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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV PRO ASYL PRESSEERKLÄRUNG 1992 :::
25.8.1992

ARTIKEL 16 GRUNDGESETZ ALS MENSCHENRECHT


ARTIKEL 16 GRUNDGESETZ ALS MENSCHENRECHT

Das Grundrecht auf Asyl ist ein Menschenrecht! Damit fehlt dem Bundestag – selbst bei einer Zweidrittelmehrheit – die Kompetenz, Artikel 16 Grundgesetz substantiell zu verändern.

Zum Wesen eines Menschenrechtes gehört es, daß es universell gilt und ein angeborenes, unveräußerliches Recht für jedes Individuum darstellt. Es muß unter jeder vorstellbaren historischen Situation beachtet werden. Als elementares Recht ist es vorstaatlich und vorverfassungsmäßig.

Das Menschenrecht auf Asyl ergibt sich aus dem ersten aller Menschenrechte, nämlich dem der Wahrung der Menschenwürde. Hiermit ist wesensgemäß das Recht auf Leben und die Unversehrtheit der Person gemeint. Daraus leiten sich alle weiteren Menschenrechte ab, u.a. das, nicht getötet und keiner Folter unterworfen zu werden und vor allem das, sein Leben durch Flucht in ein anderes Land retten zu können.

Das Grundgesetz beginnt damit, jedem Menschen eine angeborene, unverlierbare, unantastbare und auch durch andere Verfassungsnormen oder Gesetze nicht beschränkbare Würde zuzuerkennen. Artikel 16 Abs. 2 ist eine zwingend gebotene Konkretisierung dieser Grundnorm. Er wurde ohne Einschränkung, vor allem auch ohne einen gesetzlichen Vorbehalt in unsere Verfassung aufgenommen, und zwar in den zentralen, über jede tagespolitische Veränderung erhabenen Grundrechtsteil

Im Unterschied zur Weimarer Verfassung geht das Grundgesetz von vorgegebenen Menschenrechten aus. Diese werden ihrer Natur nach nicht eingeräumt oder großzügig zugestanden, sondern sie können im Prinzip nur erklärt, d.h. in feierlicher Form deklariert werden. Sie gelten unabhängig von jeder Gesetzgebung, normieren diese sogar. Während der Weimarer Zeit galten Grundrechte nur nach Maßgabe der Gesetze. Das Grundgesetz hat demgegenüber einen fundamental anderen Ansatz: Alle Gesetze gelten nur nach Maßgabe der Grundrechte.

Menschenrechte fallen nicht als formulierter Kanon vom Himmel und sind auch nicht Bestandteil eines kollektiven Menschheitsgewissens. Sie müssen durch tausendfach erlittenes Unrecht ins menschliche Bewußtsein gehoben und unter größten Anstrengungen im politisch-rechtlichen Horizont verankert werden. Es handelt sich u.U. um Entwicklungen aus einer regionalen Erfahrung heraus, die dann die unaufschiebbare Macht einer weltweiten Durchsetzung und Beachtung entfaltet. So muß dies auch für das Menschenrecht auf Asyl mit seiner langen Geschichte gesehen werden. Hier ist dem Nachkriegsdeutschland eine historische Aufgabe zugefallen, die es sich nicht aussuchen und der es sich nicht entziehen kann.

Die Eltern des Grundgesetzes haben mit Artikel 16 ganz bewußt eine spezifische Konsequenz aus der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft ziehen wollen. Es war eine Art Dank an die Völkergemeinschaft für die Aufnahme von 800.000 Flüchtlingen aus Hitlerdeutschland, aber auch eine Selbstverpflichtung dazu, keinesfalls, wie in Tausenden anderen Fällen während der Nazi-Zeit auch geschehen, Flüchtlinge an der Grenze abzuweisen. Man kann ohne Übertreibung sagen, die Bundesrepublik habe in einer historischen Verantwortung mit diesem Artikel über alle geltenden Menschenrechtskonventionen hinaus einen neuen Standard gesetzt, indem sie einzelne Menschen nicht nur als Flüchtlinge aufnimmt und schützt, sondern ihre Aufnahme zu einem Recht ausgestaltet, das mit allen Rechtsweggarantien, die ein heutiger Rechtsstaat seinen Bürgern gewährt, versehen ist.

Bundestag und Bundesregierung sind aus geschichtlicher Verantwortung heraus verpflichtet, sich auf europäischer und internationaler Ebene für die Deklarierung des Asylrechts als Menschenrecht einzusetzen. Die Bundesrepublik hat auf der Genfer Asylkonferenz 1977 den Versuch unternommen, eine ähnliche Erklärung wie die des Artikels 16 international durchzusetzen. Sie ist damals mit diesem Versuch gescheitert, ohne ihn je wieder aufzunehmen.


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