FÜR EINE GEMEINSAME ZUKUNFT
Die Familien anderer Muttersprache im Bistum Limburg
HINWEIS
Anlage 2 zu TOP 1 des Protokolls der 14. Sitzung des Diözesansynodalrates Limburg am 24. April 1982: Für eine gemeinsame Zukunft – Die Familien anderer Muttersprache im Bistum Limburg
ANMERKUNGEN
(ohne)
1. Situation
1.1 Die Einschränkung des Familiennachzugs
Seit vielen Jahren befaßt sich das Bistum Limburg mit den Schwierigkeiten, die aus der Beschäftigung einer wachsenden Zahl von Arbeitnehmern anderer Muttersprache bei uns und aus dem Zuzug ihrer Familien entstehen. Der Diözesansynodalrat weiß, daß gerade in der gegenwärtigen Situation diese Schwierigkeiten besonders groß geworden sind.
Es ist leicht, Forderungen zu stellen, aber schwer, sie zu erfüllen, wie ja auch mit einem weiteren Zustrom von Menschen anderer Muttersprache weder diesen noch den Deutschen ein Dienst erwiesen wird. Deshalb möchte der Rat den ausländerpolitischen Maßnahmen von Bund und Ländern keine ausländerfeindliche Motivation unterstellen.
Doch geben bestimmte Maßnahmen, besonders insoweit die Familienzusammenführung der Arbeitnehmer anderer Muttersprache betroffen ist, Anlaß zu sehr ernsten Bedenken.
Dazu gehören:
- das Verbot des Nachholens minderjähriger Kinder von einem bestimmten Alter an;
- die Erschwernisse des Zusammenlebens in der Bundesrepublik für den Fall der Heirat eines Arbeitnehmers anderer Muttersprache mit einem Partner aus der Heimat (u.E. wird praktisch ein solches Zusammenleben unmöglich gemacht);
- die Auflage, für nachgeholte oder neugeborene Kinder angemessenen Wohnraum nachweisen zu können (für eine Familie anderer Muttersprache angesichts des Wohnungsmarktes eine Unmöglichkeit).
Diese Maßnahmen verstoßen u.E. gegen grundlegende Rechte der Familie: gegen die Menschenwürde, gegen das Recht auf Heirat und Familiengründung sowie gegen das Recht der Eltern, ihre Kinderzahl zu bestimmen (1).
1.2 Vor der Einschränkunq
1.2.1 Ein Hauptmerkmal der ausländischen Familien in der Bundesrepublik ist die Unsicherheit ihrer Zukunftsplanung. Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sind durch das geltende Recht eng an die wirtschaftliche Lage gebunden. Es gibt prinzipiell für ausländische Familien keinen Anspruch auf ein Verbleiben in der Bundesrepublik. Die Behörden entscheiden dies innerhalb eines weiten Ermessensspielraums.
Die Bestimmungen für den Familiennachzug waren bereits sehr restriktiv. (Der ausländische Arbeitnehmer, der seine Familie nachkommen lassen wollte, mußte in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen und eine Wohnung nachweisen, die für den Nachzug angemessen war.)
Die ausländischen Familien, die jetzt noch getrennt leben, stehen unter großen Belastungen. Die Rückkehr des in der Bundesrepublik erwerbstätigen Teils ist nur für wenige eine Alternative, die langfristig ihre Existenz sichert.
Die Familien müssen sich nach einer Trennung wieder neu zusammenfinden, alte Autoritätsstrukturen sind oft in der Zwischenphase durchbrochen worden und führen zu Konflikten, für die Kinder prägt sich eine tiefe Verunsicherung ein. Auf eine Stabilisierung der Situation kann sich die ausländische Familie nicht verlassen. Damit wird ihr eine klare Zukunftsplanung außerordentlich erschwert.
1.2.2 Es ist unerläßlich, durch eine klare Politik den ausländischen Familien nicht nur ein menschenwürdiges Zusammenleben zu ermöglich sondern ihnen auch Sicherheit und Vertrauen in ihre Zukunft zu vermitteln. Dies kann dadurch geschehen, daß die ausländischen Familien in die Lage versetzt werden, selbst darüber zu entscheiden, ob sie in der Bundesrepublik bleiben oder in ihre Heimatländer zurückkehren wollen. Nur dadurch wird auch für die Kinder und Jugendlichen eine Situation geschaffen, die Verläßlichkeit und Sicherheit bietet und es so erlaubt, Zukunftsperspektiven aufzubauen und zu realisieren. Erforderlich ist dafür vor allem die Aufhebung aller entgegenstehenden rechtlichen Bestimmungen (3).
1.3 Familienzusammenführung, Rückkehr
1.3.1 Bezogen auf alle verheirateten Ausländer, die noch Kinder im Herkunftsland haben, zeigt sich, daß nur 27,3 % von ihnen beabsichtigen, diese Kinder in die Bundesrepublik Deutschland nachzuholen.
Von den türkischen Eltern wird beabsichtigt, ein Viertel ihrer im Herkunftsland gebliebenen Kinder in das Bundesgebiet nachkommen zu lassen.
Zusammenfassend kann daher anhand der Befragungsergebnisse einer häufig vertretenen Meinung in der Literatur widersprochen werden, daß nämlich die Mehrzahl der ausländischen Kinder, die noch in den Herkunftsländern der Ausländer geblieben sind, von ihren Eltern in die Bundesrepublik Deutschland nachgeholt werden sollen (4).
1.3.2 Als Grund für den Wunsch, die Familienangehörigen in die Bundesrepublik Deutschland nachzuholen, wird von den Ausländern häufig angegeben, daß sie unter der Familientrennung leiden und daß sie mit ihren Verwandten zusammenleben möchten (50 % der Nennungen). Ein weiteres Motiv für diesen Wunsch liegt darin, daß die Arbeitsmöglichkeiten in der Bundesrepublik besser beurteilt werden als im Herkunftsland, und daß gehofft wird, daß die Familienangehörigen im Bundesgebiet Arbeit aufnehmen können (33 % der Nennungen). Entgegen der Erwartung wird dagegen von den Ausländern seltener angegeben, daß die Familienangehörigen in das Bundesgebiet kommen sollen, um hier die Kinder zu betreuen (10 % der Nennungen) (5).
1.3.3 Ausländer sind dann bereit, in ihr Herkunftsland zurückzukehren, wenn sie dort einen Arbeitsplatz finden, die in der Bundesrepublik angestrebten Sparziele erreicht sind und wenn gleichzeitig die Familienangehörigen mit zurückkehren. Als Rückkehrbedingungen werden aber auch häufig genannt, daß man sich selbständig machen können müßte, der gleiche Lohn wie in der Bundesrepublik Deutschland gezahlt werden oder das Rentenalter erreicht sein müßte. Da all diese Bedingungen in absehbarer Zeit nicht realisiert sein werden, ist auch mit einer freiwilligen baldigen Rückkehr der meisten Ausländer in ihre Herkunftsländer nicht zu rechnen (6).
2. Grundsätze der kirchlichen Lehre
Um die Haltung der Kirche gegenüber den genannten Maßnahmen besser zu verstehen, seien einige Grundsätze der kirchlichen Lehre über die Familie und die Aufgabe der Kirche als Anwalt der Schwachen in Erinnerung gerufen.
2.1 Die Rechte der Familie
2.1.1 Die Familie ist im Plane Gottes die erste Lebenszelle der Gesellschaft und noch vor dem Staat und jeder anderen Gemeinschaft Träger von Rechten und Pflichten (7).
2.1.2 Die Kirche zählt zu den Rechten der Familie u.a.:
- das Recht, als Familie zu leben und sich zu entwickeln;
- das Recht, eine Familie zu gründen und sie mit den nötigen Mitteln zu unterhalten;
- das Recht, die eigene Verantwortung in der Weitergabe des Lebens und in der Erziehung der Kinder wahrzunehmen;
- das Recht auf Dauerhaftigkeit der ehelichen Bindung und Institution;
- das Recht auf eine geeignete Wohnung, die ein angemessenes Familienleben ermöglicht;
- das Recht, als Familie auswandern zu können, um bessere Lebensbedingungen zu suchen. (8)
.
2.1.3 Ehegatten haben das Recht zusammenzuleben; dies gilt auch für die Arbeitnehmer anderer Muttersprache. Eltern haben das Recht, ihre Kinder zu erziehen, und Kinder haben einen Anspruch, in der Familie zu leben.
Diese Rechte dürfen aus ideologischen, wirtschaftlichen oder politischen Gründen nicht eingeschränkt werden (9).
2.2 Die Kirche als Anwalt
2.2.1 Solange Menschenrechte bedroht sind, darf die Kirche nicht schweigen (10).
2.2.2 Das Wissen, das die Kirche in Christus in Bezug auf den Menschen gewonnen hat, macht sie zum Anwalt der Menschlichkeit und verpflichtet sie, feierlich die grundlegenden Rechte des Menschen zu verkünden und ihre prophetische Stimme zu erheben, wenn diese Rechte mit Füßen getreten werden. Dabei zählt die Kirche zu den „universalen, wesentlichen und unaufgebbaren Rechten“, also zu den „Menschenrechten“ das Recht, ins Ausland auswandern zu können und sich dort aus legitimen Gründen niederzulassen und überall mit seiner Familie zusammenleben zu können (11).
2.2.3 Die Kirche nimmt sich vor allem der Fremden und Bedrängten an, macht sich die Leiden und Anliegen der Randgruppen und Unterdrückten zu eigen und tritt als Anwalt und Verteidiger ihrer Rechte auf. Die Diakonie der Kirche umfaßt alle Fremden und Bedrängten ohne Ausnahme und Unterschied von Herkunft und Religion (12).
2.2.4 Werden Arbeitnehmer nicht deutscher Herkunft beschäftigt, sind die erforderlichen gesellschaftlichen Strukturen zu schaffen. Diese müssen so angelegt sein, daß dem Arbeitnehmer anderer Muttersprache und seiner Familie ein Höchstmaß an Rechtssicherheit, ein größtmögliches Maß an eigener Entscheidungsfreiheit und Mitwirkung, volle Gleichheit der Chancen und sozialen Sicherung, kulturelle und religiös-kirchliche Eigenständigkeit gewährleistet und so ein Leben ermöglicht wird, das der Würde des Menschen entspricht (13).
3. Aufgaben
3.1 Kirche als Anwalt
3.1.1 Die Kirche muß die ihr aufgetragene Rolle als Anwalt in der politischen und kirchlichen Öffentlichkeit klar herausstellen. Die Erwartungen der Familien anderer Muttersprache an die Kirche, und zwar nicht nur derer, die wie die Kroaten, Portugiesen, Slowenen und Spanier zur Kirche gehören, sind sehr hoch. Tatsächlich scheint es außer der Kirche derzeit keine gesellschaftlich bedeutsame Kraft zu geben, die die Anliegen der nichtdeutschen Bevölkerung angemessen in der Öffentlichkeit vertritt.
3.1.2 Um diese Aufgabe überzeugend erfüllen zu können, bedarf es der betonten Pflege der innerkirchlichen Gemeinsamkeit und gegenseitigen Integration. „Mit der innerkirchlichen Solidarität setzt die Kirche ein Zeichen für die Einheit der Menschen“ (14). „Für das harmonische und partnerschaftliche Zusammenleben in einem Land sollte die Kirche einen besonderen Beitrag leisten; auf lokaler und staatlicher Ebene, im Leben der Gemeinden ebenso wie in der Führung der Kirche“ (15).
3.2 Stimmungswandel
3.2.1 Nun ist es in Politik und Öffentlichkeit gegenüber den Minderheiten anderer ethnischer Herkunft zu einem tiefgreifenden Stimmungswandel gekommen. In der Politik schlägt er sich in abwehrenden Maßnahmen, in weiten Teilen der Bevölkerung in wachsender Fremdenangst und Fremdenfeindlichkeit nieder. Die Ursachen sind komplexer Natur, haben sicher aber mit Ängsten zu tun, die sich aus der wirtschaftlichen Unsicherheit ergeben. Diese Ängste werden – wie in der Geschichte immer wieder praktiziert – in gesteuerter und ungesteuerter Form auf die „Fremden“ projiziert. Dies dürfte unabhängig von den tatsächlichen, keinesfalls zu verharmlosenden Schwierigkeiten einer weiteren gegenseitigen Integration von Menschen sehr unterschiedlicher kultureller Herkunft gelten.
3.2.2 Die neuen Maßnahmen gegen die Familienzusammenführung haben einen Prozeß ausgelöst, wie ihn Bischof Wittler in seinem Schreiben an den Bundeskanzler befürchtet hat: Daß nämlich durch die getroffenen Maßnahmen den langjährigen Bemühungen der Wohlfahrtsverbände, der Kirchen und zahlreicher Initiativen um die Integration der Ausländer durch Zerstören des Vertrauens in die Deutschen der Boden entzogen würde. Bei den Betroffenen und den im Integrationsbereich Tätigen läßt sich eine fast lähmende Resignation feststellen, als sei eine Arbeit von Jahren und Jahrzehnten umsonst gewesen. Vor allem ist der Eindruck entstanden, daß die bisherigen Ziele und Vorstellungen, wie sie sich in kirchlichen Verlautbarungen und Programmen niedergeschlagen haben, in den Gemeinden kaum auf Resonanz stoßen.
3.2.3 Methodisch sind daher neue Wege zu finden und zu beschreiten, um die kirchlichen Vorstellungen in den Pfarreien und kirchlichen Einrichtungen besser zu verbreiten, sie zum Anliegen der ganzen Kirche zu machen. Ohne eine breitere Grundlage in der Kirche dürfte die pastorale und gesellschaftliche Integration gefährdet sein. Außerdem könnten in einem solchen Falle die Politiker auch weiterhin kirchliche Forderungen einfachhin unberücksichtigt lassen.
3.3 Ökumenisch
Der Ökumenische Vorbereitungsausschuß für den Tag des ausländischen Mitbürgers hat vorgeschlagen, möglichst am 26. September 1982 bundesweit örtliche Ausländertage zu veranstalten. Angesichts der gegenwärtigen Ausländerpolitik und der vielfach zu beobachtenden zunehmenden Fremdenangst wurde als Motto vorgeschlagen: „Ängste überwinden – zur Nachbarschaft finden“. Mit diesem Motto sollen Ängste von Deutschen und Ausländern angesprochen und versucht werden, durch verschiedene Formen guter Nachbarschaft solche Ängste überwinden zu helfen.
„Alle gesellschaftlichen Gruppen sollten sich gegenseitig ermutigen, daß Ängste und Vorurteile zwischen Deutschen und Ausländern abgebaut und Beispiele aufgezeigt werden, wie ein Zusammenleben möglich ist. Nur gemeinsam haben Deutsche und Ausländer eine Zukunft“ (16).
4. Empfehlungen
4.1 Der Diözesansynodalrat empfiehlt der Bistumsleitung, alle Formen des Zusammenlebens und der Verständigung zwischen den Familien deutscher und anderer Muttersprache in den Pfarreien und im Kontakt von Pfarrei und Gemeinde von Katholiken anderer Muttersprache zu unterstützen.
4.1.1 Dabei sind wichtige Begegnungs- und Lernfelder
- Kindergarten und Eltern,
- Sakramentenunterricht und Eltern,
- Familiengruppen,
- Familienfreizeiten,
- Nachbarschaftspflege, Vereinswesen,
- Gemeinsame Veranstaltungen und Gottesdienste.
4.1.2 Ansatzpunkte konzeptioneller, struktureller und methodischer Art sind u.a.
- die Synodalordnung mit ihren Kommunikationsmöglichkeiten, die noch nicht ausgeschöpft sind,
- die Empfehlungen des Bezirkssynodalrates Frankfurt an die Gemeinden deutscher und anderer Muttersprache,
- die kooperative Integration von Ortspfarrei und Gemeinde von Katholiken anderer Muttersprache in Wiesbaden,
- die örtlichen Ausländertage 1982,
- der Tag des ausländischen Mitbürgers 1983.