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24.08.1995

Sudanesische Flüchtlinge
auf dem Flughafen Frankfurt:
Skandalurteil: Verwaltungsgericht Frankfurt
lehnt Abänderungsanträge ab
Heutige Abschiebung droht
Nächtlicher Psychoterror des BGS‘


PRO ASYL unterstützt erneuten Gang zum Bundesverfassungsgericht

Die zuständige Einzelrichterin des Verwaltungsgerichtes Frankfurt, Frau Loizides, hat über Nacht die Anträge der Sudanesen auf Abänderung der bereits früher ergangenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes abgelehnt. Zur Begründung führt die Richterin an, es lägen keine veränderten Umstände vor, die eine Abänderung der Entscheidung erforderten, sondern es handele sich bei den Anträgen der Rechtsanwälte um eine Verfahrenskritik an einem unanfechtbaren Gerichtsbeschluß. Insoweit sei die erneute Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe möglich. Darüber hinaus sei die Befürchtung, die Medienberichterstattung über den Hungerstreik habe zu einer erhöhten Gefährdung der Flüchtlinge geführt, weil die sudanesischen Behörden nunmehr von einem regimefeindlichen Engagement der Asylbewerber ausgehen müßten, „eine reine Vermutung“. In einem abgetrennten Beschluß ordnet das Gericht weiter an, daß die hungerstreikenden Flüchtlinge von nun an täglich durch den BGS-Vertragsarzt Dr. Rambow auf ihre Flugtauglichkeit hin zu untersuchen sind.

In einer ersten Bewertung beurteilte PRO ASYL-Sprecher Heiko Kauffmann die Entscheidung als skandalös: „Die Richterin verweigert sich weiter einer ernsthaften Auseinandersetzung mit „ast allen von den Flüchtlingen und ihren Rechtsanwälten vorgebrachten Sachverhalten. Die Frage der Folter in mindestens drei Fällen spielt weder in dieser noch in der vorangegangenen Entscheidung von Frau Loizides eine Rolle. Wichtig ist fast alles, was in den Entscheidungen des Gerichtes nicht drinsteht.“

PRO ASYL unterstützt mehrere der betroffenen Flüchtlinge direkt beim erneuten Gang zum Bundesverfassungsgericht, um eine Abschiebung mit dem heutigen Lufthansa-Flug um 14.15 Uhr zu verhindern.

Nachdem eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes gestern abend nicht mehr erging, hatten die Flüchtlinge die von PRO ASYL befürchtete unruhige Nacht. Im Stundentakt verschafften sich BGS-Bedienstete ohne jeden erkennbaren Sinn Zugang zu den Flüchtlingen und störten damit deren Schlaf. Die durch den Hungerstreik geschwächten Flüchtlinge, denen ein Psychologe bereits vor mehr als einer Woche akute Suizidgefährdung attestiert hatte, werden so weiter traumatisiert. Sie waren bereits am Montag einer amtsärztlichen Untersuchung unterzogen worden, deren Ergebnisse allerdings erst für Freitag erwartet werden. Sie lehnen die durch das Verwaltungsgericht angeordnete tägliche Untersuchung durch einen Arzt des Bundesgrenzschutzes, der in der Angelegenheit Partei ist, ab.

Frankfurt, den 24. August 1995 BM/Tr

An den Vorstand der Lufthansa
An die Flottenadmiräle der Lufthansa
An das Crew-Briefing zur Kenntnis per Fax

Zur sofortigen Vorlage!

Lufthansaflug Frankfurt/Main-Khartoum heute um 14.15 Uhr

Sehr geehrte Damen und Herren,

nach unseren Informationen beabsichtigt der Bundesgrenzschutz, mit dem o. g. Lufthansaflug die Zurückweisung von sechs sudanesischen Flüchtlingen zu vollziehen, die sich seit fast drei Wochen im Hungerstreik befinden. Nach allen PRO ASYL vorliegenden Unterlagen ist zu keinem Zeitpunkt des Asylverfahrens die Angabe dreier Flüchtlinge, sie seien gefoltert worden, ernsthaft geprüft worden. Die Betreffenden können Foltermale vorweisen, die die Überprüfung ihrer Angaben dringend nahegelegt hätten.

Am gestrigen Mittwoch hat das Bundesverfassungsgericht die Annahme von Verfassungsbeschwerden für die insgesamt sieben betroffenen Sudanesen abgelehnt und auf die Möglichkeit verwiesen, Abänderungsanträge beim Verwaltungsgericht Frankfurt zu stellen. Nachdem diese heute morgen abgelehnt wurden, sind erneut Verfassungsbeschwerden anhängig. Gleichzeitig bereitet der Bundesgrenzschutz nach unseren Informationen die Abschiebung vor.

Wir machen Sie darauf aufmerksam, daß die Abschiebung von Menschen in ein Land, dessen Regime auch vom Menschenrechtsberichterstatter der Vereinten Nationen die Anwendung systematischer Folter vorgeworfen wird, ein ungeheurer Skandal ist, solange nicht mit Gewißheit ausgeschlossen werden kann, daß bei einer Rückkehr nicht erneute Folter droht und zuvor die Angaben der Betroffenen über bereits erlittene Folter sorgfältig geprüft worden sind.

Aus Ihrer Verantwortung für die Menschenrechte kann Sie keine Dienstanweisung und keine Gerichtsentscheidung entlassen.

Rechtsanwälte der betroffenen Flüchtlinge hatten bereits früher an Sie appelliert, die Mitwirkung an dieser Abschiebung zu verweigern und darauf hingewiesen, daß jede Form der Knebelung durch BGS, Hilfskräfte usw. eine Straftat ist und eine entsprechende Anzeige nach sich zieht,

  • jeder Einsatz von Psychopharmaka gegen die Betroffenen eine Straftat ist und eine Anzeige nach sich zieht,
  • bestimmte Formen der Fesselungen Straftaten sind, und sich ggf. Kapitän und Crew-Mitglieder im Sinne einer unterlassenen Hilfeleistung mitschuldig machen könnten.

Diese Gesichtspunkte gelten auch weiter. Darüber hinaus befinden sich die Flüchtlinge inzwischen in einem noch mehr verschlechterten Gesundheitszustand, der beträchtliche Risiken beinhaltet.

Mehrere Flüchtlinge haben eine Erklärung abgegeben, daß sie sich gegen die Zurückweisung mit allen Mitteln, wie Schreien, Festklammern, Kleidung ausziehen und zerreißen, wehren werden, ohne Gewalt gegen Personen anzuwenden.

Bei dem verzweifelten Zustand, in dem sich die Flüchtlinge befinden, ist damit zu rechnen, daß sie versuchen werden, dies wahrzumachen. Wir appellieren an Sie zu verhindern, daß sich erneut an Bord eines Lufthansa-Flugzeuges dramatische Szenen abspielen, wie sie die Medien in den letzten Monaten für Abschiebeflüge der Lufthansa berichteten.

In wenigen Tagen jährt sich der Tod des Nigerianers Kola Bankole, der am 30. August 1994 an Bord einer Lufthansa-Maschine bei einem Abschiebungsversuch nach Lagos starb, nachdem er vermutlich geknebelt und medikamentös ruhiggestellt an seinen Flugzeugsitz gefesselt worden war. Die Lufthansa, ihre Vorstände und alle Bediensteten, sollten vor diesem Hintergrund ernsthaft überprüfen, welche Konsequenzen hieraus für den vorliegenden Fall zu ziehen sind. Sie stehen im Rampenlicht der Öffentlichkeit, auch wenn nach unseren Informationen zur Zeit allen Medienvertretern der Zugang zu den Flüchtlingen verweigert wird und – wie in solchen Fällen üblich – wohl versucht werden wird, die Abschiebung außerhalb des Gesichtsfeldes der Öffentlichkeit zu vollziehen.

Wir bitten Sie nochmals eindringlich, Ihre Mitwirkung am Rücktransport der Flüchtlinge zu verweigern.

Mit freundlichen Grüßen

Günter Burkhardt

Geschäftsführer von PRO ASYL


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