Generic selectors
Nur exakte Ergenisse
Suchen in Titel
Suche in Inhalt
Post Type Selectors

04.04.1998

Vorrang für Kindeswohl verlangt

Fall der 17jährigen Neshe demonstriert
für Pro Asyl staatliche Ausgrenzungspolitik

Frankfurter Rundschau
Von Jörg Schindler

Im Umgang mit Flüchtlingskindern verstößt Deutschland nach Auffassung von Menschenrechtlern eklatant gegen international gültige Normen.

FRANKFURT A. M., 3. April. Nach den Worten von Pro Asyl und der „National Coalition“ rangiert hierzulande in der Regel vor dem Kindeswohl ein „als Fremdenabwehrrecht falsch verstandenes Ausländerrecht“. Auch sechs Jahre, nachdem Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert hat, würden immer wieder Minderjährige unter fragwürdigen Umständen abgeschoben, berichteten die Organisationen am Freitag in Bonn. Mit einer Postkarten-Aktion will die „Coalition“, der rund 100 Verbände angehören, auf die „schwerwiegende Verletzung“ des Völkerrechts aufmerksam machen.

Nach Ansicht von Pro Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann zeugt die Haltung vieler Politiker von „bürokratischem Zynismus, organisierter Verantwortungslosigkeit und Mangel an Zivilcourage“. Als „Lehrstück staatlicher Ausgrenzungspolitik“ bezeichnete er den Fall der Kurdin Neshe Özmen: Die 17jährige war im Juli 1997 aus Heidelberg in die Türkei abgeschoben worden, obwohl ein Großteil ihrer Familie vom dortigen Militär getötet worden sei. Die Mutter wurde mißhandelt und ist seitdem ein Pflegefall. Dennoch hat das Stuttgarter Innenministerium Neshe des Landes verwiesen. Seither ebbt in Heidelberg der Protest nicht ab. Anfang des Jahres lenkte Innenminister Thomas Schäuble (CDU) ein und stellte Neshe zumindest ein Besuchervisum in Aussicht. Daß sie das bekommen wird, ist aber unwahrscheinlich: Nachdem die Kurdin, die bei Pflegeeltern in der Türkei lebt, angekündigt hatte, sie werde über Ostern nach Heidelberg reisen, stellte sich das Regierungspräsidium in Karlsruhe quer. Begründung: Man gehe davon aus, daß Neshe nicht nur zu Besuch bleiben wolle – die Erteilung eines Visums sei daher „gegenwärtig ausgeschlossen“.

Pro Asyl und die „National Coalition“ wollen das so nicht stehen lassen: Am Donnerstag präsentierten sie zwei Postkarten-Vordrucke an Thomas Schäuble und an Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP), der die Kinderrechtskonvention als „Meilenstein“ in der UN-Geschichte bezeichnet hatte. In den kommenden Monaten wollen die Menschenrechtler viele Bürger für ihre Postkarten-Aktion gewinnen, um die verantwortlichen Politiker zu einer „humanitären Lösung für Neshe im Sinne des Kindeswohls“ zu bewegen. Für Kauffmann geht es dabei um eine grundsätzliche Frage: „Wie stark ist ein Staat, wie stark ist eine Demokratie, für die Kinder eine öffentliche Gefahr darstellen und die es nötig hat, an Kindern die ganze Härte von Gesetzen zu exekutieren und sie mit Gewalt in eine ungewisse Zukunft abzuschieben?“


Nach oben