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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV RADIO KURZPREDIGTEN 1970 ::: ARCHIV KIRCHE 1970 :::
Zuspruch am Morgen

Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 27. Juli – 1. August 1970

RADIO KURZPREDIGTEN

Modetheologie


Zu jeder neuen Mode gehört eine Reihe Mutiger, die es bei Strafe der Lächerlichkeit auf sich nehmen, eine veränderte Kleidung zu tragen. Natürlich – und das schmeichelt ihnen – erregen sie Aufmerksamkeit, viele drehen sich nach ihnen um, manch einer schüttelt sein weises Haupt. „So etwas Verrücktes“, sagen die einen; „Das setzt sich doch nicht durch“, meinen die andern. Kritiker von höchster Warte sprechen sogar von einem Sittenverfall. Das ist die erste Phase bei einer neuen Mode. In der zweiten setzt die Gewöhnung ein, während die dritte Phase zur allgemeinen Anpassung führt. Jetzt ist es an den Kritikern, sich umzustellen, wollen sie nicht als Außenseiter gelten. in der Phase der allgemeinen Anpassung verliert die vormals neue Mode ihren Reiz und entläßt aus sich in schöner Regelmäßigkeit den allerneuesten Modeschrei, wobei das Allerneueste durchaus etwas Uraltes sein kann.

Der Zwang zur Veränderung geht nicht von den Modeschöpfern oder von der Bekleidungsindustrie aus. Sie folgen nur dem ewigen Gesetz der Veränderung. Dieses entspricht wohl einem menschlichen Bedürfnis, das das Leben davor bewahrt, schal zu werden.

Dieses Gesetz gilt auch für alle anderen Bereiche des Lebens. Es gibt nicht nur die Mode in der Kleidung oder beim Häuserbau, sondern auch im Denken und beim Glauben. Daher wird gegenüber neuen Ideen, wie sie etwa innerhalb der Kirche aufkommen, gar nicht zu Unrecht gesagt: „Das ist Modetheologie!“ Doch ist ein solches Urteil vorwurfsvoll gemeint, um einem ungewöhnlichen Gedanken seine mutmaßliche Gefährlichkeit zu nehmen. Das Recht zu einem solchen Urteil leitet sich aus der Überzeugung ab, es gäbe ewige, allgültige Wahrheiten, die durch modischen Aufputz nur verdunkelt werden könnten. Antimodische Theologen wissen an die oberflächlichen Athener der Apostelgeschichte zu erinnern, die sich auf dem Markt um Paulus drängten, weil sie sich von seinen ungewöhnlichen Ideen geistige Abwechslung versprachen. „Die Athener“, so heißt es in der Bibel sehr abschätzig, „verbringen ebenso wie die angereisten Fremden die Zeit mit nichts lieber, als wenn sie etwas Neues hören und besprechen können“.

Hier geht es um die pure Neugierde, die sich für Neuartiges nur deswegen interessiert, weil es eben neu ist, Diese Einstellung ist sicher auch heute weit verbreitet. Mit ihr lassen sich gewiß keine geistigen Tiefen ausloten; ebensowenig aber auch mit großen Sätzen über Gott und die Welt, die durch ständige Wiederholung abgegriffen, keinerlei Resonanz im Zuhörer zu wecken verstehen. Es sind die Wahrheiten, die so wahr sind, daß sie kaum noch jemanden aufregen. Deswegen hat ein angesehener Prediger seinen jungen Kollegen geraten: „Willst Du ein gute Predigt halten, die die Leute fesselt, dann füge an irgendeiner Stelle eine kleine Irrlehre ein!“ Das soll wohl nichts anderes heißen, als daß dem Zuhörer auch Ungewohntes zugemutet werden muß, Neues, das bis an die Grenze geht. So wird Aufmerksamkeit geweckt und Nachdenken angeregt.

Wenn wir davon ausgehen dürfen, daß jede wichtige Wahrheit tausend verschiedene Facetten hat, sollten wir uns nicht wundern, wenn wir gelegentlich Überraschendes zu hören bekommen. Die Geschichte der Theologie ist voll solcher Überraschungen. Oftmals war es ein Einzelner, der in einer Glaubenswahrheit eine nie gehörte Perspektive entdeckte. Wie gern hätte man ihn zum Schweigen gebracht. Jahrzehnte, vielleicht erst Jahrhunderte später werden aber die Spatzen den unerhörten Gedanken von den Dächern pfeifen. Jede Mode, wenn es nicht eine bloße Modetorheit ist, setzt sich halt durch.


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