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TAG DES FLÜCHTLINGS 1997

Verfolgte Frauen schützen!

Eine Initiative des Deutschen Frauenrates und PRO ASYL

Zum Internationalen Frauentag 1997 haben sich der Deutsche Frauenrat und PRO ASYL mit Unterstützung von Gewerkschaften, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden an Öffentlichkeit und Politik gewandt und die Kampagne »Verfolgte Frauen schützen« gestartet.

Diese Kampagne ist über ein Jahr hin angelegt. Veranstaltungen sollen an folgenden Terminen stattfinden:

  • 3. Oktober: Tag des Flüchtlings
  • 10. Dezember: Tag der Menschenrechte
  • 8. März 1998: Internationaler Frauentag

Zu diesen Veranstaltungen sollten Abgeordnete des Deutschen Bundestages eingeladen werden und an ihre eigene Entschließung vom 31. Oktober 1990 erinnert werden, in der für Frauen ein besserer Schutz vor Verfolgung einstimmig gefordert wurde. Geredet wurde viel. Getan wurde kaum etwas.

Gleiches gilt für die Beschlüsse der Pekinger Weltfrauenkonferenz vom 15.September 1995 und die Beschlüsse des Exekutivkomitees des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen. Als Ergebnis der Weltfrauenkonferenz von Peking hatte sich die Bundesregierung in der »Erklärung und Aktionsplattform von Beijing« vom 15. September 1995 zur »Gewährleistung des Zugangs zu besonders ausgebildeten Beamten, namentlich auch Beamtinnen, die Frauen zu peinlichen oder schmerzlichen Erfahrungen, wie etwa unzüchtigen Handlungen, befragen können«, verpflichtet. Kaum etwas von dem, was dort zum Schutz von Frauen beschlossen wurde, ist umgesetzt worden.

Um den Forderungen nach einem besserem Schutz verfolgter Frauen Nachdruck zu verleihen wird die Kampagne »Verfolgte Frauen schützen« durch eine Unterschriftenaktion begleitet. Der Aufruf sollte bei Veranstaltungen ausgelegt werden, um Unterschriften zu sammeln.
Diese Unterschriftenaktion geht bis zum Internationalen Frauentag1998. Anschließend sollen die Unterschriften der Bundestagspräsidentin übergeben werden.
Im folgenden dokumentieren wir die Hauptanliegen der Kampagne. Der vollständige Text mit zahlreichen Beispielen, die die erhobenen Forderungen belegen, ist in Form eines 4 – seitigen Faltblattes veröffentlicht worden, das bei PRO ASYL angefordert werden kann.

Die Situation von Frauen im Asylverfahren ist besonders schwierig. Viele erhalten kein Asyl. Sie werden mit ihren spezifischen Verfolgungserlebnissen im bundesdeutschen Asylverfahren all zu häufig abgelehnt. Der Hauptgrund liegt darin, daß die Gewalt gegen Frauen als nicht-»politisch« und damit als asylunerheblich bezeichnet wird, sowie in den Ausschlußmechanismen, die von der Asylrechtsprechung entwickelt wurden, aber auch in fehlendem Problembewußtsein und mangelnder Sensibilität der mit Asylentscheidungen befaßten Personen und Institutionen.
Die Entscheidungspraxis der Behörden und Gerichte macht das Asylverfahren zum Hindernislauf. Fünf Hürden sind es, die überwunden werden müssen:

1. Überzogene Anforderungen an die Glaubhaftmachung

Asylgründe und Verfolgungstatbestände müssen glaubhaft gemacht werden. Hierfür wird von den Gerichten als erforderlich angesehen, daß Asylbewerber/innen ihr Verfolgungsschicksal vom ersten Tag an gegenüber allen Entscheidungsträgern möglichst ausführlich, anschaulich und bis ins Detail identisch vortragen. Dies wird auch von den Frauen erwartet, obwohl offenbar sein müßte, daß eine Frau die erlittenen Demütigungen und Mißhandlungen, die meist ihren Intimbereich berühren, nicht »anschaulich und detailliert erzählen« kann, schon gar nicht gegenüber fremden Männern.
Frauen wird in vielen Fällen ihr Verfolgungsschicksal nicht geglaubt.

2. Asylerhebliche Schwelle

Asylrechtlich relevant sind nur »schwere« Rechtgutverletzungen. Bei frauenspezifischen Verfolgungshandlungen fehlt oft das Bewußtsein und Einfühlungsvermögen.

3. Verfolgung muß »politisch« sein

Eine Verfolgung wird dann als politisch bewertet, wenn jemand wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt ist. Die meisten Gerichte verneinen, daß die Verfolgungshandlungen gegenüber Frauen an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfen.

4. Verfolgung muß vom Staat ausgehen oder diesem zurechenbar sein

Frauenspezifische Verfolgungen werden meist als private Übergriffe durch Dritte bewertet, auch wenn die Verfolger ihre Stellung als Amtsperson mißbrauchen und/oder der Staat die Verfolgungen stillschweigend duldet und den erforderlichen Schutz versagt.

5. Erneute Verfolgungsgefahr im Falle der Rückkehr muß vorliegen

Im Falle der Rückkehr muß die Gefahr der erneuten Verfolgung vorhanden sein.
Soweit z.B. eine Vergewaltigung überhaupt als Verfolgung bewertet wird, wird regelmäßig die Gefahr der Wiederholung verneint. Es wird verkannt, daß Frauen, die frauenspezifische Verfolgungen erlitten haben, in vielen Fällen aus Sicht ihrer Religion, ihrer Ethnie Schande über sich und ihre Familien gebracht haben und nach einem rigiden Sittenkodex verstoßen werden. Diese Frauen verlieren in der Folge den Schutz ihrer Familie oder Gruppe und müssen weitere Übergriffe befürchten.

Was diese Hürden bedeuten, soll an zwei exemplarischen Fällen dargestellt werden. Weitere Beispiele sind in dem Faltblatt »Verfolgte Frauen schützen« aufgeführt.

  • »Ich mußte dann in ein Polizeifahrzeug einsteigen … unterwegs hat mich dieser Polizist vergewaltigt, ich konnte mich auf Grund meiner Handschellen nicht dagegen wehren.« Dies berichtete eine Albanerin aus dem Kosova im Asylverfahren. Doch ihr Asylantrag wurde abgelehnt: Dies sei eine »bloße Belästigung«, keine politische Verfolgung.
  • Eine alleinstehende Lehrerin mit Kindern zwangen die Taliban-Milizen in Afghanistan im Jahre 1996, ihren Beruf aufzugeben. Auch sie scheitert im Asylverfahren. Denn: »Die Anordnung der Taliban, daß die Frauen keiner Berufstätigkeit nachgehen und das Haus nur in Begleitung eines Mannes verlassen dürfen, (stellt) mitnichten politische Verfolgung, sondern allein eine Umsetzung der Rechte des heiligen Buches des Islam, des Koran, dar.« Es könne nicht »Aufgabe der bundesdeutschen Asylbehörden sein, die religiösen Gebräuche und Gepflogenheiten anderer Länder zu kritisieren«, argumentiert das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge.

Dies sind keine Einzelfälle. Frauen sind in spezifischer Weise Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Frauenspezifische Fluchtgründe werden im Asylverfahren jedoch nur ungenügend berücksichtigt. Die Verfolgung von Frauen wird allzu oft bagatellisiert oder als »nicht politisch« eingestuft.

Auf europäischer Ebene hat die Bundesregierung eine noch engere Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention mit durchgesetzt: Nur die Flüchtlinge, die Opfer von staatlicher oder staatlich geduldeter Verfolgung sind, sollen als politisch verfolgt gelten. Vor allem Frauen sind davon betroffen. Für sie wird es künftig noch schwerer werden, Asyl zu erhalten. Um so wichtiger sind Schutzregelungen im Ausländergesetz.
Im Rahmen der Kampagne »Verfolgte Frauen schützen« wird gefordert:

1. Schutzregelungen im Ausländergesetz:

In Deutschland wurde die Diskussion angestoßen durch eine aktionsübergreifende Initiative von mehr als 60 weiblichen Abgeordneten, die in einem Entschließungsantrag im Deutschen Bundestag am 31. Oktober 1991 einstimmig angenommen wurde.
Der Deutsche Bundestag hat z. B. gefordert, »klarzustellen, daß wegen ihres Geschlechts oder wegen ihrer sexuellen Orientierung Verfolgte, also auch in Bedrängnis geratende Frauen in der Bundesrepublik Deutschland Aufnahme finden«. Diese Forderung ist in der Praxis ohne Folgen geblieben. Deshalb fordern der Deutsche Frauenrat, PRO ASYL und die unterzeichnenden Organisationen gemeinsam:

  • Die vorhandenen Gesetze müssen so ausgelegt werden, daß Frauen im Falle geschlechtsspezifischer Verfolgung auch Asyl oder Abschiebungsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt wird.
  • Der Gesetzgeber wird aufgefordert, in § 51 AuslG klarzustellen, daß auch eine Verfolgung aus »geschlechtsspezifischen Gründen« ein asylrechtliches Abschiebungshindernis darstellt. Bisher heißt es in § 51 Abs.1 AuslG: »Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.«

2. Lageberichte des Auswärtigen Amtes:

In der oben zitierten Erklärung hat der Deutsche Bundestag gefordert, sicherzustellen, daß dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zusätzliche Informationen zu geschlechtsspezifischen Verfolgungen von Frauen für die Beurteilung der Asylgesuche von Frauen zur Verfügung gestellt werden, insbesondere über gesellschaftliche Folgen sexueller Gewalt an Frauen sowie Erkenntnisse über Verfolgungen wegen Übertretens gesellschaftlicher, kultureller und religiöser Normen in einigen Ländern. Dies wäre Aufgabe des Auswärtigen Amtes bzw. der deutschen Botschaften bei der Erstellung der sogenannten Lageberichte.

Behauptet wird immer wieder, dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge würden inzwischen zusätzliche Informationen zur geschlechtsspezifischen Verfolgung in bestimmten Ländern, insbesondere von Seiten des Auswärtigen Amtes zur Verfügung gestellt. Tatsächlich findet sich ein entsprechendes Stichwort in den Mustergliederungen für die Lageberichte, die die deutschen Auslandsvertretungen für das Auswärtige Amt vorlegen. Liest man sich solche Berichte durch, so zeigt sich: Es mangelt offensichtlich an Sensibilität für das Thema. In den meisten Fällen werden dürftige Pflichtübungen abgeliefert, denen ersichtlich weder Interesse noch Recherche zugrunde liegt. In anderen Fällen wird gar einfach behauptet, geschlechtsspezifische Verfolgungstatbestände gebe es in dem jeweiligen Land nicht.

Beispiele hierzu werden im Text »Geschlechtsspezifische Menschenrechtsverletzungen: Fehlanzeige« dargestellt (siehe Seite 22).

3. Bundesministerium des Innern:

Aufgrund der eingangs beschriebenen Hürden im Asylverfahren, der restriktiven Auslegung der geltenden Gesetze durch Richter und Verwaltungen und der unzulänglichen Informationslage von Entscheidern fallen viele Frauen durch die engen Raster des Asylverfahrens. Deshalb fordern der Deutsche Frauenrat, PRO ASYL und die unterzeichnenden Organisationen:

  • Der Bundesinnenminister ist aufgefordert, von seiner Weisungsbefugnis im Bereich des §53 AuslG gegenüber dem Bundesamt insoweit Gebrauch zu machen, als dieses angewiesen wird, sexuelle Übergriffe als Abschiebungshindernis im Sinne von § 53 AuslG zu akzeptieren, wenn und solange im Herkunftsstaat die gesellschaftliche Realität ein Leben in Würde der Frau nicht erwarten läßt. Alleinstehende Frauen, die ohne familiären Schutz nach einer Rückkehr Anfeindungen und Übergriffen ausgesetzt wären, dürfen nicht abgeschoben werden. Ein besonderer Abschiebungsschutz muß auch für Frauen greifen, die in der Bundesrepublik Deutschland Opfer von sexueller Gewalt geworden sind und deshalb den Schutz ihrer Familie im Herkunftsland verloren haben.
  • Der Bundesinnenminister wird aufgefordert, über den Bundesbeauftragten durch die Einlegung von Rechtsmitteln dafür Sorge zu tragen, daß in der Rechtsprechung eine geschlechtsspezifische Verfolgung als Asylgrund anerkannt wird.

4. Handlungsmöglichkeiten der Länder:

Bund und Länder sind aufgefordert zu prüfen, inwieweit Abschiebungsschutzregelungen für Gruppen verfolgter Frauen nötig sind, und diese ggf. zu beschliessen.
Die Länder sind aufgefordert, durch entsprechende Weisungen an die Ausländerbehörden klarzustellen, daß auch im Einzelfall sexuelle Übergriffe ein Abschiebungshindernis darstellen können und daß der Hinweis auf die allgemeine Unterdrückung von Frauen im Herkunftsland kein den Schutz ausschliessendes Merkmal ist, sondern im Gegenteil ein Indiz dafür, daß Menschenrechtsverletzungen vom Staat gebilligt oder zumindest nicht unterbunden werden.

5. Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge

Entscheiderinnen und Entscheider des Bundesamtes müssen verstärkt ausgebildet werden, um mit den spezifischen Problemen von Frauen im Verfahren umgehen zu können. Es wird empfohlen, Richtlinien zu erarbeiten, die es Befragerinnen und Befragern ermöglichen, das Vorliegen geschlechtsspezifischer Verfolgung zu erkennen. Frauen sollen auf Wunsch durch Anhörerinnen und Dolmetscherinnen und auf Wunsch auch getrennt von ihren Ehepartnern befragt werden. Sofern Anhaltspunkte für eine Traumatisierung vorliegen, muß mit besonderer Sorgfalt und Rücksichtnahme (z. B. durch eine Verschiebung der Anhörung, Hinzuziehung einer Psychologin o. ä.) vorgegangen werden. Es sollte ihnen die Möglichkeit gegeben werden, frauenspezifische Fluchtgründe auch nach der Anhörung noch vorzubringen, ohne daß dies als sogenanntes »gesteigertes Vorbringen«, das zur Asylablehnung führt, gewertet wird.

  • Es wird empfohlen, ähnlich der Initiativen der Schweiz und Kanadas, eine Darstellung der aktuellen Situation der Berücksichtigung frauenspezifischer Verfolgung zu erstellen und weitergehende Vorschläge zur Verbesserung der Situation zu erarbeiten.
Auf der Umschlagrückseite ist eine Kopiervorlage dieses Aufrufs abgedruckt.
Weitere Unterschriftenlisten und das Faltblatt »Verfolgte Frauen schützen« können Sie bestellen bei:

PRO ASYL, Postfach 10 18 43
60018 Frankfurt/Main
Fax: 069/230650


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