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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV PRO ASYL PRESSEERKLÄRUNG 1993 :::
21.9.1993

Erneutes Rütteln am Asylrecht
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT VERFÜGT EINREISE
Anhänger der Bahá’í – Religion müssen nicht nach Athen zurück


Zwei Asylbewerber aus dem Iran, die länger als einen Monat im Transit des Frankfurter Flughafens festgehalten werden, dürfen nicht nach Athen zurückgeschoben werden. Dies hat das Bundesverfassungsgericht, wie gestern bekannt wurde, mit einer einstweiligen Anordnung verfügt. Die beiden Flüchtlinge, die sich zu der im Iran verfolgten Bahá’í-Religion bekennen, dürfen jetzt in die Bundesrepublik einreisen und erhalten ein reguläres Asylverfahren. Ausschlaggebend für die Karlsruher Entscheidung war ähnlich wie im Falle einer christlichen Asylbewerberin aus dem Irak, daß das EG-Mitglied Griechenland auch für Bahá’í-Anhänger nicht als sicheres Drittland angesehen werden kann (AZ; 2 BvR 1953 und 1954/93).

Die beiden Asylbewerber waren vor mehr als vier Wochen nach einer Flucht über die Türkei und Griechenland auf dem Frankfurter Flughafen gelandet, sollten aber bei nächster Gelegenheit nach Athen zurückgeschoben werden. Dies konnte ein Frankfurter Anwalt durch eine gerichtliche Eilentscheidung verhindern. Er verwies darauf, daß Bahá’í-Mitglieder in Griechenland bisher noch nie als Flüchtlinge anerkannt worden seien. Auch erhielten abgelehnte Flüchtlinge keine Aufenthaltsgenehmigung und würden aufgefordert, das Land zu verlassen.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte gleichwohl die Asylanträge ab und stellte fest, daß den Antragstellern aufgrund ihrer Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zustehe. Der Bundesgrenzschutz verweigerte daraufhin zum zweiten Mal die Einreise. Das Frankfurter Verwaltungsgericht hatte sich dieser Rechtsauffassung angeschlossen. Daraufhin legte der Anwalt Victor Pfaff Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein. Sein Kollege Reinhard Marx hatte dessen Begründung mit einer mehr als 50seitigen Expertise ergänzt.

Das Bundesverfassungsgericht betonte bei seiner Begründung, daß die noch ausstehende Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden schwierige, nur im Hauptverfahren zu klärende verfassungsrechtliche Fragen aufwerfe. So sei die Frage zu beantworten, ob der Absatz 2 des neuen Artikels 16a bei fehlender Sicherheit eines Drittstaates einschränkend ausgelegt werden könne. Auch werde der Frage nachzugehen sein, ob nicht andere Verfassungsbestimmungen wie z.B. Artikel 1 (Würde des Menschen) und Artikel 2 (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) die Abschiebung eines Flüchtlings in sein Heimatland verbieten, wenn ihm dort eine menschenrechtswidrige Behandlung droht.

„Pro Asyl“ bewertet die neue BVG-Entscheidung als Ausdruck dafür, daß das letzte Wort über die Verfassungsgemäßheit des neuen Asylrechts noch lange nicht gesprochen ist und sich möglicherweise gravierende Folgen für die Verfahrensvorschriften ergeben. Aktuell jedenfalls lasse sich die maßgeblich vom Bundesinnenministerium vertretene Rechtsauffassung nicht halten, sichere Drittländer seien prinzipiell sicher und Gerichte könnten nicht über deren etwaige Unsicherheit in ganz konkreten Fällen befinden.

Herbert Leuninger, Sprecher von „Pro Asyl“


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