des Gerichts zum Flughafenverfahren umgesetzt noch erforderliche Konsequenzen aus dem Drittstaaten-Urteil gezogen habe.
Beim Flughafenverfahren gehe es um die Festschreibung und Einrichtung einer kostenlosen asylrechtlichen Beratung: „Das Bundesinnenministerium macht es sich zu einfach, wenn es die Rechtsanwaltskammern um die Einrichtung eines ‚Notdienstes‘ bittet“, erklärte Kauffmann. Es gehe darum, dem verfassungsrechtlichen Gebot Genüge zu tun und in Frankfurt und an anderen Flughäfen (insbesondere München, Berlin, Düsseldorf und Hamburg) eine rechtlich fundierte Beratung zu organisieren und ständig bereitzustellen. Dies müsse in Absprache und unter Beteiligung der unverzichtbaren Arbeit der Flughafensozialdienste geschehen.
Nach Auffassung von PRO ASYL sind ebenfalls aus dem Drittstaaten-Urteil Konsequenzen zu ziehen. So erfordere das Konzept der „normativen Vergewisserung“ eine regelmäßige Kontrolle und Überprüfung der Praxis und Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention durch die Dritt- und Viertstaaten. Da diese jederzeit weitere und neue Verträge mit Viert-, Fünft- und Sechststaaten abschließen könnten, sei auch eine laufende Überprüfung und Aktualisierung verfassungsrechtlich geboten.
Die Bundesregierung müsse endlich die vom Verfassungsgericht ins Auge gefaßte europäische Gesamtregelung ernst nehmen. Kauffmann: „Die Urteile des höchsten Gerichts sind durchgängig vom Europa-Gedanken geprägt – nun muß auch die europäische Karte ‚gespielt‘ werden.“
Diese verbiete eine „Harmonisierung auf niedrigstem Niveau“, sondern müsse grundlegenden Schutzanforderungen entsprechen, wie sie u. a. der Europäische Flüchtlingsrat ECRE formuliert hat:
- einheitliche Grundsätze über den materiellen Gehalt des Asylrechtes;
- ein Rechtsanspruch auf individuelle Überprüfung des Asylbegehrens innerhalb des einheitlichen EU-Raumes durch eine zentrale Behörde;
- die Möglichkeit der Einlegung von Rechtsmitteln mit aufschiebender Wirkung;
- die Sicherstellung einer Verfahrensberatung und rechtlichen Vertretung;
- die Beachtung des Refoulement-Verbots in den Verfolgerstaat (auch in Form einer Kettenabschiebung);
- die Gewährung sozialer Mindestrechte während des Asylverfahrens einschließlich des Rechts auf Arbeit.
Die Durchsetzung eines effektiven Rechtsschutzes für Flüchtlings sei durch die Entscheidungen des Verfassungsgerichts vom vergangenen Jahr zwar noch schwieriger geworden, aber, so Kauffmann abschließend: „Flüchtlingsarbeit und -politik wird durch das Engagement Tausender Bürgerinnen und Bürger mehr denn je zum Prüfstein im Kampf für die Schutzrechte des Individuums gegenüber dem Staat und gegen den Verlust weiterer sozialer und humanitärer Standards dieser Gesellschaft!“