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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV RADIO KURZPREDIGTEN 1968 ::: ARCHIV KIRCHE 1968 :::
Zuspruch am Morgen

Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 7. – 12. Oktober 1968

RADIO KURZPREDIGTEN

Respekt vor dem Wort


„Über jedes unnütze Wort, das die Menschen reden, werden sie Rechenschaft geben müssen am Tag des Gerichtes; denn nach deinen Worten wirst du gerechtfertigt, nach deinen Worten wirst du verurteilt“ (Mt 12, 36f.). Dieses Schriftwort kann mir für den ganzen Tag die Lust nehmen, den Mund zum Reden zu öffnen; wie sonst will ich, wenn ich solche Worte ernst nehme, vor einem derartigen Gericht bestehen? Leider werden mich die Erfordernisse, die der Tag mit sich bringt, sehr bald wieder zum Sprechen bringen; sei es nur, weil ich mich bedanken muß, da mir jemand die Haustür freundlicherweise aufhält. Abgesehen davon spüre ich, daß absolutes Schweigen keine Lösung für das Problem der unnützen Worte ist. Wenn ich es aber nicht vermeiden kann zu reden, möchte ich mir heute einmal selbst zuhören. Vermutlich werde ich mich über das wundern, was ich so während eines lieben langen Tages von mir gebe.

In meinem Sprechen, in der oft gedankenlosen Wahl meiner Worte, stecken nämlich Gefahren, Gefahren für mich persönlich, Gefahren auch für andere. Ich weiß sehr wohl um die Gefahren, die durch lieblose Worte heraufbeschworen werden; mir ist auch bekannt, was mit Lügen und Verleumdungen angerichtet werden kann; aber was weiß ich von den Folgen, die aus Worten entstehen, die keine Lügen sein wollen und trotzdem falsch gewählt sind, die eher etwas verschleiern, die nicht übereinstimmen mit dem, was ich im Grunde sagen will? Oft sind es Worte, deren wirklichen Gehalt wir gar nicht bedacht haben, sie sind abgenutzt oder unecht, vielleicht sind es Schlagworte oder Parolen. Wohin wir dabei geraten können, sagt uns der chinesische Weise Konfuzius: „Wenn die Sprache nicht stimmt, so ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist, so kommen die guten Werke nicht zustande. Kommen indes die guten Werke nicht zustande, so gedeihen Kunst und Moral nicht, so versagt die Rechtsprechung; versagt die Rechtsprechung, so weiß ein Volk nicht, wohin es Hand und Fuß setzen soll“. „Also dulde man“, so folgert Konfuzius, „keine Willkür in der Wahl der Worte. Das ist es, worauf alles ankommt.“

Das anfangs zitierte Bibelwort erhält von dieser Mahnung her ein neues Gewicht. Aus der politischen Erfahrung wissen wir nur zu gut, wie die Wahl der Worte Wirklichkeit verändern kann. Dadurch, daß man sich dem hohlen Wortgeklingel überließ, konnte es nach Ansicht des Sprachkritikers Karl Kraus dazu kommen, daß aus dem „Volke der Dichter und Denker“ ein „Volk der Richter und Henker“ wurde.

Wem es nichts ausmacht, leichtfertig mit dem Wort umzuspringen, Parolen und Phrasen zu gebrauchen, verliert den Kontakt zur Wahrheit. Er wirkt zerstörerisch bei sich und seiner Umgebung. Dabei wissen wir, daß es nicht nur die politischen oder geschäftlichen, sondern auch die religiösen Phrasen gibt, die frommen Flickwörter, die hohlen Trostworte oder die zur Unzeit aufgesagten Bibelsprüche. Sie sind für das Glaubensleben verhängnisvoll, verstellen sie doch den Zugang zum wahren Gehalt des Christuswortes. Welches Gericht wird gerade über solche unnützen Worte ergehen?


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