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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV GRATULATION GEDENKEN GRÜSSE ::: FRANZ LEUNINGER ZUM GEDENKEN :::

Im Widerstand

Schon lange vor Kriegsbeginn zählte Franz Leuninger zu den entschiedenen Gegnern von Adolf Hitler, hier bei einer seiner Haßtiraden.

Franz Leuninger mit seiner Familie bei einem Ausflug.
Das Auto erleichterte Kontakte mit Mitgliedern des Widerstandes im ganzen Reichsgebiet.
Franz Leuninger mit seiner Gattin Paula, seinem Bruder Georg und dessen Frau Gertrud (im Vordergrund) wohl bei einer Silvesterfeier in Breslau.

INHALT

ANMERKUNG
Der Text ist zur schnelleren Orientierung auf mehrere WEB-Seiten aufgeteilt.

QUELLENNACHWEIS
Der im Internet veröffentlichte Text kann ganz oder teilweise mit Quellenangabe verwendet werden.

Im Widerstand

Die Machtübernahme durch Hitler im Januar 1933 entfesselte das Unrecht und die rohe Gewalt in Deutschland. Besonders machten sich die gewaltsamen Methoden in den Gebieten bemerkbar, in denen die Bevölkerung noch nicht von den Ideen des Nationalismus infiziert war. In Mengerskirchen, dem Geburtsort von Franz Leuninger, wo auch die meisten seiner Angehörigen lebten, trat dieser Umstand sehr zutage. Dort war den Nationalsozialisten bislang bei keiner Wahl ein Einbruch in die Reihen der freiheitlich gesinnten Bevölkerung gelungen. Nur eine Handvoll Parteigänger zahlten sich zu der „neuen“ Bewegung. Diese entfalteten jedoch im Rausche der Macht eine erhebliche Aktivität. Dabei bedienten sie sich der Unterstützung Gleichgesinnter aus benachbarten Orten. Jeder ihnen Mißliebige wurde als Kommunist bezeichnet und mußte damit rechnen, auch aus unbegründetem Anlaß ihr Opfer zu werden. Als Domäne der Zentrumspartei über Generationen hinaus genoß Mengerskirchen in den Augen der neuen Machthaber einen „üblen“ politischen Ruf. Das führte zu den bösartigsten Exzessen. Der Bürgermeister wurde z. B. verhaftet und einige Tage in der Kreisstadt festgehalten. In der Nacht zum 13. Juli 1933 kamen Angehörige der SA und SS aus Nachbarorten und führten in vielen Häusern Haussuchungen durch, verhafteten ca. 30 Männer, mißhandelten sie und brachten sie nach Weilburg. Dort wurden sie oberflächlich vernommen und wieder nach Hause geschickt. Bei den Betroffenen handelte es sich durchweg um unbescholtene Personen. Die Denunzianten fanden sich in den Reihen der einheimischen Nationalsozialisten. Auch das Elternhaus von Franz Leuninger mußte eine Haussuchung im Rahmen der geschilderten Vorgänge über sich ergehen lassen. Angeblich sollte in dem Anwesen ein Maschinengewehr versteckt sein. Als die Suche im Haus ergebnislos verlief, brachen die Horden ein großes Loch in die alte Stadtmauer, die die Rückwand der Scheune bildete und suchten dort weiter. Geradezu grotesk war dabei, daß der Vater, als Eigentümer des Grundstückes, in seinem Leben weder eine Schußwaffe besessen, noch benutzt und wahrscheinlich auch nie in der Hand gehabt hatte.

In jenen Tagen herrschte in Mengerskirchen zeitweilig ein besatzungsmäßiger Zustand: SA und SS hatten alles umstellt und beschränkten die Bürger in ihrer Bewegungsfreiheit. Eine jüngere Tochter der Familie Leuninger wurde, nachdem sie beim Metzger Fleisch eingekauft hatte, von zwei SA-Männern mit aufgepflanztem Bajonett nach Hause begleitet. Schwerste Drohungen gegen die Bevölkerung ob ihrer politischen Gesinnung sprachen der Landrat und andere Personen aus. Daneben liefen auch viele Einzelaktionen. So verhaftete man eines Tages ein rechtschaffenes junges Ehepaar, führte es durch den Ort, während ihre kleinen Kinder weinend hinterherliefen. Der älteste Bruder von Franz Leuninger mußte sich, um einer Verhaftung zu entgehen, mehrere Tage in einem Kloster verstecken und ein jüngerer Bruder, der auf seiner Arbeitsstelle eine unbedachte Äußerung getan hatte, entging nur mit knapper Not den Händen der Schergen. Der Vater verlor, da „politisch unzuverlässig“, das Amt des Gemeinderechners. Der Bürgermeister und ein weiterer Mann holten mit Pferd und Wagen die Gemeindekasse und was dazu gehörte ab. In seiner Empörung zeigte der Vater mit der Hand zum Himmel und sagte: „Da oben ist einer der richtet und schlichtet“.

Was man auch anstellte – die Gestapo war zweimal in Mengerskirchen zu Verhören des Pfarrers und des Schulleiters, auf Grund von auswärtigen Anzeigen – nichts konnte die Gesinnung der Bevölkerung ändern. Im Hörterhaus lebte bis 1945 eine Jüdin versteckt. Noch im Jahre 1937 gab es nur 6 eingeschriebene Mitglieder der Nazipartei. Die letzte großangelegte Schulung im Herbst 1938 war ein Mißerfolg. Obwohl das Erscheinen der gesamten Bevölkerung angeordnet war, erschienen außer zwei Rednern nur der Ortsgruppenleiter, zwei SA-Leute, 2 Lehrer, der Förster und ein Neugieriger.

Die Vorgänge in Mengerskirchen, die sich anderwärts in ähnlicher und mitunter noch in grausigerer Form abspielten, waren der erste Nährboden für den Widerstand gegen den Unrechtsstaat Hitlers. Seine Machthaber bezeichnete einmal ein katholischer Professor als eine Räuberbande und nicht als Staatsgewalt. Indessen festigte sich diese Diktatur zum Teil mit Unterstützung in- und ausländischer Kräfte und Gruppen in unerhört kurzer Zeit, und zwar in einer Art, die jeden offenen Widerstand unmöglich machte. Schnell wurde das gültig, was Wilhelm Leuschner, der ehemalige Führer der Freien Gewerkschaften, im Jahre 1939 an einen englischen Gewerkschaftler übermitteln ließ: „Wir sind Gefangene in einem großen Zuchthaus. Zu rebellieren wäre genauso Selbstmord, als wenn Gefangene sich gegen ihre schwerbewaffneten Aufseher erheben würden.“

Diejenigen, die sich ein anständiges Denken bewahrt hatten, standen stärkstens gegen diesen Staat und seine Machthaber. Ein organisierter Zusammenschluß dieses Personenkreises war kaum möglich und selten von Dauer. So war meist der Einzelne auf sich selbst gestellt und konnte nur im Freundes- und Bekanntenkreis politisch wirken. Das geschah denn auch auf vielfältige Art. In diesem Zusammenhang kann die politische Tätigkeit der Emigranten unberücksichtigt bleiben. Es scheint, daß diese keine ins Gewicht fallende Bedeutung hatte, es sei denn, daß durch sie in mehr oder minder großem Umfange eine Verbindung zu politischen Gruppen im Ausland hergestellt wurde. Echter politischer Widerstand begann mit der Haltung einzelner Persönlichkeiten, die dem Regime die Mitarbeit versagten. Dies geschah im öffentlichen Dienst oder auch in anderen Institutionen, die der neue Staat für seine Zwecke umformen wollte. Hier ist vor allem Jakob Kaiser zu nennen, der eine führende Position in den christlichen Gewerkschaften einnahm. Er war denn auch schon frühzeitig der politischen Verfolgung ausgesetzt. Ein Bruder von Franz Leuninger, auch Funktionär der christlichen Gewerkschaften, erkannte ebenfalls die verhängnisvolle politische Entwicklung und löste sein Dienstverhältnis, noch ehe diese Organisation zerschlagen wurde. Ein solches Verhalten war vielfach nicht nur mit Existenznöten, sondern auch mit Gefahren für Leib und Leben des Betreffenden verbunden. Selten fand sich für solche Leute ein geeigneter Arbeitsplatz. Manche mußten sich mit einer kümmerlichen Vertretertätigkeit begnügen. Andere wiederum schafften sich mit der Übernahme eines kleinen Einzelhandelsgeschäftes eine bescheidene Lebensgrundlage Sie resignierten aber nicht gegenüber der politischen Entwicklung, die sie kritisch beobachteten. Ihre Ansichten zu den politischen Ereignissen, getragen von der Ablehnung des Unrechtsstaates, tauschten sie in Freundes- und Bekanntenkreisen aus. Sie hielten Kontakt mit Menschen, die durch die Ereignisse unsicher und verwirrt wurden. So diente ihr Bemühen der Erhaltung einer moralischen Substanz unter den Mitbürgern im politischen Bereich. Dem Verfasser ist ein Mann bekannt (es handelt sich um den Verfasser selbst in Köln – Anm. d. Red.) , der in einer rheinischen Großstadt einen Lebensmittelladen betrieb und seine Ware zeitweilig auch in die Häuser seiner Kunden – es handelte sich dabei vielfach um Freunde aus den christlichen Gewerkschaften – brachte. Bei fast allen Besuchen wurden politische Gespräche geführt und Informationen ausgetauscht. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Unterstützung hingewiesen, die man dem unter den politischen Verhältnissen Notleidenden zuteil werden ließ. Ein solches Verhalten barg nicht selten Gefahren in sich. Diese waren besonders groß, wenn es um die Unterstützung jüdischer Mitbürger ging. Den vorgenannten Lebensmittelhändler besuchte bis gegen Ende der dreißiger Jahre ein jüdisches Ehepaar, und zwar auch noch, als dieses schon im Getto lebte und nur noch zu bestimmten Zeiten und in eigens für Juden bestimmten Geschäften kaufen durfte. Trotz des Boykotts belieferte er es mit Waren aus seinem Laden. An seinem Schaufenster fehlte das Transparent ,,Deutsches Geschäft“, das sonst fast überall zu sehen war.

Die Ablehnung des Gewaltregimes äußerte sich auch vielfältig auf andere Weise: Es wurden die Teilnahme an Beflaggungen bei sogenannten nationalen Ereignissen verweigert und politische Veranstaltungen gemieden. Den Straßensammlungen der Nazi-Organisationen suchte man zu entgehen und die unvermeidbare Spende bei Haussammlungen war kärglich und wurde nur widerwillig gegeben. Das Elternhaus von Franz Leuninger in Mengerskirchen suchten die Sammler nur ungern auf, weil die geringfügige Spende gar oft von dem beißenden Spott des Vaters begleitet war. Große Teile der gläubigen Bevölkerung wandten sich einer verstärkten religiösen Betätigung zu. Ihre Aktivität steigerte sich insbesondere bei Veranstaltungen außerhalb des Kirchenraumes und wurde beispielsweise im katholischen Bereich an der starken Beteiligung der Fronleichnamsprozessionen deutlich. Alle diese Vorgänge wird man nicht als unmittelbaren Widerstand bezeichnen können. Aber sie standen in dem Raum, den man im weitesten Sinne als Widerstand bezeichnen kann. Die stummen Proteste waren von ungeheurem Wert, weil sie wenigstens einem Teil der Bevölkerung einen geistigen Zusammenhalt gegen das Aufgehen im Unrechtswesen des Hitlerstaates gaben. Wer so handelte, setzte sich öffentlich in Gegensatz zu diesem Staat und schloß sich nach der Anschauung der Herrschenden aus dem Staat aus. Einen Teil dieser Menschen wird man in allerbestem Sinne als ,,die Stillen im Lande“ bezeichnen können. Ohne sie wäre es nicht denkbar gewesen, den Unrechtsstaat zu beseitigen und eine Änderung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse herbeizuführen. Ohne ihren Rückhalt wäre ein aktiver Widerstand nicht möglich gewesen.


Als die Freiheit in Deutschland durch Hitler unterging, war Franz Leuninger Gewerkschaftssekretär in Breslau. Er teilte damals das Los derjenigen, die durch die Zerstörung der christlichen Gewerkschaften ihre Existenz verloren. Das war für den Familienvater mit drei kleinen Kindern eine schwere Belastung. Bei dem jüngeren Bruder in Köln, der unter gleichen Umständen in die ,,neue“ Zeit hineingerissen wurde, aber sich alsbald eine bescheidene Existenz aufgebaut hatte, suchte er nach Möglichkeiten, das gleiche zu tun. Diese Absicht ließ sich allerdings nicht verwirklichen. Indessen ergab sich für ihn in Breslau eine neue Lage.

Bereits vor 1933 war Franz Leuninger ehrenamtlicher Geschäftsführer der Gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft „Deutsches Heim“, einer Tochtergesellschaft der „Schlesischen Heimstätte“. Dieses Unternehmen wurde vorwiegend von der christlich-sozialen Bewegung getragen. Die Verantwortlichen rekrutierten sich aus den christlichen Gewerkschaften, über die konfessionellen Standesvereine bis hin zu dem politisch orientierten christlich-sozialen Volksbund, dessen Anhänger vorwiegend evangelische Christen waren. Mit der Änderung der politischen Verhältnisse bestand die Gefahr, daß das Unternehmen in die Hände der Nationalsozialisten geraten werde. Mit allen Mitteln versuchte man, dies zu verhindern und scheute dabei auch Manipulationen hinsichtlich der Verteilung der Geschäftsanteile der Gesellschaft nicht. Vor allem ging es um die hauptberufliche Besetzung des Geschäftsführerpostens, den Franz Leuninger seither ehrenamtlich verwaltet hatte. Hierbei war nicht ausgeschlossen, daß ein „Parteibeauftragter“ diese Position einnehmen würde, womit zwangsläufig der Einfluß der Kräfte ausgeschaltet worden wäre, die das „Deutsche Heim“ aufgebaut und getragen hatten. Dieser Umstand veranlaßte die Verantwortlichen zu dem Versuch, ihn, der ja diese Aufgabe seither offensichtlich mit Erfolg wahrgenommen hatte, für den Posten des hauptberuflichen Geschäftsführers zu gewinnen. Dabei war man, wie August Weimer ausdrücklich feststellt, bestrebt zu verhindern, daß die Gesellschaft in den direkten Einflußbereich der Nationalsozialisten komme und daß andererseits der eigene Einfluß gesichert bliebe. Darüber hinaus versprach man sich auch von dieser Regelung die Möglichkeit der Unterstützung von gewerkschaftlichen und politischen Freunden, die durch die politische Entwicklung zu Schaden gekommen waren oder noch kommen konnten.

Der Umstand, daß Franz Leuninger die Geschäftsführung übernahm, wirkte sich gerade auf den letztgenannten Gesichtspunkt positiv aus. In der Tat war es ihm möglich, manchen Freunden bei dem Aufbau und der Erhaltung einer Existenz zu helfen. Da ist zunächst August Weimer, langjähriges Mitglied des Bundestages und Mitglied des Hauptvorstandes der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden, zu nennen, der bis zum Jahre 1933 Gewerkschaftssekretär und ein enger Mitarbeiter von Franz Leuninger war. Dieser, aus einem baugewerblichen Beruf kommend, machte sich, nachdem er unter schwersten persönlichen Opfern im Jahre 1936 die Meisterprüfung im Malerhandwerk abgelegt hatte, selbständig und wurde seitdem in erheblichem Umfange mit Aufträgen seitens des „Deutschen Heimes“ unter der entscheidenden Mitwirkung von Franz Leuninger bedacht. Das war damals für einen jungen Unternehmer, der „parteipolitisch“ nicht mehr aufzuweisen hatte als eine „schwarze Vergangenheit“, insbesondere für seine wirtschaftliche Existenz von entscheidender Bedeutung. Hierbei ist hervorzuheben, daß die Aufträge an Weimer teilweise aus öffentlichen Mitteln finanziert wurden.

Auf der gleichen Ebene lagen die Beziehungen des ehemaligen sozialdemokratischen Polizeipräsidenten von Breslau, Fritz Voigt, zu der Siedlungsgesellschaft „Deutsches Heim“. Auf Anregung von Franz Leuninger betätigte sich dieser als Grundstücksmakler. Es ist anzunehmen, daß Voigt mit seinem Unternehmen vorwiegend der Geschäftspartner der Siedlungsgesellschaft war und durch Franz Leuninger eine entsprechende Förderung und Unterstützung erfuhr. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf den Ofensetzermeister Beck von Breslau, der durch den katholischen Gesellenverein mit Franz Leuninger bekannt war und durch dessen Vermittlung viele Aufträge für das „Deutsche Heim“ ausführte. Das Motiv für diese Haltung Franz Leuningers lag ausschließlich in der Verbundenheit mit allen Gegnern des nationalsozialistischen Unrechtsstaates.

Jeder, der auch nur annähernd mit den Verhältnissen im Hitlerstaat vertraut war, wußte, daß die vorstehend dargelegte Haltung Gefahren in sich barg. Zumindest konnte sie zu seiner Abberufung als Geschäftsführer der Siedlungsgesellschaft führen. Die Situation schildert Kurt Henke, ein Schlesier, der nach 1945 eine neue Heimat in Rohnstadt (Oberlahnkreis) fand, so:

„Als aktiver Gewerkschaftler, dem freigewerkschaftlichen Baugewerksbund angehörend, wurde ich 1933 vier Monate in ,Schutzhaft‘ genommen. Auf Grund meiner fachlichen Qualifikation als Polier im Baugewerbe und meiner Erfahrung im schlesischen Siedlungswesen fand ich im Jahre 1938 in Breslau eine Anstellung als Bauleiter bei der ,Schlesischen Heimstätte‘. Hier begegnete ich Franz Leuninger. Schnell entwickelte sich zwischen ihm und mir eine gute Zusammenarbeit, die zu einer gegenseitigen fachlichen und menschlichen Respektierung führte. Für die Annäherung hat das Gefühl der Verbundenheit aus unserer gewerkschaftlichen und politischen Vergangenheit sicherlich eine große Rolle gespielt. Franz Leuninger war mir einer der liebsten Menschen, denen ich damals im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit begegnet bin.

Mir war auch zu jener Zeit das Verhältnis zwischen ihm und dem ehemaligen Polizeipräsidenten Voigt bekannt. Ganz offensichtlich versuchte Franz Leuninger Voigt zu helfen und zu decken. Ich weiß, daß die beiden sich oft in den Geschäftsräumen des ,Deutschen Heims‘ getroffen haben. Mein Empfinden damals war, daß sich aus diesem Verhältnis für Franz Leuninger schwerwiegende politische Schwierigkeiten ergeben konnten.“

Allerdings führte seine berufliche Tätigkeit zwangsläufig zu Kontakten mit Behörden und Parteiorganisationen. Durch Geschicklichkeit und Erfahrung, verbunden mit großen persönlichen Opfern, gelang ihm die Tarnung, obwohl er den damaligen Machthabern, wie August Weimer berichtet, immer als verdächtig galt. Im übrigen hatten seine Freunde, die die Zusammenhänge kannten, für alle seine Schritte Verständnis, um den Verdacht der „Unzuverlässigkeit“ von sich abzulenken, wozu auch die nominelle Parteimitgliedschaft gehörte. Seine wahre politische Überzeugung wurde von ihnen nie in Zweifel gezogen. Immerhin war jene Zeit für ihn, den freiheitlichen Arbeiterführer und Politiker eine schwere nervliche und seelische Belastung. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß Franz Leuninger zu einem Dr. Helbig, der als Finanzwissenschaftler für das ostdeutsche Siedlungswesen tätig war und wegen seiner jüdischen Ehefrau von dieser Aufgabe entbunden wurde, enge persönliche Kontakte pflegte und diesen oft in seine Wohnung einlud.

Mit seinen Freunden lebte Franz Leuninger in engen persönlichen Beziehungen und führte ständig vertrauliche politische Gespräche mit ihnen. August Weimer wurde beispielsweise von ihm über alle wichtigen Begebenheiten und Vorgänge im politischen Bereich unterrichtet, die normalerweise nur durch die ausländischen Sender zu hören waren, allerdings mit dem Unterschied, daß es Franz Leuninger vielfach früher wußte, als es die Radionachrichten brachten. Über familiäre und freundschaftliche Verhältnisse hinaus kam es auch zu politischen Gesprächen mit anderen Gleichgesinnten. Bereits in den Jahren 1937/38 fanden wiederholt in seinem Büro solche Gespräche statt, an denen neben Weimer und Voigt auch andere Persönlichkeiten teilnahmen.

Mit diesen Feststellungen ist aber auch dargetan, daß der Widerstand sich nicht erst formierte, als die militärische Niederlage Deutschlands im zweiten Weltkrieg offenkundig wurde. Auch Franz Leuninger stand schon sehr zeitig in den Reihen derjenigen, denen es auf die Beseitigung des Unrechtstaates ankam, und die an dessen Stelle eine bessere und gerechtere Ordnung in allen Lebensbereichen setzen wollten. Jakob Kaiser, der Franz Leuninger schon aus dessen gewerkschaftlicher Tätigkeit in Schlesien kannte und schätzte, sagte: „Es entsprach einer Selbstverständlichkeit, daß ich nach 1933 mit Franz Leuninger in steter Verbindung geblieben bin. Leuninger gehörte bis zum Schluß, neben dem früheren Polizeipräsidenten Voigt, in Breslau zu den schlesischen Vertrauensleuten der Widerstandsgruppe die sich um Karl Friedrich Goerdeler und Generaloberst Ludwig Beck geschlossen hatte.“ Elfriede Kaiser-Nebgen bekräftigte dies mit den Worten: „in Breslau wirkte der ehemalige Gewerkschaftsführer Franz Leuninger schon früh mit dem aus den freien Gewerkschaften stammenden sozialdemokratischen Polizeipräsidenten Voigt und dem freien Gewerkschaftler Wirsisch im Widerstand zusammen.“

Die Motive für das Handeln von Franz Leuninger im Widerstand decken sich mit denjenigen der anderen Widerstandskämpfer, „die durchweg religiös und sozial gebunden waren Er litt mit ihnen unter den Nöten der Unfreiheit und der Ungerechtigkeiten des totalitären Systems, die mit dem Krieg ihren Höhepunkt erreichten. An dem Feldzug gegen Polen nahm er als Vierzigjähriger aktiv teil. Unberührt von den militärischen Erfolgen des deutschen Heeres bewegte ihn die Not und das Elend der Menschen, die unmittelbar in das Kriegsgeschehen verwickelt waren. In dieser Situation legte er in einem Brief an einen seiner Brüder seinen Standpunkt zum Krieg dar mit den Worten: „Es gibt nichts, was einen Krieg rechtfertigt, und es ist jedes Mittel erlaubt, das einen Krieg verhindert.“ Er war sich zu jeder Zeit darüber klar, daß Hitler den Krieg nicht gewinnen konnte und auch nicht gewinnen durfte. Mit August Weimer teilte er die Meinung, daß im Falle eines Sieges, sie und alle Gleichgesinnten aller Rechte – auch das auf Leben – verlustig gehen würden.


Seinen Familienangehörigen und seinen Freunden stand Franz Leuninger rein menschlich immer sehr nahe und auch in ihrer politischen Gesinnung wußte er sich mit ihnen verbunden. Aber selbst in diesen Kreisen ist über seine Tätigkeit im Widerstand wenig bekannt, so daß eine umfangreichere Darstellung derselben nicht möglich ist. August Weimer und andere ihm nahestehende Menschen, die sein Vertrauen hatten, hat er lediglich dahingehend unterrichtet, daß es Widerstandsgruppen gibt, sie jedoch nicht darüber aufgeklärt, daß er einer solchen angehört. So hat man schon gar nichts über irgendwelche Funktionen, die er im Rahmen des Widerstandes ausgeübt hat, in Erfahrung bringen können. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang vielleicht die Tatsache, daß er, als die Bombenangriffe vor allem auf die westdeutschen Großstädte erfolgten, des öfteren Reisen nach Westdeutschland unternahm, um sich als Fachmann im Wohnungsbau über die Auswirkungen der Bombenangriffe zu informieren. Es ist wohl die begründete Vermutung geäußert worden, daß der genannte Zweck dieser Reisen eine Tarnung war für die Ausführung irgendwelcher Aufträge der Widerstandsbewegung. Es ist zu bedenken, daß die Widerstandsgruppen und ihre Angehörigen untereinander Informationen nur im persönlichen Gespräch austauschen und Kontakte pflegen konnten und weder schriftlich noch fernmündlich tätig werden durften.

Indessen besagen einige bekannte Fakten, daß Franz Leuninger eine nicht unerhebliche Aktivität in der Widerstandsbewegung entwickelt haben muß. So reiste er des öfteren nach Berlin, wo er mit Jakob Kaiser Gespräche führte. Hieran nahm auch einmal Fritz Voigt teil. Hermann von Lüninck erinnert sich an eine Besprechung im Herbst 1943 in Berlin, deren Teilnehmer u. a. Goerdeler, Jakob Kaiser und Franz Leuninger waren. Es ging dabei um sozialpolitische und Ernährungsfragen nach einem erfolgreichen Umsturz.

Die Unruhe über die Entwicklung in Deutschland, insbesondere hervorgerufen durch das Kriegsgeschehen, die sich unter seinen Freunden und Familienangehörigen immer mehr steigerte, veranlaßte Franz Leuninger hin und wieder zu Äußerungen, die beruhigend und tröstend wirken sollten. In vorsichtiger Form wies er auf Kräfte hin, die bestrebt seien, das Chaos zu beseitigen und die Ordnung wiederherzustellen. Diese Haltung erreichte einen dramatischen Höhepunkt bei seinem letzten Besuch in Mengerskirchen im Frühjahr 1944, gelegentlich einer Reise nach Westdeutschland. An einem Abend war er mit seinen nächsten Angehörigen im Elternhaus versammelt. Bedrückend war die Atmosphäre, die durch die Nöte und die Sorgen der anwesenden Frauen und Mütter hervorgerufen wurde. Die Väter und erwachsenen Söhne standen im Kriegsgeschehen. Er aber sprach von der Hoffnung auf ein Ende der Schrecken, das nicht mehr ferne sei. Männer wären bereit, ihr Leben dafür einzusetzen, weil sie das ihrem Volke schuldig zu sein glaubten. Die Soldaten an der Front stünden immer in Lebensgefahr. Aber es muß ihn doch eine bange Ahnung erfüllt haben, denn ehe man auseinanderging, hakten sich alle auf sein Geheiß in die Arme, wobei er sagte: ,,Es werden aber doch noch schwere Zeiten kommen und dann müßt ihr alle so zusammenstehen, wie in diesem Augenblick.“ Noch deutlicher wurde die Ahnung an ihm sichtbar, als er Abschied nahm, um die Rückreise nach Breslau anzutreten. Seinen alten Vater umarmte er dreimal und sein lautes Schluchzen, das er zu unterdrücken suchte, schüttelte seinen ganzen Körper. Zu seinen Schwestern sagte er, daß er seinen Vater wohl nicht mehr sehen werde und zu ihnen würde er sicher lange Zeit nicht mehr kommen können. Der Krieg sei verloren, Deutschland werde in Zonen eingeteilt und dann sei das Reisen unmöglich. Seine älteste Schwester fragte er noch, ob ihre Söhne auch keine Nazis seien; es wäre furchtbar, wenn sie mit diesen Verbrechern etwas zu tun hätten.

Und dann kam der 20. Juli. Einige Tage vorher sprach er noch in engstem Familienkreis über die Konzentrationslager und die Gewaltherrschaft. ,,Die Verbrechen sind so furchtbar, daß sie nur mit dem Blut der Besten gesühnt werden können.“ So seine Worte! Die Nachricht von dem Attentat und seinem Mißlingen erreichte ihn in seinem Büro in Breslau. Es trieb ihn nach Hause, wo er seine Frau und seine Schwägerin antraf. In tiefer Bestürzung sprach er über die Geschehnisse, die ihn auffällig nachdenklich stimmten. Es war, ohne daß er es kundtat, die Sorge um das Schicksal der eigenen Person und das der Schicksalsgefährten. Schon am 22. Juli benachrichtigte man ihn von der Verhaftung Voigts durch die Gestapo. Sofort setzte er sich mit einem Rechtsanwalt und anderen Persönlichkeiten in Verbindung, um über dessen Schicksal Näheres zu erfahren, wodurch er sich selbst in Gefahr begab. Weitere Verhaftungen von Bekannten erfolgten. Bei den Informationen hierüber verwendete man Decknamen und verschlüsselte Wortlaute. Wenige Wochen später erreichte auch ihn sein Schicksal. Die Gestapo holte ihn von seinem Büro ab. Die Vorwürfe, die man gegen ihn erhob, vermittelt ein Auszug aus dem Haftbefehl gegen Franz Leuninger, in dem folgendes zu lesen ist:

,,Leuninger hat bereits in den Jahren 1941/42 von dem ihm von früher gut bekannten ehemaligen sozialdemokratischen Gewerkschaftssekretär Fritz Voigt erfahren, daß gewisse Kreise des Adels und der Wirtschaft zur Herbeiführung eines Sonderfriedens mit den Westmächten eine Änderung der Regierung anstrebten. Dies wurde ihm später von dem früheren Landesgeschäftsführer der Christlichen Gewerkschaften, Jakob Kaiser, in Berlin bestätigt, der ihm auch nähere Mitteilungen über die geplante Überführung der DAF in eine deutsche Einheitsgewerkschaft machte. Wenn Leuninger auch über die Kräftegruppe, die hinter der neuen Bewegung stand, und über ihren Weg nicht näher unterrichtet gewesen sein will, so nahm er doch an, daß sich diese Gruppe unter der Beseitigung der gegenwärtigen Regierung auf irgendeine Art der Gewalt im Staate bemächtigen würde. Obwohl er also über den hochverräterischen Charakter dieser Bestrebungen nicht im Zweifel sein konnte, unterließ er nicht nur eine Anzeige, sondern beteiligte sich im Spätherbst 1943 in der Wohnung Voigts in Breslau, zusammen mit Voigt, dem früheren sozialdemokratischen Gewerkschaftssekretär Wirsisch und dem früheren sozialdemokratischen Landrat Winzer an der Erörterung der Frage, wer bei der Regierungsänderung für den leitenden politischen Posten in Niederschlesien in Frage käme. Auch Leuninger erklärte sich zur Mitarbeit für die neue Regierung durch Überwachung der wirtschaftlichen Organisation bereit.“

Dieser Auszug umfaßt nur einen Abschnitt aus der Tätigkeit Franz Leuningers im Widerstand, wie die Darlegungen im vorstehenden Kapitel zeigen. Für die Machthaber reichte aber das in dem Haftbefehl Gesagte aus, um ihn ins Gefängnis zu bringen.


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