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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV MIGRATION 1978 :::

Studienreise
von Johannes Rabanser und Herbert Leuninger
vom 14.-21. April 1978
nach LONDON

Tower-Brücke

INHALT

EUROPA KONFERENZ BERICHT

Vom 14.-21. April hielt sich der Verfasser mit seinem Kollegen, dem Ausländerreferenten des Generalvikariates von Münster, Johannes Rabanser in London auf. Unmittelbarer Anlaß war die Teilnahme an der „Europäischen Konferenz über Fragen ausländischer Arbeitnehmer in Europa“. Ein weiteres Ziel war es, Eindrücke über die Integration eingewanderter Minderheiten in Großbritannien und die Übertragbarkeit auf Deutschland zu gewinnen.

Nachrichten aus dem Bistum Limburg
Redaktion: Wolfgang Graf Spee

Nr. 28
Limburg, den 11. Mai 1978
BERICHT – DOKUMENTATION – INTERVIEW

Rassen- und Integrationsfragen
beim Gastarbeiter-Forum in London erörtert

LIMBURG. – Bei der Konferenz des Europäischen Gastarbeiterforums in London ging es um die Rechte, die die eingewanderten Arbeitnehmer aus den Ländern der Europäischen Gemeinschaft und aus Drittländern in der EG haben. Für die deutschen Teilnehmer von besonderem Interesse waren die Ausführungen von L. Jacoby, dem bei der Europäischen Kommission in Brüssel zuständigen Beamten für die Schulerziehung der Gastarbeiterkinder. Aus seiner umfangreichen Kenntnis der Situation in den verschiedenen Europäischen Ländern konnte er berichten, daß Kindern eingewanderter Arbeitnehmer 80 % ihrer schulischen Schwierigkeiten erspart blieben, wenn sie vor Eintritt in die Schule mit einheimischen Kindern zusammen einen Kindergarten besuchen könnten. Diese Erfahrungen decken sich voll und ganz mit den Vorstellungen etwa der KONFERENZ DER CARITASVERBÄNDE IN HESSEN, die im vergangenen Jahr ein Konzept zur besseren Versorgung der Kinder nichtdeutscher Eltern mit Kindergartenplätzen verabschiedet hat. Der hohe EG-Beamte bezeichnete das sogenannte „Bayrische Schulmodell“, nach dem ausländische Kinder gesondert in zweisprachigen Nationalklassen unterrichtet werden, als ungeeignet für die Integration. Seinen Worten war deutlich zu entnehmen, daß die Bundesrepublik Deutschland auf europäischer Ebene in Sachen Schulpolitik für ausländische Kinder ein schwieriger Partner ist. „Mit Deutschland“, so sagt er, „sind wir wirklich in sehr großen Schwierigkeiten“. Die Vorstellungen der Bundesregierung und der Bundesländer, kein Einwanderungsland zu sein, sei nicht die Politik der Europäischen Gemeinschaft. Auch hier zeigt es sich, daß die Kritik der Kirche an der derzeitigen Ausländerpolitik von Bund und Ländern ihre Entsprechung auf europäischer Ebene findet.

Der Konferenzort London ist ein Brennpunk spezifischer Einwanderungs- und Integrationsprobleme. Dort leben etwa 40 % der 1,2 Millionen Menschen nicht weißer Hautfarbe, die aus Indien, Pakistan, Bangladesch, Ostafrika, Westafrika und von den westindischen Inseln eingewandert sind. Ihre mangelnde Integration – sie haben ähnliche Probleme wie die nicht deutschen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland – hat bereits verschiedentlich zu Rassenunruhen geführt.

Diese Unruhen werden dadurch geschürt, daß die Nationale Front – eine als neonazistisch bezeichnete Partei – die Rückkehr möglichst vieler farbiger Einwanderer verlangt und notfalls sogar Repatriierungen vorschlägt.
Gemäßigter äußert sich hierzu Frau Thatcher, die Vorsitzende der Konservativen Partei, die vor einer kulturellen Überfremdung warnt und die weitere Einwanderung und den weiteren Familiennachzug drastisch reduzieren möchte. Auch will sie – sollte ihre Partei an die Regierung kommen – das 1976 verabschiedete Gesetz zur Förderung der Rassengleichheit einer Revision unterziehen. Es ist ein Gesetz, nach dem unter anderem rassistische Äußerungen unter Strafe gestellt sind..

Die Kirchen haben sich mittlerweile eindeutig auf die Seite der nicht weißen Bevölkerung gestellt und eindeutig jeden Rassismus abgelehnt. Wie dem Catholic Herold vom 14. April zu entnehmen war, haben die Bischöfe von England und Wales auf ihrer letzten Konferenz sich hinter die Antirassismus-Erklärung des Britischen Rates der Kirchen gestellt und erklärt, daß Rassismus und rassistische Aktivitäten wie die der Nationalen Front und ähnlicher Organisationen dem Evangelium und den Interessen der Nation widersprächen. Sie fordern alle Katholiken auf, sich dieser Erklärung anzuschließen. So wurde diese in allen Pfarreien verteilt, und die katholischen Gläubigen wurden gebeten, sie am St. Georgstag, dem 23. April, zu unterzeichnen. Trotz rassistischer Tendenzen in der Politik und Öffentlichkeit dürfen die intensiven Bemühungen nicht übersehen werden, die in England und in London unternommen werden, um eine multirassische Gesellschaft ohne jegliche Diskriminierung zu bilden.

Besonders eindrucksvoll – auch für die Bundesrepublik Deutschland vorbildlich – ist eine multirassische Vor- und Grundschule in einem Londoner Stadtbezirk. Dort – wie in vielen anderen entsprechenden schulischen Einrichtungen – wachsen Kinder der verschiedensten Hautfarbe und Religion gemeinsam auf. Kinder, die der englischen Sprache nicht mächtig sind, werden durch eigene Lehrkräfte geschult. Erfahrungsgemäß sind Kinder schon nach drei Monaten in der Lage, sich ausreichend in Englisch zu verständigen. In dem Schuldistrikt, der etwa 80 Schulen umfaßt, gibt es außerdem für die älteren Kinder zwei eigene Sprachlehrzentren mit Sprachlaboratorien. Dort sind 14 Lehrkräfte tätig. Weitere 28 Lehrer sind ständig unterwegs, um kleine Gruppen von Schülern an den verschiedenen Schulen in der englischen Sprache zu fördern.

EUROPA KONFERENZ FOTOS

Fotos: Herbert Leuninger


VOR- UND GRUNDSCHULE FOTOS

Fotos: Herbert Leuninger


SOUTHHALL BERICHT

HESSISCHER RUNDFUNK
ABT. KIRCHENFUNK
Redaktion: Norbert Kutschki
26.4.1978

SOUTHALL
EIN LONDONER „WALLFAHRTSORT“

Brennpunkt englischer Einwanderungsprobleme ist die 7,5 Millionenstadt London. Dort leben 40 % der ethnischen Minderheiten Englands aus Indien, Pakistan, Bangladesch, Ostafrika, Westafrika und von den Westindischen Inseln.

Aus London sind Rassenunruhen bekannt geworden, hier ist auch die politische Bühne für die Agitation der rechtsextremen Nationalen Front, die eine Repatriierung der farbigen Einwanderer befürwortet; hier ist auch der Ausgangspunkt für die Warnungen von Frau Thatcher, der Chefin der Konservativen Partei, es könnte zu einer kulturellen Überfremdung kommen.

In London gewinnen wir, zwei Referenten für die nicht deutschen Katholiken in den Bischöflichen Behörden von Münster und Limburg, erste Eindrücke von der Rassenmischung und -integration. Wir besuchen Bischof Mahon, den katholischen Weihbischof von Westminster. Er ist Experte für die Einwanderung der schwarzen Bevölkerung aus der Karibik. Von ihm hören wir erstmals den Namen: Southall, ein Londoner Stadtteil. Der Bischof avisiert uns telefonisch bei dem dortigen Pfarrer Michael Hollings für Sonntagsgottesdienst und Lunch. „Wenn Sie die Rassenintegration in Kirche und Gesellschaft studieren möchten“, so sagt Bischof Mahon, „dann müssen Sie nach Southall gehen“.

Unser Ausflug dorthin ersetzt fast eine Reise nach Indien, Pakistan oder nach Jamaika. Mehr als die Hälfte der in Southall ansässigen Bevölkerung stammt aus den genannten Regionen. Sie hat diesen Londoner Stadtbezirk zum Testfall einer multirassischen Gesellschaft gemacht. Hier konzentrieren sich auf engstem Raum die verschiedensten Rassen und Religionen. Die Kinos kündigen ihre Filme in den neu-indischen Sprachen Pandschabi und Urdu an. In den Auslagen der Geschäfte sind die kostbarsten Saris des ganzen Vereinigten Königreiches zu finden. Die Lebensmittelgeschäfte führen die Original-Gewürze des Indischen Subkontinents.

In der Hauptstraße kommen wir an einem Hindu-Tempel vorbei. Familien mit Kindern, die in National-Trachten gekleidet sind, strömen dorthin. Einen Straßenzug weiter können wir eine feierliche Zeremonie der Sikh-Gemeinschaft beobachten. Ehrwürdige Greise richten unter Gebeten und Segensformeln eine Fahnenstange auf. Ein junger Mann mit dunkelgrünem Turban und rotem Punkt auf der Stirn erklärt uns, hier werde ein neues Gebäude für ihre Glaubensgemeinschaft in Besitz genommen.

Drei Sikh-Zentren und fünf Hindu-Tempel gibt es in Southall. Ein Hindu-Tempel steht auf dem Gelände der Katholischen Pfarrei, wo eben der zweite oder dritte Vormittags-Gottesdienst begonnen hat. Zwei dunkelfarbige und ein weißer Ministrant stehen bei Pfarrer Hollings am Altar. Eine rassisch gemischte Schola leitet den Gesang der Gemeinde, die von ihrer Kleidung und Hautfarbe her bunt zusammengewürfelt ist. Ganz selbstverständlich kommen hier Christen zusammen in dergleichen Gemeinde und nicht in verschiedenen Nationalpfarreien. Ein pfingstliches Ereignis! Die Kirche, ein Zeichen der Einheit aller Menschen!

Am nächsten Morgen bringt das IV. Hörfunkprogramm von BBC London eine 45-Minuten-Sendung über Southall. „Ein Platz der Hoffnung!“: Pfarrer Hollings wird in der Sendung von einem Sikh als „the most holy man“ – der sehr heilige Mann – bezeichnet. Southall hat vor zwei Jahren seine große Bewährungsprobe bestanden. Ein Sikh-Junge war von Weißen auf offener Strasse ermordet worden. Schlimme Rassenunruhen waren zu befürchten. Damals wandten sich die religiösen Führer der Sikh an Pfarrer Hollings. Mit ihnen und den anderen christlichen Gemeinden, aber auch mit politischen Gruppierungen zusammen, organisierte er eine Woche später einen Friedensmarsch. Die einzige Parole lautete: „Es gibt nur eine Rasse, die Rasse der Menschen“.

Seit diesem Tag sind die Rassen und Religionen in Southall noch stärker zusammengerückt. Southall ist tatsächlich ein Platz der Hoffnung geworden, der Wallfahrtsort derer, die sich politisch und kirchlich für eine multirassische Gesellschaft einsetzen.

SOUTHALL FOTOS

Fotos: Herbert Leuninger


ANTI-RASSISMUS BERICHT

INTEGRATION EINGEWANDERTER MINDERHEITEN

Das Gesetz gegen Rassendiskriminierung
interessant für Deutschland

1. London ist ein Brennpunkt spezifischer Einwanderungs- und Integrationsprobleme. Dort leben etwa 40 % der 1,2 Millionen Menschen nicht weißer Hautfarbe, die aus Indien, Pakistan, Bangladesch, Ost-Afrika, West-Afrika und von den West-Indischen Inseln eingewandert sind.

Ihre mangelnde Integration – sie haben ähnliche Probleme wie die nicht deutschen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland – hat bereits verschiedentlich zu Rassenunruhen geführt.

2. Seit 1976 gibt es ein Gesetz gegen die Rassendiskriminierung (Race Relations Act). Es verbietet jede Form rassischer Diskriminierung bei Beschäftigung, Ausbildung und in ähnlichen Bereichen, in der Erziehung, in der Versorgung mit Gütern, Einrichtungen und Diensten, und bei Immobilien.
Das Gesetz gibt dem Einzelnen das Recht vor ordentlichen Gerichten und Arbeitsgerichten, gegen eine Diskriminierung zu klagen.

3. Mit dem Gesetz wurde auch die Kommission zur Förderung der Rassengleichheit gebildet. Sie hat den Auftrag, zur Überwindung der Rassendiskriminierung beizutragen, Chancengleichheit und gute Beziehungen zwischen rassisch verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu fördern.

Die Kommission hat weitreichende Befugnisse, um jegliche, mit ihrem Auftrag in Verbindung stehende Ermittlungen anzustellen. Wo sie auf Diskriminierungen stößt, kann sie eine Verwarnung aussprechen. Im Falle hartnäckiger Diskriminierungen, aber auch bei diskriminiereden Anzeigen und Reklamen, bei Unterstützung und Förderung von Diskriminierungen ist sie befugt, Verfahren einzuleiten. Sie hat die Regierung hinsichtlich der Durchführung des Gesetzes zu beraten, eine allgemeine Beratungs- und Aufklärungsarbeit zu leisten, die in einzelnen Gebieten bestehenden Räte für zwischenmenschliche Beziehungen, Minderheitenorganisationen und Organisationen zur Förderung der Chancengleichheit und guter Beziehungen zwischen den Rassen zu unterstützen.

4. Die Kommission hat ihren Sitz in London. Es dürfte nicht schwer sein, mit der Kommission Verbindung aufzunehmen um ihre Arbeit kennenzulernen.

5. In der Bundesrepublik gibt es noch nichts mit dieser Kommission Vergleichbares. Daher wäre im Zusammenhang mit einer solchen Studienreise zu prüfen, wie ähnliche Einrichtungen in der BRD geschaffen werden könnten.

6. Als Teilnehmer einer solchen Studienreise wären anzusprechen: Kommunalpolitiker von Großstädten, Landtags- und Bundestagsabgeordnete, höhere Beamte der Kultus-, Sozial- und Innenressorts, Vertreter der Wohlfahrtsverbände und der Kirchen, Journalisten.

7. Neben der Aufnahme von Kontakten zu Mitgliedern der Kommission bietet sich an ein Besuch in einem Londoner Stadtteil mit Farbigenkonzentration, das Kennenlernen einer entsprechenden Sozialarbeit, der Besuch einer multirassischen Schule und Vorschule, der Besuch der für die Integrationsfragen zuständigen kirchlichen Kreise, Kontakt mit Parlamentariern der verschiedenen Parteien.

ANTI-RASSISMUS FOTOS

Fotos: Herbert Leuninger


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