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TAG DES FLÜCHTLINGS 1990

Wir suchen Asyl in Ihrer Kirche

Thomas Pospiech

Sonntag vor drei Wochen. Sieben dunkelhäutige Männer klingeln an diesem Morgen bei Stefan Hoiß, Pfarrer der, katholischen Gemeinde Sankt Johannes Baptist, und bitten um Hilfe. In gebrochenem Deutsch erläutern die Asylsuchenden aus Bangladesch dem Pfarrer ihre Situation. Von der Abschiebung bedroht, sehen sie nur noch eine Hoffnung: Kirchenasyl.

In seiner Predigt an diesem Sonntag verliest Pfarrer Hoiß seiner Gemeinde den Hirtenbrief des Augsburger Bischofs Josef Stimpfle. Dort hieß es, man möge den vielen Tausenden von DDR-Flüchtlingen aufgeschlossen und hilfsbereit begegnen. Pfarrer Hoiß überträgt diese Botschaft kurzerhand auf die sieben Asylbewerber. „Die Reaktion hat mich überrascht“, sagte Stefan Hoiß in dunklem Bayrisch, „da sind nach dem Gottesdienst an die fünfzig Leute dageblieben und haben überlegt, wie zu helfen sei“. Noch am gleichen Nachmittag bringen Gemeindemitglieder Matratzen, Decken, Schlafsäcke und Essen in die Pfarrei. Gruppenräume werden leergemacht und zu Schlaflagern umfunktioniert.

Einmal in der Woche treffen sich die Gemeindemitglieder, um die Situation zu diskutieren und Dienste einzuteilen. Die sieben Bengalen sind schüchtern und still. „Ich wollte meine Heimat, meine Frau, meine Eltern nicht verlassen, aber in Bangladesch lief ein Haftbefehl gegen mich, und ich sah keine Zukunft mehr, dort leben zu können“. Aminuzzaman ist 25 Jahre alt und lebt seit vier Jahren in der Bundesrepublik. Sein Antrag auf Asyl wurde als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Wie seinen anderen sechs Landsleuten steht ihm die Abschiebung unmittelbar bevor. Aminuzzaman war Ortssekretär der BNP, der Bangladesh National Party, einer Oppositionspartei des Landes. Bei einer Demonstration gegen den Militärdiktator Ershad wurde er gefangengenommen und gefoltert. Bei seiner Freilassung mußte er eine Erklärung unterschreiben, in der er sich verpflichtete, sein politisches Engagement aufzugeben. Nach einer weiteren Verhaftung ging er in den Untergrund. Auch seine Familie wurde verhört und gefoltert. Schließlich gelang es ihm mit Unterstützung seiner Partei und seiner Familie über Ost-Berlin in die Bundesrepublik zu flüchten. Aminuzzaman hat Angst vor der Abschiebung. „Wenn du keine neuen Papiere und damit eine neue Identität hast, schnappen sie dich schon am Flughafen. Dann landest du entweder bei der Polizei oder bei der DFI, der Defence Force Intelligence, von der man weiß, daß sie foltert. Aber auch wenn du Glück hast und durch die Grenzkontrollen kommst, bist du dann eben in deinem Heimatort dran. In Bangladesch werden Regierungsgegner auf offener Straße erschossen. Meine Freunde warnen mich davor, zurückzukehren“.

Der Militärdiktator Ershad kam 1982 durch einen unblutigen Putsch in Bangladesh an die Macht. Bei Demonstrationen gegen das Regime gab es immer wieder Tote und Verletzte. Versuche Ershads, seine Herrschaft durch Wahlen zu legitimieren, endeten in blutigen Auseinandersetzungen. Die Wahlbeteiligung an den letzten Parlamentswahlen im März 1988 lag bei ein bis drei Prozent; die Oppositionsgruppen boykottieren die Abstimmung. Nach Informationen von Amnesty International gibt es deutliche Hinweise auf Folter und Hinrichtung in den Gefängnissen von Bangladesch. Hadruddin Umar, Vorsitzender des Schriftstellerverbandes von Bangladesch, spricht von sechzig Oppositionellen, die allein im ersten Halbjahr 1989 ermordet wurden.

Die deutschen Behörden scheinen diese Berichte zu ignorieren. Die Anerkennungsquote für Asylanten aus Bangladesch liegt quasi bei Null. Asylanträge werden zur Zeit in allen Bundesländern abgelehnt. Die Behörden stützen sich dabei auf die Einschätzung des Auswärtigen Amtes, daß die Situation in Bangladesch keineswegs katastrophal, sondern ohne weiteres zumutbar sei. In der Bundesrepublik warten momentan rund 300 Bengalen auf ihre Abschiebung.

„Dulden statt Abschieben“ – das fordern die Bengalen in Augsburg. Vier der sieben bengalischen Asylsuchenden haben nun Petitionen an den bayerischen Landtag geschickt; eine Unterstützergruppe „Kirchenasyl“ hat innerhalb von zwei Wochen 5000 Unterschriften gesammelt, und auch Bischof Josef Stimpfle appellierte an das Innenministerium, die Abschiebung vorerst auszusetzen. Bis zur Entscheidung will das Ausländeramt nicht eingreifen.

Pfarrer Hoiß hat den sieben Bengalen bis zum 15. Dezember Asyl in seiner Kirche zugesagt. Aber ein Kirchenasyl wie im Mittelalter gibt es heute nicht mehr. „Die Kirche ist kein rechtsfreier Raum“, sagt Pfarrer Hoiß, „aber das hat schon einen Symbolwert, wenn eine Gemeinde diese Menschen aufnimmt und schützt.

Wir werden alles dafür tun, daß die Bengalen nicht in eine ungewisse Zukunft abgeschoben werden.“

aus: Die Zeit, 8. Dezember 1989

Vorschlag der evangelischen Frauenhilfe im Rheinland für eine Gruppenarbeit

1. Lesen Sie gemeinsam den Zeitungsartikel: „Wir suchen Asyl in Ihrer Kirche“

  • Was ist die Situation der Menschen aus Bangladesch?
  • was würde es für sie möglicherweise bedeuten, in ihr Land zurückkehren zu müssen?

2. Stellen Sie sich vor, Sie sind das Presbyterium der Kirche, in welcher diese Menschen Asyl suchen. -Welche Schritte (z. B. Hilfeersuchen an kommunale Politiker, kirchliche Organe, Unterschriftensammlung usw.) sind denkbar?

  • Bis zu welchem Punkt würden Sie gehen, um den Menschen in Ihrer Kirche Asyl zu bieten?

Zur Information:

Folgende Straftatbestände können erfüllt sein, wenn Sie Kirchenasyl gewähren:

  • Derjenige, der einen ausreisepflichtigen Flüchtling versteckt, kann sich der Beihilfe zum illegalen Verbleib strafbar machen, sofern er den Betroffenen bewußt und willentlich zum weiteren illegalen Verbleib bestimmt.
  • Ist der Ausländer von sich aus fest zum Verbleib entschlossen, handelt es sich um gleichfalls mit Strafe bedrohte Beihilfe.
  • Kirchenasyl kann sich unter Umständen auch als strafbarer Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte erweisen, etwa wenn den Vollziehungsbeamten durch das Verschließen einer Tür der Zutritt verweigert wird.

Diese Aufzeichnung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

(nach: Berthold Huber, Sanctuary, Kirchenasyl im Spannungsverhältnis von strafrechtlicher Verfolgung und verfassungsrechtlicher Legitimation. ZAR 4/1988, 5.153 ft)

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