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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV RADIO KURZPREDIGTEN 1970 ::: ARCHIV KIRCHE 1970 :::
Zuspruch am Morgen

Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 27. Juli – 1. August 1970

RADIO KURZPREDIGTEN

Austausch von Parteibüchern


Nachdem in der Tschechoslowakei der Umtausch der Parteimitgliedsbücher abgeschlossen ist, plant die SED für den Herbst eine ähnliche Aktion. „Überall“, so heißt es von offizieller Seite, „verbinden die Genossen das Ringen um höchste Produktivität mit der Vorbereitung des Umtauschs der Parteidokumente.“ Es scheint sich wohl um eine Prozedur zu handeln, die in derartigen Organisationen unerläßlich ist, um über ideologisch einwandfreie Mitglieder zu verfügen. Vielleicht haben sich ja im Laufe der Zeit zu viele opportunistische Mitläufer eingeschlichen; vielleicht stellte die Parteispitze zu viele Abweichungen von der verbindlichen Linie fest; oder ist unzufrieden mit dem zögerlichen Einschwenken auf eine neue Linie. Jedenfalls soll die Zahl der Mitglieder drastisch gesenkt werden, um mit der verbleibenden Auswahl wieder schlagkräftiger zu werden.

Ein Umtausch der Taufscheine wurde bislang noch nicht erwogen, obwohl es eine Minderheit in den Kirche gibt, die einer innerkirchlichen Säuberungswelle nicht abhold wäre. Während ein Teil dabei humanen Methoden das Wort redet, drängen andere auf das bewährte Mittel der Exkommunikation, dem amtlichen Ausschluß vom Mitvollzug des kirchlichen Lebens. Die letzte Form wird aber von Fortschrittlichen entschieden abgelehnt, weil sie zu sehr den Geist einer abgelaufenen Epoche atmet. Befürworter einer kirchlichen Säuberung aus Kreisen eher fortschrittlicher Christen setzen auf die schlichte Aufforderung zum Kirchenaustritt. Er wird bei den sogenannten Taufscheinchristen für angebracht gehalten, die zwar noch ihre Kirchensteuer zahlen, sich aber in keiner Weise an den Veranstaltungen der Kirche bzw. der Gemeinde beteiligen.

So deutlich und klar, so kompromißlos und ehrlich eine derartige Auffassung auch erscheinen mag, enthält sie doch eine Vorstellung von kirchlicher Gemeinschaft, die nicht mehr zeitgemäß ist und sich von dem Exkommunikationsdenken nur in der Form unterscheidet; soll doch Druck ausgeübt werden, der sich auf das Gewissen und die Geisteshaltung bezieht und eine einheitliche Ausrichtung bewirken möchte. Wer sich diesem Druck nicht beugt, hat selbst die Folgerung zu ziehen, indem er die Gemeinschaft verläßt.

Überraschenderweise entspricht dieser Auffassung immer noch eine sehr geringe Neigung, die Kirche zu verlassen, selbst wenn die Zugehörigkeit zu ihr eher zähneknirschend aufrechterhalten wird. Bei sehr kritischer Einstellung zum heutigen Erscheinungsbild von Kirche soll ein letztes Band zu ihr nicht durchschnitten werden. Den Gründen für diese Bindung nachzugehen ist ziemlich schwierig, da es sich um eine komplexes Phänomen handelt. Es ist sicher nicht nur eine Anhänglichkeit aus Kindertagen oder die Angst einmal „wie ein Hund begraben zu werden“. Mitunter ist es wohl die unausgesprochene Erwartung, die Kirche – eine allerdings stark gewandelte – könne eine hilfreiche Rolle für die Menschheit spielen und sei immer noch berufen, eine sinnvolle Lebensdeutung anzubieten.

Hier beckmesserisch vorgehen zu wollen, was genügt, um gerade noch oder nicht mehr Glied der Kirche zu sein, verdunkelt unnötig die künftige Aufgabe der Kirche. Entscheidend dürfte Zweierlei sein: Einmal, daß sich immer zahlreicher christliche Gemeinschaften herausbilden, in denen ein intensives Nachdenken über die Botschaft Christi gepflegt wird und zu entsprechendem Handeln führt. Zum anderen: Es muß jedem Menschen unbenommen bleiben, zu wählen, ob und in welcher Form er sich an diesem Lebensvollzug beteiligt. Das kann sich darin äußern, daß er die christliche Gemeinschaft voll und ganz mitträgt oder nur einen sympathisierenden Kontakt hält. Säuberungswellen sind dann überflüssig – Reformen aber nicht.


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