TAG DES FLÜCHTLINGS 1991
Wo Einheimische und Fremde
zueinander finden
Das positive Beispiel Reinhardshagen
INHALT
ZUR DISKUSSION GESTELLT
- Um die Menschenrechte der Amseln ist es schlecht bestellt – zur Flüchtlingskonzeption der Bundesregierung
- Resignation ist keine Alternative: Zu den Ursachen des internationalen Flüchtlingsproblems
- Die Erweiterung des Flüchtlingsbegriffs
- Kinderrechte im Schatten des Krieges
- Die psychischen Folgen von Sammellagern
- Harmonisierungsmaßnahmen von Asylpolitik und Asylrecht innerhalb EG-Europas
- Flüchtlinge in Europa
BEISPIELE UND ANREGUNGEN
- Bausteine für einen Gottesdienst
- Unterbringung von Flüchtlingen durch kirchliche Wohnprojekte
- Aufruf zum Gutscheinumtausch in Recklinghausen
- Wir wollen hier bleiben – Roma-Brief an Rau
- Wo Einheimische und Fremde zueinander finden – das positive Beispiel Reinhardshagen
- Feste feiern mit jungen Aussiedlern
- Die Bundesregierung zur Aussiedlerthematik
- Asyl im Nationaltheater in Weimar
- Keine Abschiebung in die Türkei! Aktionen in Bayern
- Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Bayern
- Arbeitskreis Flüchtlinge in Sachsen gegründet
- Demonstration für mehr Bewegungsfreiheit
- Wir haben Platz im Boot – Plakataktion gegen Fremdenfeindlichkeit
Während viele Kommunen mit Blick auf die zahlreichen Asylbewerber „mauern“, überlegen Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde Reinhardshagen im Kreis Kassel, wie sie Barrieren überwinden und die Fremden aus ihrer Isolation holen können. Die Initiativen zeigen, daß es auch anders geht.
Die Bewohner des kleinen Ortes am Rande des Reinhardswaldes leben vor allem vom Fremdenverkehr. Die fünf Kilometer entfernte Jugendherberge indes lockte, wie viele dieser Häuser, seit den 80er Jahren nur noch selten Gäste an und bot vor vier Jahren erstmals Asylbewerbern eine vorübergehende Bleibe. Mittlerweile ist das Haus voll belegt, und nicht nur dieses: Aus- und Übersiedler bewohnen einige der Hotels am Ort, vielen besorgte die Gemeinde darüber hinaus Wohnungen. Derzeit leben 146 Asylbewerber und annähernd 300 Aus- und Übersiedler in der Kommune.
Sie kommen aus Schwarz- und Nordafrika, Rumänien, Syrien, dem Libanon, Irak, der Sowjetunion oder eben aus der ehemaligen DDR. Auch 26 Albaner aus der Nachbargemeinde Bad Karlshafen fanden hier eine Unterkunft. Damit stehen mehr als 400 neue Bewohner den knapp 5000 Alteingesessenen gegenüber.
Lothar Merkwirth, Bürgermeister von Reinhardshagen, schien es deshalb höchste Zeit, die neuen oder auch nur vorübergehenden Mitbürger zu integrieren. „Um möglichen Konflikten vorzubeugen“, wie er sagt.
Was dann geschah, ist wohl beispielhaft. Alexander Gebauer, Sozialarbeiter und Betreuer der „Reinhardshagener“ Asylbewerber, ist sich jedenfalls sicher, daß es zumindest in der Gegend nichts Vergleichbares gibt: Der Bürgermeister persönlich lud Bürger und Mitbürger auf Zeit zu einem gemeinsamen Abend ein. Da sollte überlegt werden, wie vor allem die fünf Kilometer vom Ort entfernt untergebrachten Asylbewerber in das Gemeindeleben einbezogen werden könnten. 170 folgten der Einladung, das Lokal platzte aus allen Nähten.
Und die da kamen, brachten auch Vorschläge mit. Zum Beispiel der ehemalige Landarzt und seine Ehefrau, Vorsitzende des Ortsvereins vom Deutschen Roten Kreuz, schlugen vor, einen Liedernachmittag zu organisieren. Und weil sie das Vorhaben ins Gespräch gebracht hatten, fühlten sie sich für sein Gelingen auch verantwortlich.
Am kommenden Samstag ist es nun soweit: Sowohl die Einheimischen als auch die Zugezogenen werden einstudierte Tänze und Lieder ihres Kulturkreises vortragen – unter anderem ein eigens für diesen Tag komponiertes Lied, dessen Titel zugleich Motto des Nachmittags sein wird: „Uns verbindet die Musik.“ Anschließend gibt es Kaffee und Kuchen.
Mitglieder vom „Verein für Leibeserziehung“ boten zudem an, die internationalen Bewohner der Jugendherberge (mittlerweile in Privatbesitz und von der Stadt gemietet) zu den Trainingsstunden abzuholen. Beitragsfrei, versteht sich. Die Tischtennisgruppe gewann auf diese Weise bereits neue Mitspieler.
Und so hatte Lothar Merkwirth sich das vorgestellt: „Ich will jetzt nicht fortwährend von seiten der Gemeinde etwas Neues anbieten, ich wollte nur etwas initiieren. Der Rest muß aus der Bevölkerung kommen.“ Und das scheint zu klappen. So besuchte eine Lehrerin mitsamt ihrer Schulklasse die achtjährige Klassenkameradin Mirja an ihrem Geburtstag in der Herberge.
Und auch sonst hat sich nach Einschätzung des Betreuers seit der ersten Bürgerversammlung einiges getan: „Schon vorher hatte ich bei Vereinen und Volkshochschule gemeinsame Kurse und Übungsstunden anzuregen versucht. Doch die Resonanz war zunächst mager. Jetzt kommen die Leute plötzlich auf uns zu.“ Für das Frühjahr ist übrigens auch ein gemeinsames Sportfest geplant.
Lothar Merkwirth sinnt unterdessen über ein neues Vorhaben nach: „Ich würde den Leuten gern Arbeit anbieten. Einige waren bereits hier und haben danach gefragt.“ Beispielsweise die Pflege der Wanderwege würde sich nach Ansicht des Bürgermeisters anbieten. Der vom Gesetz vorgegebene Lohn von ein paar Mark pro Stunde sei allerdings ärmlich.
Und Merkwirth hat Angst, das soziale Gefälle zu untermauern: „Ich will nicht, daß hier Gräben entstehen, die wir hinterher nicht wieder zuschütten können.“
Frankfurter Rundschau, 21. Februar 1991
Feste feiern mit jungen Aussiedlern
Beispiel des Jugendrotkreuzes kann Schule machen
„Das muß doch möglich sein, daß junge Leute einander kennenlernen!“
Diese Überlegung hatte sich bei den Jugendrotkreuzlern im saarländischen St. Wendel festgesetzt. Was also tun?
Feste feiern – das macht immer Spaß, beschlossen die jugendlichen Mitglieder des Deutschen Roten Kreuzes. Mit viel Erfolg organisierten sie ein buntes Fest – ein Beispiel,‘ das Schule machen kann!
Der Nachmittag wurde gründlich vorbereitet: Die Jugendlichen informierten sich zunächst über die Probleme junger Aussiedler, über ihre Herkunftsländer, die historischen Hintergründe, die dazu führten, daß Deutsche jahrhundertelang im Ausland lebten.
Dann ging’s mit Feuereifer zur Sache:
Gruppenspiele tragen ganz besonders zum gegenseitigen Kennenlernen bei, fanden die Saarländer. Aber sogar Spielund Bastelstände sind international, finden Anklang auch bei jenen, die unsere Sprache noch nicht so gut beherrschen. Und da Musik ohnedies von allen ver standen wird, bildete sich spontan ein Chor, der fetzige Songs zum Besten gab.
Was die Jugendrotkreuzler sich sonst noch alles ausdachten, mag all jenen, die auch ein Kinderfest organisieren wollen, als Anregung dienen:
Da wurden Gips- und Pappmasken gebastelt, Tintenfische aus Wolle hergestellt, da wurden gemeinsam Drachenschwänze gejagt und Luftballons gestartet. Große Spannung: Wessen Ballon wird den weitesten Weg zurücklegen? Oder wie wär’s mit einem gemeinsamen Popcornbacken? Torwandschießen und Nägel einschlagen machen immer Spaß. Und wenn man sich gegenseitig in den buntesten Farben schminken darf, dann muß man sich einfach näherkommen!
In St. Wendel nahmen rund vierzig Kinder an dem Fest teil – Auftakt für weitere gemeinsame Unternehmungen.
Übrigens: Ein Jugendrotkreuz gibt es auch in Ihrem Wohnort (Auskunft erteilt jeder DRK-Ortsverein oder DRK-Kreisverband).
Foto: Werek, Süddeutscher Verlag (fehlt)
Wie könnte man einen solchen Kindernachmittag noch gestalten? Fallen Ihnen noch andere Veranstaltungen ein, die man gemeinsam mit Aussiedlerkindern durchführen könnte?