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TAG DES FLÜCHTLINGS 1997

Weggesperrt zum Abtransport

Abschiebungshaft in Deutschland

Die Asylantragstellerin B. wird bei einem Besuch auf dem Sozialamt der herbeigerufenen Polizei übergeben. Es stellt sich heraus, daß eine vollziehbare Abschiebungsverfügung vorliegt, von der B. – aus welchen Gründen auch immer – nichts weiß. Ihr wird die Absicht unterstellt, sich der Abschiebung entziehen zu wollen. Die Ausländerbehörde stellt Haftantrag, obwohl die Beschaffung von Paßpapieren noch eine Weile dauern wird. Auch B. erlebt, was täglich Hunderte von Malen passiert. Nach lediglich oberflächlicher Prüfung erläßt der Haftrichter den Haftbefehl. Verhängt wird Abschiebungshaft.

Abschiebungshaft ist die niederträchtigste Haftart. Wer in Untersuchungs- und Strafhaft sitzt, kennt zumeist den Grund und akzeptiert ihn – vielleicht nicht für sich selbst, aber zumeist allgemein als mögliche Reaktion der Gesellschaft auf ein Delikt. Er akzeptiert die Strafe als Sühne, empfindet sie als Rache oder wehrt sich vielleicht emotional gegen die Ungerechtigkeit. Er kennt das Ende der Strafe in Jahren, Monaten und Tagen oder hat, wenn er noch in Untersuchungshaft ist, zumindest die konkrete Perspektive der anstehenden Hauptverhandlung.
Anders der Abschiebungshäftling. Er ist nur deshalb in Deutschland inhaftiert, damit man ihn außer Landes bringen kann und er sitzt deswegen auf unbestimmte, lediglich auf achtzehn Monate Höchstdauer begrenzte Zeit. Den meisten Abschiebungshäftlingen ist nicht klar, warum sie im Gefängnis sitzen. Bereits das vorangegangene komplizierte asyl- und ausländerrechtliche Verfahren haben sie häufig nicht durchschaut. Die Inhaftierung verstößt gegen ihr Gerechtigkeitsgefühl: Sie können nicht verstehen, daß sie inhaftiert werden, ohne daß sie eine Straftat begangen haben. Die so empfundene Sinnlosigkeit der Haft, ihre unbestimmte Dauer und die Angst davor, daß an ihrem Ende möglicherweise die Abschiebung in ein gefährliches Herkunftsland oder ein unbekanntes Drittland stehen, machen die Inhaftierung schwer erträglich. Langeweile, Angst, Depressionen, Ungeduld und Verzweiflung, Aggressionen, Nervenzusammenbrüche, Selbstmordversuche: Das ist die Realität des Lebens in der Abschiebungshaft. Seit der Änderung des Asylrechtes am 1. Juli 1993 haben sich bereits 14 Menschen in der Abschiebungshaft das Leben genommen.

Verfassungswidrig ist die Vollzugspraxis von Abschiebungshaft

Grundrechte dürfen nur aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Für den Vollzug von Haft bedarf es also eines den Vollzug regelnden Gesetzes. Deshalb gibt es das Strafvollzugsgesetz für den Bereich der Strafjustiz. Für die Abschiebungshaft gibt es jedoch nach wie vor keine gesetzliche Regelung. Abschiebungshäftlinge leben so im rechtsfreien Raum.

Verfassungswidrig ist die Dauer der Haft

Abschiebungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet und auf bis zu 18 Monate verlängert werden. Diese Höchstdauer ist nicht mehr verhältnismäßig.
Zum Vergleich: Werden Deutsche straffällig, können sie in Untersuchungshaft genommen werden, wenn eine Strafe ohne Bewährung droht. Die Untersuchungshaft muß im Verhältnis stehen zur Dauer der zu erwartenden Strafe. Eine halbjährige Untersuchungshaft ist nur dann gerechtfertigt, wenn eine erhebliche Freiheitsstrafe ohne Bewährung zu erwarten ist.
Wenn also die Abschiebungshaft ein halbes Jahr und mehr dauert, ist dies eine unzulässige Nebenstrafe, die sich nicht aus ihrem Zweck, den Ausländer außer Landes zu bringen, rechtfertigen läßt.

Verfassungswidrig ist die eingeschränkte Prüfung durch die Haftrichter

Nach der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung hat der Haftrichter nicht zu prüfen, ob in den ausländer- oder asylrechtlichen Verfahren Fehler unterlaufen sind. Problematische Entscheidungen soll er nicht korrigieren, sondern nur noch prüfen dürfen, ob die Voraussetzungen des Ausländergesetzes zur Verhängung von Abschiebungshaft vorliegen. Es ist in einem Rechtsstaat nicht hinnehmbar, daß Richter nicht die Möglichkeit haben, Fehlentscheidungen zu korrigieren.

Forderungen von PRO ASYL

  • PRO ASYL lehnt die Inhaftierung lediglich zur Sicherung vorgesehener Abschiebungen grundsätzlich ab. Wenn der Staat meint, jemanden abschieben zu müssen, darf er hierzu nicht in Haft genommen werden – eine vorübergehende Festhaltung genügt völlig.
  • Grundsätzlich keine Inhaftierung zum Zweck der Abschiebung darf zulässig sein bei:
    • Personen unter 18 Jahren,
    • zur Ausreise Verpflichteten, die einen festen Wohnsitz oder Arbeitsplatz haben,
    • Kranken, Alten, Schwangeren, stillenden Müttern oder Müttern von Kleinkindern.
  • Für den gegenwärtigen Vollzug der Abschiebungshaft fehlt es überdies nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes an einer gesetzlichen Regelung. Diese muß geschaffen und auch die notwendige Betreuung und Beratung ohne alle Restriktionen ermöglicht werden.
  • Einem in Abschiebungshaft Genommenen ist unmittelbar der Grund seiner Inhaftnahme bekanntzugeben. Dabei ist ein Dolmetscher zu beteiligen und der Betroffene muß die Gelegenheit haben, mit Hilfe eines unabhängigen Rechtsbeistandes Stellung zu nehmen.
  • Gewährleistet werden muß der freie Zugang von Besuchern und Initiativgruppen, die Menschen in Abschiebungshaft besuchen, beraten oder betreuen wollen. Weder private Besuche noch Besuche zum Zwecke der Beratung und Betreuung dürfen behindert werden. Die Bedingungen der Unterbringung müssen so freizügig wie irgend möglich gestaltet werden.
  • Im Ausländergesetz oder in den Verwaltungsvorschriften zu § 57 Abs. 2 AuslG muß klargestellt werden, daß die Abschiebungshaft dann aufzuheben ist, wenn eine Abschiebung aus technischen Gründen nicht durchgeführt werden kann oder der Heimatstaat durch sein Verhalten zeigt, daß er nicht gewillt ist, die betreffende Person in den nächsten vier Wochen zurückzunehmen oder der Flüchtling sich bereits länger als vier Wochen in Abschiebungshaft befindet.

Was ist zu tun?

Der 21. März eines jeden Jahres ist der Tag der Vereinten Nationen zur Überwindung von Rassismus. Wir rufen dazu auf, am Vorabend dieses Tages, also am 20. März, mit Veranstaltungen oder Aktionen vor Abschiebungshaftanstalten auf das Problem der Abschiebungshaft aufmerksam zu machen.

  • Bitten Sie Parlamentarier aus Bund, Ländern und Gemeinden, aber auch die Europaabgeordneten Ihrer Region, Abschiebungshaftanstalten zu besuchen.
  • Versuchen Sie, prominente Musikerinnen und Musiker dafür zu gewinnen, am Abend des 20. März in einer Abschiebungshaftanstalt, vor einer Abschiebungshaftanstalt oder einem anderen öffentlichen Ort ein Konzert zu geben.
  • Wo immer bislang der Zugang von Flüchtlingsinitiativen verhindert worden ist: Fordern Sie öffentlich das Ende solcher Behinderungen.
Die unterschiedlichen Bedingungen des Abschiebungshaftalltages in der Bundesrepublik Deutschland beschreibt Rechtsanwalt Hubert Heinhold in seinem von PRO ASYL und dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. herausgegebenen Buch »Abschiebungshaft in Deutschland – Eine Situationsbeschreibung«.
Der Band enthält neben den wichtigsten Gesetzen, Erlassen und Regelungen der verschiedenen Bundesländer auch Schilderungen Betroffener und ihrer UnterstützerInnen.

Bestelladresse:
Förderverein PRO ASYL e.V.
Postfach 10 18 43
60018 Frankfurt am Main


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