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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV PRO ASYL PRESSEERKLÄRUNG 1993 :::
16.12.1993

ddp-Interview
ASYL-Bilanz ’93


zu Frage 1 (nicht aufgeführt)

A: Menschen, die nur auf dem Landweg nach Deutschland kommen können, haben grundsätzlich keine Chance mehr auf ein Asylverfahren.

Unser Land ist von einem Kranz sogenannter sicherer Drittstaaten umgeben. Der neue Artikel 16a geht einfachhin davon aus, daß solche Flüchtlinge unterwegs einen Asylantrag stellen könnten .

Asylbewerber, die an der Grenze ankommen, werden vom BGS sofort zurückgeschickt. Gelangen sie heimlich über die Grenze und werden gefaßt, blüht ihnen das gleiche Schicksal. Sind sie mit dem Flugzeug eingereist, werden sie in die nächste Maschine gebracht und zu dem Flughafen zurückgeflogen, auf dem sie zwischengelandet waren.

B: Flüchtlinge, die aus einem der sogenannten sicheren Herkunftsländer in die Bundesrepublik kommen.

Das sind Staaten, von denen der Bundestag vermutet, daß es dort praktisch keine politische Verfolgung gibt.Hierzu zählen Gambia, Ghana und Senegal, in Osteuropa u.a. Bulgarien und Rumänien.

Mit ai vertritt „Pro Asyl“ die Auffassung, daß es auch in Ländern, die als verfolgungsfrei gelten, durchaus Verfolgung gibt.

In Rumänien und Bulgarien gibt es ethnische Minderheiten, vor allem das Volk der Roma, die immer stärker unter einem wachsenden Haß der Bevölkerung leiden. Gegen Roma gibt es in Rumänien regelrechte Pogrome, bei denen der Staat seinen Schutz versagt.

Der Asylantrag von Flüchtlingen aus sicheren Herkunftsstaaten wird normalerweise als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Sie sollen dann innerhalb einer Woche ausreisen oder Klage erheben.

Vielen Flüchtlingen, die weder in der Bundesrepublik oder in einem Nachbarland Schutz finden, droht das, was in der Fachsprache eine Kettenabschiebung genannt wird. Sie endet im Staat der Unterdrückung, Folter und Verfolgung.

Osteuropäische Länder wie z.B. Polen haben ihrerseits mit ihren benachbarten Ländern Verträge abgeschlossen, um bei ihnen eingereiste Flüchtlinge, dorthin zurückzuschicken. „Pro Asyl“ sieht die Gefahr, daß durch diese kontinentale Abwehr, der internationale Schutz für Flüchtlinge zusammenbricht.

zu Frage 2

Es gibt einige Entscheidungen von Verwaltungsgerichten zur Drittstaaten-Regelung. Diese selbst sind sehr unterschiedlich.

Von großer Bedeutung sind einige vorläufige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes, die eine Zurückschiebung erst einmal verhindert haben. In einem Fall ging es um eine Christin aus dem Irak, die dort als Spionin gegen Ausländer eingesetzt werden sollte. Sie war über den Flughafen Athen nach Frankfurt gekommen und sollte wieder dorthin verbracht werden. Das Bundesverfassungsgericht hat dies gestoppt, weil Griechenland in diesem konkreten Fall nicht als sicher eingestuft werden konnte. Ähnlich entschieden die Karlsruher Verfassungsrichter zugunsten von zwei Asylbewerbern aus dem Iran. Sie gehörten der dort blutig verfolgten Religionsgemeinschaft der Bahá’í an und wären vermutlich von Griechenland zurückgeschickt worden.

Jetzt steht die mit Spannung erwartete Grundsatzentscheidung des höchsten Gerichtes darüber an, ob die Drittstaatenregelung, wie „Pro Asyl“ es vertritt, nicht doch verfassungswidrig ist. Für Stellungnahmen, die das Gericht von Experten einholt, sind so erstaunlich kurze Fristen gesetzt, das mit einer Entscheidung am Anfang des kommenden Jahres gerechnet werden kann.

zu Frage 3

Bürgerinnen und Bürger dürfen Flüchtlinge nur dann bei sich aufnehmen, wenn diese als asylberechtigt anerkannt sind.

Darüberhinaus können sie Bürgerkriegsflüchtlinge gerade aus Bosnien-Herzegowina zu sich nach Deutschland einladen.

Dabei müssen sie sich allerdings verpflichten, für alle Kosten der Versorgung und Unterbringung aufzukommen; in manchen Bundesländern bezieht sich das auch auf die Übernahme der Krankenkosten. Dies betrachtet „Pro Asyl“ allerdings als eine absolute Überforderung, die dahin führt, daß Familien, die zur zeitweisen Aufnahme bedrohter Menschen bereit wären, hiervor verständlicherweise zurückschrecken.

Mittlerweile gibt es aber auch schon Fälle, daß Flüchtlinge, die keinen Rechtsschutz mehr haben und abgeschoben werden sollen, von Familien oder Einzelpersonen aufgenommen und nötigenfalls versteckt werden.

„Pro Asyl“ geht davon aus, daß diese Form des persönlichen Engagements zur Sicherung von Leib und Leben eines Menschen zahlenmäßig zunehmen wird, da der politische Druck auf die Durchsetzung von Abschiebungen erheblich zugenommen hat. Die Zahlen zwangsweiser Abschiebungen sind 1993 erheblich gestiegen.

zu Frage 4

Es zeigt sich, daß die Umstellung der Sozialhilfe für Flüchtlinge von Geld- auf Sachleistungen nicht überall durchgeführt wird. Die Kommunen wissen, daß diese Umsetzung teurer ist als eine Auszahlung und damit nicht in das Umfeld notwendiger Sparmaßnahmen paßt.

Sachleistungen in Form von Lebensmittelpaketen oder Fertiggerichten schränken die Rechte der Persönlichkeit, über sich und sein Leben im Kernbereich der Ernährung selbst zu bestimmen, in unzumutbarer Weise ein. Es ist auch zu befürchten, daß die mangelnde Beachtung kulturell geprägter Kochgewohnheiten zu gesundheitlichen Störungen führt.

Gutscheine sind nach früheren Erfahrungen eine Form der Diskriminierung. Wenn Asylbewerber sie in Geschäften einlösen, sind sie an der Kasse für Kassiererinnen, Kunden und die Geschäftsführung als Menschen erkennbar, die von der „Stütze“ leben. Da sich manche Geschäfte gegen die Annahme von Gutscheinen wehren, sind Flüchtlinge in der Auswahl günstiger Angebote sehr beschränkt.

Noch grundsätzlicher ist unsere Kritik allerdings an der Tatsache, daß das Asylbewerberleistungsgesetz die Flüchtlinge zu Menschen zweiter Klasse macht. Dies geschieht dadurch, daß sie mit einem Sondergesetz aus dem Kreis der Sozialhilfeempfänger ausgegrenzt und mit einem Sozialhilfesatz, der unter der Armutsgrenze liegt, versorgt werden.

Herbert Leuninger, Sprecher von „Pro Asyl“


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