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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV RADIO KURZPREDIGTEN 1966 ::: ARCHIV KIRCHE 1966 :::
Zuspruch am Morgen

Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 18. – 23. Juli 1966

RADIO KURZPREDIGTEN

Nichts Neues unter der Sonne


„Was gewesen, wird wiederum sein. Was geschehen, wird wieder geschehen. Nichts Neues gibt’s unter der Sonne. Wäre einmal etwas, davon man sagte: Siehe da, etwas Neues!“ Diese Worte drücken die Gedanken vieler aus, die sich morgens erheben, zum 14.399sten Mal die Zähne putzen, das Frühstück einnehmen, die Zeitung überfliegen – aber auch da nichts wirklich Neues -, auf die Bahn warten, die Arbeitszeit verrinnen lassen, um sich nach einigen Stunden der Freizeit zum 14.400sten Mal wieder ins Bett zu begeben. Im Hintergrund bleibt die Frage, was hat das alles für einen Sinn, wohin soll es führen? Immer das Gleiche!

Das Gefühl, ja die Angst, es könnte alles sinnlos sein, quält unsere Zeit übermäßig. Sensible Geister haben dem in ihren Worten Ausdruck verliehen und sogar eine Antwort gegeben: Wir können mit der Sinnlosigkeit leben, so ähnlich wie der Sisyphos der griechischen Sage. Der war damit beschäftigt, einen großen Felsblock den Berg hinaufzurollen. Mit Händen und Füßen arbeitete er sich ab. Sooft er aber vermeinte, nun endlich den Gipfel erreicht zu haben, entglitt ihm der Stein und rollte wieder hinunter an den Fuß des Berges. Da begann Sisyphos von Neuem. Angstschweiß stand ihm auf der Stirn, den Kopf hüllte eine Staubwolke ein.

Von dieser Gestalt will uns ein Dichter wie Albert Camus sagen, er sei im Grunde ein glücklicher Mensch gewesen. Das ist eine absurde Interpretation. In der antiken Auffassung jedenfalls war es eine schreckliche Strafe, die Sisyphos in der Unterwelt abzuleisten hatte. Man wäre niemals auf den Gedanken gekommen, ihn glücklich zu preisen.

Das soll nicht heißen, wir könnten die Erfahrung der Sinnlosigkeit des Lebens so einfachhin übergehen. Sicher, nicht jedem stellt sich dieses Problem in ganzer Schärfe. Oft läßt aber eine auffällige Betriebsamkeit auf unbewußte Unruhe schließen, die in diese Richtung geht.

„Nichts Neues gibt’s unter der Sonne!“ Dieses Zitat ist, wenn Sie es nicht schon gleich erkannt haben, aus der Bibel. Der selbst für unsere Begriffe sehr pessimistische Prediger des Alten Testamentes sagt es im ersten Kapitel. Unsere Sorge wurde also bereits zu dieser frühen Zeit klar formuliert, und man hat diesen Text nicht aus der Heiligen Schrift herausgenommen. Wir befinden uns somit in bester Gesellschaft. Nur noch ein kleiner Schritt ist es von da bis zu dem Rat: „Es gibt für den Menschen nichts Besseres als zu essen und zu trinken und sich’s wohl sein zu lassen bei seiner Mühe.“ Zu gut deutsch: „Freu dich des Lebens, solange das Lämpchen noch glüht!“ Dabei stammt die Aufforderung zum Essen und Trinken wiederum vom Prediger. Hier allerdings werden seine Worte geradezu bedenklich. Man erinnert sich an die scharfe Kritik des Apostels Paulus: „Ihr Gott ist der Bauch.“ Aber das braucht unseren Autor aus dem Alten Testament nicht zu treffen, fährt er doch an besagter Stelle fort: „Ich sah, daß auch dies aus Gottes Hand kommt. Denn, wer kann essen und genießen ohne ihn“. Das ist entwaffnend gläubig.

Wo liegt die Lösung, wenn wir weder als glückliche Sisyphoi noch als Menschen leben wollen, die im Brei des Schlaraffenlandes die Frage nach dem Sinn des Lebens ersticken? Halten wir der Frage ruhig ein wenig stand und verlassen wir uns nicht auf eine fromme Antwort, die zur Unzeit gegeben, nur Wortgeklingel ist. Loten wir das Gefühl der Sinnlosigkeit aus, erwarten wir aber keine Lösung aus unseren Voraussetzungen. Die große Leere ruft nicht nach dem Füllsel sondern nach der Fülle.


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