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Frankfurter Rundschau
30. September 1998 (Frankfurt)

„Wie auf Großwildjagd durchs Treppenhaus getragen“

Im Transitbereich herrschen eigene Gesetze
Hier wird oft willkürlich über Menschenschicksale entschieden

Landung in Frankfurt. Draußen stehen Beamte des Bundesgrenzschutzes (BGS): Paßkontrolle an der Flugzeugtür. Schnell muß es gehen. Nicht jeder wird kontrolliert. „Der Bauarbeiter der Holzmann AG aus Lagos interessiert uns weniger – da konzentrieren wir uns natürlich auf Schwarzafrikaner“, bringt BGS-Sprecher Klaus Ludwig die Auswahlkriterien auf den Punkt.

Reisende ohne gültigen Paß werden aussortiert. Kommen sie aus einem sogenannten „sicheren Drittland“, werden sie sofort mit der nächsten Maschine zurückgeschickt. Wer als Flüchtling aus anderen Ländern kommt, durchläuft das sogenannte Flughafenverfahren, wird photographiert, bekommt Fingerabdrücke abgenommen und wird vom BGS nach der Reiseroute gefragt.

Dann geht es durch die bewachte Schleuse in die Räume des Flughafensozialdienstes: Ein ehemaliges Frachtgebäude mit vier Duschkabinen für 70 Menschen. Zehn Sechs-Bett-Zimmer, ein Zehn-Bett-Zimmer. Doppelstockbetten. Die Fenster sind vergittert oder zugeschweißt. Waschräume fehlen. Es gibt nur die Handwaschbecken auf der Toilette.

„Individualität ist hier nicht möglich“, so Horst Schäfer vom Evangelischen Regionalverband, dem Träger der Einrichtung. „Das würde, wenn es ein Wohnheim wäre, niemals zugelassen“, sagt Einrichtungsleiter Clemens Niekrawitz. Doch das Gebäude ist juristisch gesehen nicht in Deutschland. Wer sich hier aufhält, befindet sich im „Transit“. Offiziell ist die von BGS-Beamten bewachte Schleusentüre eine „Grenzkontrollstelle“. Die gefängnisähnliche Unterbringung sei „keine Freiheitsbeschränkung“, sagt BGS-Sprecher Ludwig. Die Flüchtlinge könnten „jederzeit“ weiterreisen – „allerdings nur in eine Richtung“, nämlich zurück.

Das will aber niemand, der bis hierhin gekommen ist. Zunehmend wehren sich die Flüchtlinge, wenn sie zurück müssen. „Ein letztes Aufbäumen“ nennt es Niekrawitz. Einen „Striptease mit erstaunlicher schauspielerischer Begabung“ nannte diesen Widerstand der Leiter des Bundesgrenzschutzamtes, Udo Hansen. Fest steht, daß die im BGS-Jargon „Schüblinge“ genannten Menschen deswegen immer häufiger in „Begleitung“ von Beamten zurückgeschickt werden. 1997 wurden 2883 „Rückzuführende“ von 1785 BGS-Beamten „begleitet“. Allein hierfür sind dem Bund Kosten von zwölf Millionen Mark entstanden. Im ersten Halbjahr 1998 flogen 924 Beamte mit 1272 Flüchtlingen zurück – Kosten: sechs Millionen Mark.

Für Einrichtungsleiter Niekrawitz sind die gewaltsamen Rückführungen „das Brutalste“ was er erlebt hat. „Eine Frau aus Afghanistan wurde wie auf Großwildjagd durchs Treppenhaus getragen mit vier Kindern weinend daneben“, erinnert er sich, „das vergißt man nicht.“ Der BGS beklagt die enorme „psychische Belastung“ der Beamten und beschäftigt extra einen Psychologen. „Die können auch nicht aus ihrer Uniform springen“, sagt Niekrawitz, „die müssen machen, was in Bonn beschlossen wurde.“ Den gesetzlichen Auftrag müsse man ausführen, „auch wenn man Magenknurren hat“, so Klaus Ludwig. „Da muß man das Gefühl halt mal abschalten.“

Alles ist schließlich gesetzlich geregelt. Die Flüchtlinge stellen einen Asylantrag, der vom Bundesamt zur Annerkennung ausländischer Flüchtline (BAFl) geprüft wird. Am Frankfurter Flughafen hat das Amt eine Außenstelle. Hier hören Bedienstete den Flüchtling an. Sie sollen über die Anerkennung oder Ablehnung des Asylantrags „unabhängig wie ein Richter“ entscheiden.

Die Realität sieht freilich anders aus. In der Außenstelle am Flughafen gebe es eine „Fraktion von Ausländerfeinden“, so Bernd Mesovic von Pro Asyl. „Das weiß jeder Anwalt, daß bestimmte Entscheider alles ablehnen“, bestätigt Rechtsanwalt Abdul Issa. Haarsträubende Befragungsmethoden wurden bekannt.

So ließ der Entscheider Jürgen S. einen Sudanesen die Wahrscheinlichkeit von sechs Richtigen im Lotto ausrechnen, nachdem sich der Flüchtling als Student der Mathematik vorgestellt hatte. Einen iranischen Flüchtling fragte S. nach dem Geschlecht des Pferdes, mit dem der Iraner die Grenze zur Türkei überquert hatte. Da die Flüchtlinge vor allem ihre „Glaubwürdigkeit“ beweisen sollen, können derartige Fragen bei der Entscheidung eine zentrale Rolle spielen.

Bei der Fluchtschilderung eines anderen Antragstellers war der Entscheider der Ansicht, es sei zu berücksichtigen, „daß äußerst bildhafte Darstellungen dem schwarzafrikanischen Wesen entsprechen“. Den Asylantrag einer afghanischen Familie mit zwei geistig behinderten Kindern habe er abgelehnt, obwohl die vorgeschriebenen Fristen längst verstrichen waren, berichtet Pro Asyl.

Keine Einzelfälle. „Beim Bundesamt herrscht die Grundeinstellung, daß der Flüchtling lügt“, kritisiert die Frankfurter Rechtsanwältin Antje Becker. In feindseliger Athmosphäre werde oft versucht, den Flüchtling in Widersprüche zu verwickeln um seine „Glaubwürdigkeit“ in Frage zu stellen.

So ließ die Entscheiderin Anke W. kürzlich einen afrikanischen Priester lateinische Verse vorsingen, da sie dem Mann trotz Priesterausweis seinen Beruf nicht glaubte. Einem homosexuellen Iraner schrieb W. in die Akte, er müsse sich den gesellschaftlichen Normen seines Heimatlandes unterwerfen. Die Bestrafung von homosexuellen Handlungen diene dem „Schutz der Gemeinschaft der Gläubigen“. Auch für eine Irakerin, die – unehelich schwanger – von Vater und Brüdern mit dem Tode bedroht wurde, hatte W. wenig Verständnis: Die Bedrohte hätte eben heiraten müssen, entschied sie. Diese Entscheidung vor sich herzuschieben, sei „völlig untypisch und deshalb auch nicht glaubhaft“.

In der Akte eines Flüchtlings fand der Villinger Anwalt Ulrich Hahn handschriftliche Eintragungen, die monatelange Auseinandersetzungen zwischen Referatsleiter, Zentrale und Entscheider dokumentieren. Grund war eine beabsichtigte positive Entscheidung, die verhindert werden sollte. „Oft macht die ganze Hierarchie Druck“, berichtet ein Insider. „Nur Anerkennungen müssen dem Referatsleiter vorgelegt werden“. Die Dokumente würden als „Entwurf“ behandelt, „die Außenwelt bekommt davon nichts mit“.

Im Fall des Flüchtlings beharrte der Entscheider auf seiner gesetzlich vorgeschriebenen Unabhängigkeit und seiner positiven Entscheidung. Genützt hat dies nichts. Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten (BBfA) klagte gegen die Entscheidung. Die Behörde solle für „Rechtssicherheit“ sorgen, heißt es in einer Broschüre. „Das ist eine Behörde, die geschaffen wurde, um die sachliche Unabhängigkeit der Entscheider zu beschneiden“, sagt Ulrich Hahn. Der Bundesbeauftragte klage nur gegen Anerkennungen. Bis zu 50 Prozent aller Anerkennungen würden von der Behörde angefochten. Wie das Bundesamt ist auch der Bundesbeauftragte dem Innenministerium unterstellt.

Dabei ist der Druck innerhalb des Bundesamts schon groß genug, und der kommt von oben: Nach einem „Gespräch mit dem Präsidenten des BAFl“ teilte der Vorgesetzte der Außenstelle Freiburg seinen Entscheidern mit, der Präsident habe sich „unzufrieden über die Leistungen der Außenstelle“ gezeigt. Man werde jetzt „täglich vier Antragsteller pro Entscheider zur Anhörung“ laden. „In Ihrem eigenen Interesse und mit Rücksicht auf die Schreibkanzlei empfehle ich Ihnen, sich kurz zu fassen.“

Als „verfassungsrechtlich höchst bedenklich“ bezeichnete Pro-Asyl-Sprecher Heiko Kaufmann die Tatsache, daß Entscheider seit kurzem auch in Haftanstalten tätig werden: Sie führen dort erkennungsdienstliche Behandlungen durch. Der Entscheider nimmt die Fingerabdrücke des Flüchtlings, photographiert ihn und füllt die Anträge zur Beschaffung der Paßersatzpapiere für die Botschaften der potentiellen Verfolgerstaaten aus. Früher machten dies Verwaltungskräfte. Die Flüchtlinge würden dabei „fast regelmäßig in Panik geraten“, berichtet Heiko Kaufmann. Ist die Prozedur beendet, beginnt die Asylanhörung, in der der Entscheider „unabhängig wie ein Richter“ sein soll.


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