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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV PRO ASYL PRESSEERKLÄRUNG 1993 :::
23.3.1993

Öffentliche Anhörung des Bundestages am 24.3.1993
Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes vom 2.3.1993
zur NEUREGELUNG DER LEISTUNGEN AN ASYLBEWERBER


Das BUNDESSOZIALHILFEGESETZ von 1961 ist der Versuch, den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes zu entsprechen, nach denen

  • die Bundesrepublik ein sozialer Rechtsstaat ist (Art. 20,1, Art. 28,1 GG), in dem
  • die Würde des Menschen unantastbar ist (Art. 1,1 GG),
  • jeder ein Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, sowie auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit hat (Art. 2 GG).

Das BUNDESSOZIALHILFEGESETZ ist geschaffen worden, um allen Menschen, die in der Bundesrepublik leben, die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht.

Die Dynamik der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung, wie sie sich seit dem 19. Jahrhundert in den westeuropäischen und nordamerikanischen Industriegesellschaften durchsetzte, war von der Inklusion gekennzeichnet, d.h. von dem Bemühen, durch Armut bedingte Ausgrenzung zu überwinden und die Gleichheitsrechte aller Menschen materiell abzusichern. Dabei sollte das Individuum als Rechtssubjekt gegenüber einer bloßen Armutsverwaltung gestärkt werden.

Im Nationalsozialismus wurde der gerade auch in der Weimarer Demokratie universalistisch verstandene Sozialbürger durch den Volksgenossen ersetzt. Ihm entsprach eine Umpolung des Leistungssystems vom Bürger zum „Volksgenossen“. Diesem stand der „Gemeinschaftsfremde“ gegenüber, der aus den sozialen Leistungen ausgegrenzt wurde. Hierbei ging es um die Dehumanisierung im Rahmen von Anstalts- und Lagerunterbringung, Versorgung an der Hungergrenze, minimale medizinische Betreuung und Zwangsarbeit und schließlich die physische Vernichtung. Insgesamt wurden die Individualrechte durch eine stärkere staatliche Zuteilung von Lebenschancen eingeschränkt.

Die Bundesrepublik hat sich mit ihrer Verfassung und Sozialgesetzgebung von diesen Tendenzen eindeutig abgesetzt und an die bedeutsame sozialpolitische Entwicklung vor Hitler angeknüpft.

Das jetzige Asylbewerberleistungsgesetz verläßt diesen Weg, indem es eine Gruppe aus der allgemeinen sozialrechtlichen Versorgung ausgrenzt, und zwar zum Zwecke der Abschreckung und der Kostenersparnis:

  • Der Individualisierungsgrundsatz wird zugunsten pauschaler Regelungen aufgegeben.
  • Die Leistungen werden unter die in der Bundesrepublik geltende Armutsgrenze abgesenkt.
  • Die Entfaltung der Persönlichkeit wird durch das Sachleistungsprinzip erheblich beschränkt.
  • Die medizinische Minimalversorgung gefährdet das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
  • Die im bisherigen Asylverfahrensgesetz vorhandenen Regelungen einer restriktiven Lagerunterbringung werden durch Arbeitszwang ergänzt.

Dies ist vom Ansatz her die Dehumanisierung einer Gruppe von Menschen, die sich überwiegend in existentieller Not befindet. Alle Asylbewerber, und zwar unabhängig davon, ob ein begründeter oder unbegründeter Asylantrag gestellt wurde, haben einen Anspruch darauf, gemäß ihrer menschlichen Würde behandelt zu werden. Dieses Recht ist unteilbar. Seine Mißachtung hat gravierende Auswirkungen auf Leben und Gesundheit der Asylbewerber und auch auf die weitere Entwicklung unseres sozialen Rechtsstaates.

hier: DIE MEDIZINISCHE VERSORGUNG

Gegenüber der bisherigen Versorgung der Asylbewerber, generell auf der Grundlage des BUNDESSOZIALHILFEGESETZES (BSHG), tritt mit dem neuen Asylbewerberleistungsgesetz (Paragraph 3) eine deutliche Verschlechterung der Leistungen ein.

Demnach besteht für einen Großteil der Asylbewerber künftig kein Leistungsanspruch mehr auf Diagnostik und Therapie bei allen nicht akuten Erkrankungen, d.h. bei fast allen Erkrankungen, die Flüchtlinge vor ihrem Eintreffen in die Bundesrepublik erlitten haben und die nicht zu Schmerzzuständen führen.

Das wären z.B.

  • noch nicht schmerzhafte Karzinome, Infektionskrankheiten, die nicht dem Bundesseuchengesetz unterliegen.
  • Viele Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes, Herz- und Kreislauferkrankungen, die Mehrzahl aller Hör- und Sehschäden, Allergien und parasitologische Krankheiten.
  • Chronische Ernährungsschäden – vor allem bei Kindern, Verletzungen am Knochen-, Weichteil- und Bandapparat, z.B. als Folge von Kriegseinwirkungen.
  • Fast alle körperlichen Folterschäden, Schäden durch Giftgas und radioaktive Strahlung.
  • Alle psychischen Erkrankungen als Folge von Flucht, Trennung, Folter, Vergewaltigung, Krieg und der besonderen Lebenssituation in der Bundesrepublik.

Die bei weitem größere Anzahl nicht akuter, jedoch die Lebensqualität stark einschränkender Erkrankungen bleibt damit unversorgt. Dadurch wird es zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes und zu einer Erhöhung der Sterblichkeit bei Asylbewerbern kommen.

Ärzte werden per Gesetz in Konflikt gebracht, ihr Wissen und Können selektiv einzusetzen und ihrem Gelöbnis untreu zu werden, bei der Ausübung ihres Berufes keinen Unterschied zu machen, weder nach Religion, Nationalität, Rasse, noch nach Parteizugehörigkeit oder sozialer Stellung.

Dadurch, daß die medizinische Versorgung behördlich gesichert werden soll, wird erstmals außer bei Inhaftierten bei einer bestimmten Personengruppe die freie Arztwahl abgeschafft und damit die freie Berufsausübung eingeschränkt.


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