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TAG DES FLÜCHTLINGS 1997

Zur Notwendigkeit des »Kirchenasyls«

Humanitäre Ansprüche und rechtsstaatliche Prinzipien –
ein Gegensatz?

Hermann Uihlein

Ein Beispiel kann manchmal mehr deutlich machen als lange Ausführungen zur Sache:
Am Montag, den 12. August 1996, 4.30 Uhr, wird Herr Hoti, 25jähriger Kosovo-Albaner mit negativ abgeschlossenem Asylverfahren mit Ausreiseaufforderung, von der Polizei aus der Gemeinschaftsunterkunft in Ludwigsburg abgeholt. Die Morgentoilette wird nicht erlaubt. Es bleiben ihm 5 Minuten Zeit zum Packen von persönlichen Dingen. Die Verabschiedung von seinem Bruder wird abgelehnt. DM 300,– persönliche Barschaft wird eingezogen. Trotz gültiger Aufenthaltsgestattung wird ihm vorgehalten, sein Aufenthalt in Deutschland sei illegal. Mit den Händen auf dem Rücken wird er in Handschellen in die Polizeidienststelle am Schloß Ludwigsburg gebracht.
Auf Anordnung des Abschiebedienstes der Polizei werden ihm die DM 300,– wieder zurückgegeben. Um 6.00 Uhr wird er, mit Händen vorn in Handschellen, zum Frankfurter Flughafen gebracht. Er wird erkennungsdienstlich behandelt und darüber informiert, daß er nach Belgrad abgeschoben werden soll. Seine Angst und seine Bitte, ihn in jedes Land, aber nicht nach Belgrad abzuschieben, werden nicht ernst genommen. Um 10.05 Uhr Abflug nach Belgrad. Sein Paß wird dem Flugkapitän zur Verwahrung gegeben.

In Belgrad erfolgt ein strenges Verhör und die Aufnahme aller persönlichen Daten seiner Familie im Kosovo. Er befürchtet Schwierigkeiten für seine Familie. Man beschimpft ihn und sagt ihm, daß er seine Heimat niemals wieder sehen werde. Die Polizei überlege sich folgende Maßnahmen:

  1. Entweder werde man ihn gleich liquidieren
  2. oder im Gefängnis mit ihm »Klavier spielen«
  3. oder ihn nach Kosovo schicken, wo er solche Probleme mit der serbischen Polizei bekommen werde, daß er sich wünschen würde, man hätte ihn in Belgrad liquidiert.

Das Verhör wird abgebrochen, als ein Beamter hereinkommt und mitteilt, daß im Flughafengebäude 20 Journalisten seien. Hastig wird er an einen anderen Ort im Transitbereich geführt, wo er die Nacht verbringt.

Am nächsten Morgen wird er zum Flugzeug gebracht. Man droht ihm nochmals die erwähnten Maßnahmen an, falls er zurückkommen würde. Rückflug nach Frankfurt. Er wird nach Ludwigsburg zurückgebracht und erhält nach zwei Tagen eine Duldung mit dreimonatiger Gültigkeit und dem Zusatz »Duldung erlischt vorzeitig bei Abschiebung mit Wegfall des Abschiebungshindernisses«.

Dies ist kein Einzelfall. Immer wieder versuchen die deutschen Behörden, Kosovo-Albaner abzuschieben. In der Regel ohne Erfolg. So auch bei einem anderen Kosovo-Albaner, der 2 Wochen vorher nach Skopje, Makedonien, abgeschoben werden sollte. Nach einem strengen Verhör, bei dem er Schläge ins Gesicht und in den Magen erhielt und mit dem Hinweis auf seine Nationalität als Kosovo-Albaner erniedrigende Beschimpfungen über sich ergehen lassen mußte und ihm harte Strafen angedroht wurden, wurde er am nächsten Tag wieder nach Frankfurt abgeschoben. Während seines Aufenthaltes in Skopje erhielt er trotz Bitten weder Wasser noch Nahrung.

Ich erzähle dies nicht, um Emotionen zu schüren, sondern um den zahllosen Fällen ein menschliches Gesicht zu geben. Allzuoft sprechen wir von »Abschiebungen« oder »Kirchenasylfällen« und sehen dabei zu wenig die Menschen, um die es geht. Daneben aber zeigen die Beispiele, wie oberflächlich und unzulänglich Abschiebehindernisse geprüft werden. Gesetzlich ist gefordert, daß vor jeder Abschiebung geprüft wird, ob dem/der Abzuschiebenden Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit drohen. Faktisch und in der Praxis wird diese gesetzliche Vorschrift des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz durch eine politische Vorgabe, nämlich möglichst viele abgelehnte Asylbewerberinnen und Asylbewerber abzuschieben.
Die Praxis der Asylgewährung nach der Asylrechtsänderung 1993 hat leider gezeigt, daß das Asylverfahren in weiten Bereichen zu einem Lotteriespiel verkommen ist, abhängig von der Einschätzung der Entscheider und der Zuweisung eines Falles an bestimmte Kammern der Verwaltungsgerichte. Das Beispiel des Kurden Erdogan Sengül, dargestellt in der Süddeutschen Zeitung vom 7. Januar 1997, belegt, daß ein von den Behörden als »typischer Fall von Asylmißbrauch« dargestellter Asylantrag nur durch die beherzte Intervention von Privatpersonen und durch zeitweiliges Verstecken am Ende nach jahrelangem Ringen zu einer Asylanerkennung führte. Günter Renner, Vorsitzender Richter am Hessischen Verwaltungsgerichtshof, formulierte die derzeitige Situation des Asylrechts wie folgt: »Der Verfassungsrechtsschutz für politisch Verfolgte ist auf dem Altar der Beschleunigung geopfert, nachdem der Verwaltungsrechtsschutz zuvor schon extrem beschnitten worden war.«
(in: ZAR 3/1996, S. 103 ff)

Rechtsstaatsprinzip und Gewissensfreiheit – ein Gegensatz?

Nicht selten werden humanitäre Ansprüche und rechtsstaatliche Prinzipien einander gegenübergestellt. Dieses Gegensatzpaar scheint bei näherem Hinsehen nicht die eigentliche Frage zu sein, denn die humanitären Ansprüche, um die es hier geht (nämlich der Schutz von Leib, Leben und Freiheit) stehen zweifelsfrei nicht im Gegensatz zu rechtsstaatlichen Prinzipien, sondern sind vielmehr Ausfluß derselben. Die Frage ist statt dessen, ob jemand, der nach seiner eigenen persönlichen Gewissensüberzeugung diesen Schutz als verweigert erlebt, aufgrund der durch das Grundgesetz garantierten Gewissensfreiheit selbst diesen Schutz gewähren darf oder vielleicht sogar muß. Dabei muß immer vorausgesetzt werden, daß es sich bei dem zu schützenden Rechtsgut um ein international anerkanntes Menschenrecht, wie eben das Recht auf Leben, handelt und nicht nur um einen durchaus verständlichen Wunsch nach Verbesserung der wirtschaftlichen Situation.
Ein solches Recht auf Leben steht aber, auch juristisch betrachtet, über dem normativen Recht und ist, rechtssystematisch gesehen, selbst unserer Verfassung vorgelagert. Die Streitfrage ist daher gar nicht das Recht auf Leben an sich, sondern vielmehr die Frage, ob es durch eine Abschiebung gefährdet würde. Da es sich aber um ein elementares Menschenrecht handelt, muß bereits die Möglichkeit einer Gefährdung ausgeschlossen werden, erst recht, wenn diese Möglichkeit sich zu einer gewissen Wahrscheinlichkeit verdichtet. Daß die sorgfältige Prüfung dieser Frage durch unsere Rechtsordnung nicht mehr im erforderlichen Maße gewährleistet ist, wurde eingangs dargelegt.

In dieser Situation wird nun der staatlichen Rechtsordnung, deren Pflicht es wäre, den erforderlichen Schutz zu gewähren, die persönliche Gewissensentscheidung gegenübergestellt, die aus einer Glaubensüberzeugung stammt und sich an den Forderungen der biblischen Schriften orientiert. Die Kritiker/innen des »Kirchenasyls« weisen nun mit Recht darauf hin, daß die Entscheidung, ob Schutz zu gewähren ist oder nicht, in einer gewaltenteiligen parlamentarischen Demokratie letztlich Angelegenheit der Gerichte sei. Würde dieses Prinzip nicht respektiert, wäre der Rechtsstaat an sich gefährdet, da das unabhängige Gericht die letzte Instanz darstellt. Dies wird auch von den Befürwortern des »Kirchenasyls« so gesehen.
Alle, Jurist/inn/en, Kirchenvertreter/innen und Unterstützerkreise, sind sich darüber einig, daß es ein »Kirchenasyl« im juristischen Sinne nicht gibt. Die Asylgewährung ist eindeutig Angelegenheit des Staates. Deshalb mußte auch das vom bayerischen Innenminister Beckstein ins Gespräch gebrachte »Kirchenasylkontingent«, jedenfalls in der vorgeschlagenen Form, von seiten der Kirchen zurückgewiesen werden.
Bei aller Akzeptanz dieser rechtsstaatlichen Prinzipien kann ein geschärftes Gewissen dennoch zur Überzeugung kommen, daß in einem konkreten Fall eine Abschiebung nicht zu rechtfertigen ist, daß also Verfassungspraxis und Verfassungsnorm nicht übereinstimmen. Es steht dann die staatliche Rechtsordnung gegen die persönliche Gewissensentscheidung. Dieser Grundkonflikt war bereits Thema eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts 1971 zur Glaubensfreiheit.

Das Bundesverfassungsgericht hat darauf hingewiesen, daß die sich aus Art. 4 Abs. 1 Grundgesetz ergebende Pflicht aller öffentlichen Gewalt, die ernste Glaubensüberzeugung in weitesten Grenzen zu respektieren, zu einer Zurückweisung des Strafrechts jedenfalls dann führen müsse, wenn der konkrete Konflikt zwischen einer nach allgemeinen Anschauungen bestehenden Rechtspflicht und einem Glaubensgebot den Täter in eine seelische Bedrängnis bringt, der gegenüber die Kriminalstrafe, die ihn zum Rechtsbrecher stempelt, sich als eine übermäßige und daher seine Menschenwürde verletzende Reaktion darstellen würde.

Die in diesem Urteil entwickelten Grundsätze über die Glaubensfreiheit gelten in gleicher Weise für die ebenfalls in Art. 4 Abs. 1 Grundgesetz geschützte Gewissensfreiheit. Sollte es demnach durch ein »Kirchenasyl« zu einem Gesetzesverstoß kommen, was längst nicht immer der Fall ist, verbietet sich in der Regel eine strafrechtliche Verfolgung, auch wenn dieses Urteil selbstverständlich keinen Freibrief für aus dem Gewissen begründete Straftaten darstellt. Man könnte noch weitergehen: Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht ein solches Handeln als strafwürdig eingestuft hätte, wäre für einen Christen oder eine Christin aufgrund der eigenen Glaubensüberzeugung dennoch das Gewissen die letztlich maßgebende Instanz, auch wenn dies zur Strafverfolgung durch den Staat führen würde.

Diese Einschätzung wird im übrigen auch vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Lehmann, geteilt, der in seinem Spiegel-Interview im Mai 1994 u. a. sagte: »Kommt jemand nach gewissenhafter Prüfung zu dem Ergebnis, daß er einen Menschen vor Gefahr schützen muß, dann hat er das Recht, sich auch gegen staatliche Anordnung zu stellen. Allerdings kann es sich hierbei nur um Ausnahmefälle handeln, wie dies auch der Fall ist. Und es darf nicht bedeuten, daß man grundsätzlich dem Staat das Recht abspricht, in dieser Frage Regelungen durchzusetzen. Soweit ich das überblicke, hat es in keinem Fall leichtfertiges Handeln gegeben. Mir ist bewußt, daß es sich bei dieser Frage um eine Konfliktsituation handelt.«

Die Tatsache, daß auch staatliches Handeln fehlerhaft sein kann, wird auch von politischer Seite gesehen. So heißt es in der Einführung zur Schrift »Petitionen«, die vom Deutschen Bundestag herausgegeben wurde: »Kein Staat, keine Gesellschaft, keine Bürokratie und keine politische Institution kann unfehlbar sein. Jedes noch so ausgefeilte Gesetz und jede noch so gründlich durchdachte Regierungsverordnung zeigt manchmal in der Praxis Mängel. Selbst eine sorgfältig überlegte Entscheidung, auch die bestgemeinte Beratung in der Behörde, kann fehlerhaft sein, ganz zu schweigen davon, daß jeder bürokratische Apparat dazu neigt, Sonderfälle als belastend anzusehen. Unrecht oder Ungerechtigkeit sind nicht selten die Folge.« Können sich Richter/innen von dieser eingrenzenden Grundannahme tatsächlich distanzieren oder unterliegen nicht auch sie dieser allgemeinen Beschränktheit jeden menschlichen Handelns?

Das Spannungsverhältnis zwischen staatlichem Handeln und der Gewissensentscheidung des einzelnen wird in der christlichen Morallehre als »Epikie« bezeichnet (vgl. auch Barwig / Bauer [Hg.] »Asyl am heiligen Ort«, Sanctuary und Kirchenasyl. Vom Rechtsanspruch zur ethischen Verpflichtung. Schwabenverlag Ostfildern. 1994). In der Epikie wird das »Situationsrichtige« den gesetzlichen Vorgaben gegenübergestellt. Die zugrundeliegende Haltung wird damit begründet, daß gesetzliche Bestimmungen nie die gesamte Palette möglicher Situationen erfassen können und somit jeglicher Gesetzgebung immanent ist, daß sie nicht für alle Fallkonstellationen situationsgerecht sein kann. Die Erörterung der Epikie geht bis auf den griechischen Philosophen Platon und seinen Schüler Aristoteles zurück. Im Mittelalter haben die Kirchenlehrer Albert der Große und Thomas von Aquin die Idee der Epikie weiterentwickelt. Letzterer hat die Epikie sogar als Tugend bezeichnet. Später war der spanische Theologe und Philosoph Francisco Suarez der Ansicht, daß ein Gesetz, das sich in einem bestimmten Fall als mangelhaft erweist, nicht verpflichtet. Der Betroffene sei vielmehr berechtigt, die Absicht des Gesetzgebers für sein Handeln zugrunde zu legen und danach zu handeln. Demnach dürfe man den Buchstaben des Gesetzes vernachlässigen, um die Absicht des Gesetzgebers zu erfüllen.
Ähnliche Überlegungen hatte wohl auch schon der Apostel Paulus, wenn er in 2 Kor 3,6 schreibt: »Er hat uns fähig gemacht, Diener des Neuen Bundes zu sein, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.« Paulus konnte damals nicht wissen, wie konkret sich heute dieser Satz bewahrheitet.

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß in Situationen, in denen weder Gesetze noch Gerichtsentscheide die tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalles im Sinne der oben erwähnten Grundoption ausreichend würdigen können oder würdigen wollen, einzelne Personen oder auch Institutionen das Recht oder möglicherweise sogar die Pflicht haben, Widerstand gegen eine beabsichtigte Abschiebung zu leisten.

Einige grundsätzliche Fragestellungen, die sich aus der Praxis des »Kirchenasyls« ergeben

Das »Kirchenasyl« muß immer im Kontext der allgemeinen Flüchtlingsarbeit der Kirchen gesehen werden. Es kann zwar vorkommen, daß einer Kirchengemeinde ein »Kirchenasyl« buchstäblich vor die Kirchentür gelegt wird. Dies ist in der Praxis aber eher die Ausnahme. In der Regel ist es Ausfluß eines bereits vorhandenen Engagements für Flüchtlinge. Dabei verfolgt die durch ehrenamtliche Helfer/ innen geleistete Flüchtlingsarbeit neben der Hilfe in allgemeinen und sozialen Notlagen durch die Verfahrensberatung gerade das Ziel, Situationen zu vermeiden, die ein »Kirchenasyl« erforderlich machen könnten. Nicht das »Kirchenasyl«, sondern dessen Vermeidung ist Ziel kirchlicher Sozialarbeit mit Flüchtlingen. Allerdings scheut sie, wenn es erforderlich ist, dieses letzte Mittel auch nicht als »Ultima ratio«.

Es wird immer wieder die Frage gestellt, ob es nicht gewisser Erfolgsaussichten bedarf, um ein »Kirchenasyl« zu rechtfertigen. Dies ist eine schwierig zu beantwortende Frage. Einerseits sollte alles getan werden, um den eh schon stark belasteten Flüchtlingen eine weitere Enttäuschung zu ersparen. Es sollten jedenfalls Hinweise vorliegen, die auf eine Lösung hoffen lassen, wie zum Beispiel neue Argumente, die bisher unberücksichtigt blieben, Verfahrensfehler, unbillige soziale Härten, offensichtliche Fehlentscheidungen etc. Andererseits darf, wenn tatsächlich die vermuteten Gefahren bestehen, nichts unversucht gelassen werden, um die Abschiebung zu verhindern. In der Regel ist ja der Rechtsweg zu Ende – erst dann ist »Kirchenasyl« gerechtfertigt und nötig. Trotz dieser zunächst ausweglosen Situation wurden in der Vergangenheit immer wieder Auswege gefunden. So konnte trotz zunächst abgeschlossenem Rechtsweg von 124 durch die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche untersuchten »Kirchenasylfällen« in 23 Fällen (= 19%) eine Anerkennung als politisch Verfolgte nach dem Grundgesetz oder nach § 51 Abs. 1 Ausländergesetz oder aber ein Asylfolgeantrag erreicht werden. In weiteren 55 Fällen (= 44%) konnte eine Duldung oder die aufschiebende Wirkung der Klage erreicht werden. Insgesamt konnte in etwa 80% der »Kirchenasylfälle« das Ziel, eine gewaltsame Abschiebung zu verhindern, erreicht werden.
Diese hohe Erfolgsquote wird möglicherweise in Zukunft aufgrund der verschärften Gesetzeslage nicht mehr erreicht werden können. Die »Kirchenasyle« benötigen tendenziell immer mehr Zeit, der rechtliche Spielraum wird enger. Durch Nichtreagieren versuchen die staatlichen Stellen, das »Kirchenasyl« »auszuhungern«. Wird dies zum Ende der Kirchenasylbewegung führen? Sicherlich nicht. Wird doch unter diesen widrigen Umständen der Schutz für die Betroffenen nicht weniger notwendig. Die Kirchengemeinden werden in Zukunft möglicherweise einen noch längeren Atem benötigen, die Auseinandersetzung mit dem Staat vielleicht an Schärfe zunehmen. In der Kirchengeschichte ist dies nichts Neues. Die eigentliche Frage ist, ob es in unserer insgesamt satten und gut eingebürgerten Kirche genügend Kräfte gibt, an Grundprinzipien unserer Glaubens- und Sittenlehre auch dann festzuhalten, wenn politischer Gegenwind aufkommt. Die bereits bestehende Auseinandersetzung um den Lebensschutz zu Beginn (Abtreibung) und am Ende des Lebens (Euthanasie) geben trotz allem Mut zur Hoffnung.

Die sich abzeichnende Verschärfung beim »Kirchenasyl« führt zu der Forderung, die Anstrengungen zu verstärken, daß es zur Notwendigkeit des »Kirchenasyls« erst gar nicht kommt. Konkret heißt dies: Wollen die Kirchen das »Kirchenasyl« vermeiden, müssen sie bereit sein, die Flüchtlingssozialdienste so auszugestalten, daß eine präventive Flüchtlingsarbeit möglich wird und eine Verfahrensberatung vor der ersten Anhörung sichergestellt werden kann. Der notwendige Ausbau hauptamtlicher Sozialdienste ist dabei nur die eine Seite. Es gilt, durch Sensibilisierung der Gläubigen Einfluß auf die öffentliche Meinung zu nehmen. Wenn der Großteil der Christen in unserem Land sich für ein besseres Asylrecht stark machen würde, würde es den Politikern leichter fallen, dies auch umzusetzen. Eine solche Sensibilisierungskampagne würde auch die Zahl der ehrenamtlich Engagierten erhöhen, ohne die eine flächendeckende Beratung nicht möglich ist.
Daneben dürfen die Verantwortlichen der Kirchen nicht nachlassen, auch auf die Rahmenbedingungen unseres Asylrechts auf politischer Ebene einzuwirken. Die Beistandspflicht der Kirchen für Menschen in Not darf nicht an juristischen Schranken enden. Gerade dort wird sie besonders notwendig. Die »intercessio«, das Dazwischentreten bei anscheinend unversöhnlichen Positionen, wird in der Kirche wieder neu belebt werden müssen.
Es ist an der Zeit, die »intercessio« kreativ und flexibel auszugestalten. So wird die oft rigide Ablehnung einer weiteren Aufenthaltsverlängerung damit begründet, daß der Bezug von Sozialhilfe durch die Asylbewerber/innen die öffentlichen Haushalte über Gebühr belaste und daher alle rechtskräftig abgelehnten Asylbewerber/innen auch konsequent abgeschoben werden müßten.

Schlußbemerkungen

Ein »Kirchenasyl« ist für die betroffene Gemeinde immer eine große Herausforderung und gegebenenfalls auch eine Chance zur Aktivierung der Gemeinde. Es kann, unzureichend vorbereitet und begleitet, aber auch zu einer unter Umständen lang anhaltenden Spaltung in der Gemeinde führen. Daher ist es sehr wichtig, nicht unvorbereitet ein »Kirchenasyl« anzubieten. Kirchengemeinden, in denen Asylbewerber/innen leben, sollten sich deshalb schon rechtzeitig mit der Möglichkeit eines »Kirchenasyls« auseinandersetzen und das Für und Wider in ihrer konkreten Situation beraten. Sollten sie zu der prinzipiellen Entscheidung kommen, gegebenenfalls ein Kirchenasylgesuch ernsthaft zu prüfen, sollten gleichzeitig schnelle Entscheidungswege und Verantwortlichkeiten festgelegt werden, um später Unstimmigkeiten zu vermeiden. Außerdem ist es unabdingbar, daß entsprechende Räumlichkeiten und ausreichend ehrenamtliche Mitarbeiter/innen zur Verfügung stehen, um auch für eine längere Zeit den Schutz in kirchlichen Räumen organisatorisch sicherstellen zu können. Beratung und Hilfestellung bei Entscheidung und Durchführung können in der Regel – soweit vorhanden – die nächstgelegenen Flüchtlingssozialdienste von Caritas oder Diakonie oder aber der Flüchtlingsreferent des zuständigen Diözesan-Caritasverbandes geben. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche und der Deutsche Caritasverband halten entsprechende Entscheidungshilfen bereit.

In fast 80% aller Kirchenasyle konnten in den letzten Jahren Menschen erfolgreich vor Abschiebung geschützt werden. Diese und andere Tatsachen finden sich in der von der »Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche« herausgegebenen Schrift: »Zufluchtsort Kirche – eine empirische Untersuchung über Erfolg und Mißerfolg von Kirchenasyl«. Die Autoren Dirk Vogelskamp und Wolf-Dieter Just haben zwei Drittel der in den letzten sechs Jahren bekanntgewordenen Kirchenasyle unter die Lupe genommen.

Bestellanschrift:
»Asyl in der Kirche«,
Karthäusergasse 9 -11, 50678 Köln
Tel.: 0221/3382-281
Fax: 0221/3382103


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