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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV RADIO KURZPREDIGTEN 1967 ::: ARCHIV KIRCHE 1967 :::
Zuspruch am Morgen

Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 2. – 7. Januar 1967

RADIO KURZPREDIGTEN

Sternstunden der Menschheit


Als Sternstunden der Menschheit beschreibt Stefan Zweig fünf sehr unterschiedliche Ereignisse, die sich innerhalb eines Jahrhunderts abgespielt haben. Für ihn sind es explosive Augenblicke, die der Welt und der Geschichte dramatische Form geben. So: „Die Weltminute von Waterloo“; ein General Napoleons verursacht den Untergang der napoleonischen Ära, weil er in unbedingtem Gehorsam gegenüber seinem Kaiser weiter marschiert, wo er hätte umkehren müssen. So: „Die Reise Goethes von Karlsbad nach Eger“, auf der in tiefer seelischer Not eines der ganz großen Gedichte entsteht. So: „Die Entdeckung der Goldfelder Eldorados“ durch den Schweizer Johann August Sutter. Er macht sich in die Neue Welt auf und wird dort zum reichsten und gleichzeitig ärmsten Mann der Welt. Schließlich: „Der heroische Augenblick“: Dostojewski fährt auf einem rumpelnden Henkerkarren seiner Hinrichtung entgegen. Angesichts des gewissen Todes hat er eine Vision, die nach der Begnadigung in letzter Minute sein weiteres dichterisches Schaffen prägt. Und zuletzt „Der Kampf um den Südpol“: Kapitän Scott, der nach entsetzlichen Entbehrungen am Südpol ankommt und feststellen muß, daß schon ein anderer vor ihm diesen Punkt erreicht hat. Nach Jahrtausenden ist der Pol innerhalb von zwei Wochen zweimal gefunden worden.

Ist es Zufall, oder entspricht es dem Wesen solcher Sternstunden, wenn sie Menschen widerfahren, die sich auf den Weg gemacht haben? Jedenfalls stimmen sie in mehr als einem Zug mit der Sternstunde überein, der heute am 6. Januar gedacht und die folgendermaßen beschrieben wird: „Und der Stern, den sie im Osten erblickt hatten, wies sie vorwärts, bis er gerade über der Stelle stand, wo sich das Kind befand. Als sie den Stern sahen, überkam sie grenzenlos Freude. Sie traten in die Behausung ein und erblickten das Kind bei seiner Mutter Maria. Da fielen sie auf die Knie und beteten es an. Dann öffneten sie ihre Schätze und überreichten ihm Geschenke, Gold, Weihrauch und Myrrhe“.

Die Magier, von denen hier die Rede ist, diese Gelehrten aus dem fernen Osten, sind für uns Urbilder des Menschen geworden, der aufbricht, um das Große, das Verheißene zu suchen, und zwar nicht im subalternen Gehorsam, sondern in freier Entscheidung. Vor seinem Tod schreibt Kapitän Scott im eisigen Schneetreiben an seine Frau: „Was könnte ich Dir alles von dieser Reise erzählen. Um wieviel besser war sie doch, als daheim zu sitzen in großer Bequemlichkeit.“ Und gerade in den Stunden der Not, wo der wegweisende Stern verschwindet, da klärt sich – so Goethe in dem erwähnten Gedicht – das menschliche Streben, um sich einem Unbekannten aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben. Dieses Unbekannte offenbart sich den Weisen aus dem Morgenland in Jesus Christus. Aber seine Herrlichkeit, die sich ihnen kundtut, ist eine eigenartige; sie gewinnt ihren vollen Glanz erst am Kreuz, wie es Stefan Zweig den Dichter Dostojewski ahnen läßt. „Und ihm wird klar, daß er in dieser einen Sekunde Jener Andere war, der vor tausend Jahren am Kreuz stand. Und daß er wie dieser seit jenem brennenden Todeskuß um des Leidens das Leben lieb haben muß“.

So verstanden kann für den Menschen die Begegnung mit Jesus Christus zur Sternstunde werden, für die er das Gold dieser Welt gern weggibt.


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