Generic selectors
Nur exakte Ergenisse
Suchen in Titel
Suche in Inhalt
Post Type Selectors
HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV RADIO KURZPREDIGTEN 1970 ::: ARCHIV KIRCHE 1970 :::
Zuspruch am Morgen

Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 27. Juli – 1. August 1970

RADIO KURZPREDIGTEN

Gott begegnet


„Gott ist tot!“ verkündeten vor zwei, drei Jahren eine Reihe von Buchtiteln. Danach erschien das Buch eines Marxisten: „Gott ist nicht ganz tot!“ Ein Bucherfolg aus jüngster Zeit ist das Bekenntnis eines Franzosen: „Gott existiert – ich bin ihm begegnet!“ In Frankreich werden innerhalb von sechs Monaten 200.000 Exemplare verkauft, in Deutschland kommen im Laufe von acht Wochen vier Auflagen heraus. Kirchliche Wochenblätter bringen das Buch in Fortsetzung; große Magazine widmen ihm ausführliche Besprechungen. Das läßt den Schluß zu, die Frage nach Gott ist keineswegs erledigt; im Gegenteil, sie weckt immer noch brennendes Interesse.

In dem besagten Buch schildert der Verfasser ein sehr persönliches Erlebnis, das er vor Jahren in irgendeiner kleinen Kirche von Paris gehabt hat. Von diesem Tag an war er unerschütterlich von der Existenz Gottes überzeugt. Daß es zu einer solchen Erfahrung kommen konnte, ist dem Autor bis heute unerklärlich. Ohne jede religiöse Erziehung aufgewachsen, huldigte er den atheistischen Grundsätzen eines französischen Sozialismus, für den die Frage nach Gott nicht nur negativ entschieden war, sondern überhaupt nicht existierte. Aus diesem Atheisten wird nun innerhalb von fünf Minuten ein überzeugter Katholik, der von sich schreiben konnte: „Als ein Skeptiker und Atheist der extremen Linken hatte ich die Kirche betreten, und größer noch als mein Skeptizismus und mein Atheismus war meine Gleichgültigkeit gewesen,… ich ging wenige Minuten später als ein ‚katholischer, apostolischer, römischer‘ Christ, getragen und emporgehoben, immer von neuem ergriffen und fortgerissen von der Woge einer unerschöpflichen Freude“. Die durch diese Bekehrung überraschten Angehörigen veranlassen eine ärztliche Untersuchung. Der mit der Familie befreundete Arzt diagnostiziert eine Art seelischer Krankheit, eine mystische Krise, die im allgemeinen zwei Jahre dauere, aber keinerlei Schäden oder Spuren hinterlasse. Man müsse nur Geduld haben.

Sicher gibt es gerade im Religiösen die übersteigerte Einbildungskraft, die zu kurzlebigen Ekstasen führt. Wir kennen aber auch viele Bekehrungserlebnisse, die einen starken und dauernden Einfluß ausgeübt haben. Allerdings sind sie nicht übertragbar. Jeder Bericht über ein derartiges Ereignis, das die Tiefen eines Menschen aufwühlt, kann nur einen dürftigen Widerschein vermitteln. Als Außenstehende vermögen wir nur die Tatsache selbst zur Kenntnis zu nehmen. Wichtiger für uns ist das, was sich anschließend im Leben eines solchermaßen Betroffenen zeigt. So ist auch die Frage zu stellen, welchen Nutzen sich die zahllosen Leser von dem erwähnten Buch versprechen. Denn es ist wohl kaum anzunehmen, daß durch dessen Lektüre allein ähnliche Erfahrungen geweckt werden. Sollte diese dennoch der Fall sein, würde man es mit großer Skepsis zur Kenntnis nehmen.

Ehrlicherweise erwähnt der Autor, wie sich ein Kollege bei ihm Rat geholt hat, um auf ähnliche Weise zum Glauben zu gelangen. Er brauche nur, so wird ihm bedeutet, einen Monat lang jeden Morgen der Sechs-Uhr-Messe beizuwohnen. Dann sei der Erfolg garantiert. Der gewissenhaft befolgte Rat zeitigt allerdings nicht den erwünschten Erfolg. Der Monat geht zu Ende, und der Kollege ist immer noch nicht zum Glauben gekommen. Dennoch gibt er sein Suchen nicht auf – und es ist wohl die Begegnung mit einem gläubig gewordenen Menschen, die schließlich dazu führt, daß er doch noch zu einer lebendigen Glaubensüberzeugung findet.

Warten wir also nicht darauf, daß uns ein Blitzstrahl vom Himmel trifft, sondern daß wir einem verwandelten Menschen begegnen.


Nach oben