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29.06.1995

Zwei Jahre neues Asylrecht
PRO ASYL: Zwei Jahre Rechtlosigkeit


Zwei Jahre nach Inkrafttreten des neuen Asylrechts am 1. Juli zieht die bundesweite Arbeitsgemeinschaft PRO ASYL, eine düstere Bilanz: „Die neuen Gesetze mit ihrem ausgefeilten System der Be- und Verhinderung der Inanspruchnahme des Asylrechts durch bedrohte und gefährdete Menschen sind ein Ausdruck der Abwehrund Abschreckungsstrategie des Staates gegen Flüchtlinge; der organisierten Verantwortungslosigkeit und einer Krise des demokratischen Rechtsstaates“, resümierte Heiko Kauffmann, der Sprecher der Organisation, am Donnerstag in Frankfurt.

PRO ASYL erwartet eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und eine Revision des neuen Asylrechts noch in diesem Jahr.

„Kanzler Kohl hat allen Grund, nervös zu werden. Seine überzogene Kritik an der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes zeigt, daß er offensichtlich fürchtet, daß das Gericht zumindest die schlimmsten Auswüchse des deutschen Asylrechts korrigiert“, sagte Heiko Kauffmann. Das höchste deutsche Gericht dürfe sich durch diese anmaßenden Drohungen und versuchten Einflußnahmen aus Bonn nicht nötigen lassen.

PRO ASYL vertrete seit langem die Auffassung, daß zentrale Elemente des neuen Rechts nicht mit der Verfassung Übereinstimmten. Dies gelte für die sogenannte Drittstaatenregelung, das Prinzip sicherer Herkunftsländer und die sogenannte Flughafenregelung. Unter der relativ großen Zahl von beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren verberge sich aber die Tatsache, daß gegen eine viel größere Zahl von Menschen das ausgefeilte System der Verhinderung der Inanspruchnahme des Asylrechts bereits wirke. Tausende von Zurückweisungen unter ungeklärten Umständen an den Grenzen, Abschiebung in und offene Kollaboration mit Verfolgerstaaten, dilettantische Anhörungs- und menschenfeindliche Entscheidungspraxis der zuständigen Behörden charakterisierten das deutsche Asylrecht. Schutzsuchende Flüchtlinge würden immer weniger als Menschen und Rechtssubjekte wahrgenommen, sondern zu Objekten der Abschreckungspolitik gemacht.

Gerade weil das neue Asylrecht täglich Opfer produziere, sei die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nun dringlich.

„Man wird fragen dürfen“, so Kauffmann, „ob das Bundesverfassungsgericht wirklich zweieinhalb Jahre bis zu einer Hauptsacheentscheidung verstreichen lassen muß, wenn es um höchstrangige Rechtsgüter und eine große Zahl von Betroffenen und Mit-Betroffenen geht.“

In ganz Europa erwarte man die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit Spannung. Werde dort entschieden, daß die schematische Zurückweisung in angeblich sichere Drittstaaten, die ein Flüchtling durchquert habe, nicht möglich sei, so seien auch europäische Vertragswerke, die den Flüchtlingsschutz auf niedrigstem Niveau festschreiben wollten, hinfällig.

„Aus menschenrechtlicher Sicht geht es darum, daß die höchste richterliche Gewalt in Deutschland, die Judikative, die eiserne Klammer von Legislative und Exekutive aufbricht, in die viele bedrohte und gefährdete Menschen nach der Änderung des Asylrechts seit Juli 1993 geraten sind“,‘ so Kauffmann abschließend.


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