TAG DES FLÜCHTLINGS 1996
Beispiele und Anregungen
Unzureichende Altfallregelung
– künftig kaum noch Abschiebestopps
Günter Burkhardt
INHALT
- Grußwort der Vertreterin der Hohen Flüchtlingskommissarin der Vereinten Nationen (UNHCR) in der Bundesrepublik Deutschland
- Entwicklung der Asylpolitik in Europa
- Frauenspezifische Verfolgungsgründe
- Der Einzelfall zählt
- Statt Asyl: Auslandsschutzbrief und Nichtverfolgungsbescheinigung – Verfassungsgericht glaubt der Selbstauskunft von Diktatoren
- Gibt es Kettenabschiebungen?
- »In meinem Kopf ist immer die Frage: Was kommt später?« – Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge
- Kann man Folter übersehen?
- Der Präsident erhöht die Schlagzahl
– Druck auf die Mitarbeiter des Bundesamtes verschlechtert die Qualität der Asylentscheidungen - »…daß hier allzu leichtfertig mit dem Schicksal eines Menschen umgegangen wird.«
Später Erfolg für die kurdische Familie Simsek im Petitionsausschuß - Brennpunkt Flughafen
- Nach Einreise: Abschiebehaft
- Für Härtefallregelungen
- Gegen die inhumane Abschiebepraxis in Deutschland
- Illegalität fällt nicht vom Himmel
- Beispiele und Anregungen
- Das Asylbewerberleistungsgesetz ein Schreckgespenst für Flüchtlinge und Asylsuchende
- Ärzte-Netzwerk »Medizinische Hilfe«
- Erste Erfahrungen einer Abschiebehaft-Gruppe
- Begegnung mit Flüchtlingen suchen
- Wir wollen, daß ihr bleiben könnt!
- Was ist los in Zaire?
- Gruppenasyl in Regensburg für togoische Flüchtlinge
- Unzureichende Altfallregelung – künftig kaum noch Abschiebestopps
- Zehn Jahre PRO ASYL
- Adressen
- Statistik
Auf ihrer Sitzung am 29. März haben sich die Innenminister und -senatoren von Bund und Ländern auf eine Altfallregelung geeinigt. Noch Ende letzten Jahres hat sich Bundesinnenminster Kanther gegen jede Altfallregelung gewehrt. Gemessen daran ist der Beschluß vom 29. März ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Die jetzt beschlossene Regelung, von den Innenministern Härtefallregelung genannt, reicht jedoch bei weitem nicht aus. Die Bedingungen sind so konstruiert, daß viele Flüchtlinge mit langjährigem Aufenthalt nicht unter diese Regelung fallen. Gefordert werpen z.B.:
- Einreise vor dem 1. Juli 1990 für Familien und Asylsuchende mit minderjährigen Kindern und vor dem 1. Januar 1987 für Alleinstehende;
- ausreichender Wohnraum;
- Sicherung des Lebensunterhaltes durch legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel der Sozialhilfe. Ausnahmen können in »besonderen Härtefällen« gemacht werden:
- »bei Auszubildenden in anerkanntem Lehrberuf,
- bei Ausländerfamilien mit Kindern, die vorübergehend auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen sind sowie
- Alleinerziehende mit kleinen Kindern, soweit ihnen nach § 18 Abs. 3 BSHG eine Arbeitsaufnahme nicht zumutbar ist,
- bei erwerbsunfähigen Personen, deren Lebensunterhalt einschließlich einer erforderlichen Betreuung und Pflege in sonstiger Weise ohne Leistungen der öffentlichen Hand dauerhaft gesichert ist, es sei denn, die Leistungen beruhen auf Beitragsleistungen.«
Erschwerend kommt noch hinzu, dass Flüchtlinge, die Folgeanträge gestellt haben oder die bisherige Staatsangehörigkeit aufgegeben haben, nicht unter diese Altfallregelung fallen.
Im Gegenzug für solch eine Miniaturaltfallregelung haben die Innenminister beschlossen, das Ausländergesetz in Teilen nicht mehr anzuwenden. In Abs. 7 des Beschlusses heißt es: »Die lnnenminister von Bund und Ländern sind sich darüber einig, daß die Sechs-Monats-Regelung in § 54 Satz 1 AuslG durch die Länder nur noch als Ausnahmetatbestand für kurze Zeit und nach vorheriger Konsultation mit dem Bundesministerium des Innern und den Innenministerien der anderen Länder angewandt wird.« Die Länder treten damit ihre Kompetenzen an den Bund ab.
Die Absprache bedeutet, daß es künftig praktisch keine Abschiebestoppregelungen mehr geben wird. Vorbei an Recht und Gesetz haben die Innenminister verabredet, Teile des Ausländergesetzes nicht mehr anzuwenden. Dies ist für einen Rechtsstaat eine äußerst problematische Absprache. In Abs. 8 des Beschlusses heißt es weiter: »Elf Länder oder der Bund können die Regelungen nach den Abschnitten VI und VII mit einer Frist von drei Monaten kündigen. « Die rechtswidrige Absprache, das Ausländergesetz nicht mehr zu befolgen, wird nun noch mit einer 3-monatigen Kündigungsfrist versehen.
Über Verlängerungen von Abschiebestoppregelungen über ein halbes Jahr hinaus – so es sie überhaupt gehen wird wird künftig der Bundesinnenminister nur noch dann entscheiden , »wenn elf Bundesländer dies beantragen«. Auch diese Klausel ist im Ausländergesetz so nicht vorgesehen. § 54 Satz 2 Ausländergesetz heißt: »Zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit bedarf es der Anordnung des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern.« In der Vergangenheit gab es um die Auslegung dieses Satzes wiederholt Konflikte zwischen SPD-regierten Ländern und dem Bundesinnenminister. Das Land Schleswig-Holstein hat eine Bundesratsinitiative in Gang gesetzt, die geforderte Bundeseinheitlichkeit zu lockern, so daß eine Mehrheit der Bundesländer zur Herstellung der Bundeseinheitlichkeit genügt. Diese Initiative soll nach dem Willen der Mehrheit der Innenminister nicht mehr weiter verfolgt werden. Gleiches gilt für den Gesetzesentwurf des Bundesrates vom 10. März 1995 zur Änderung von § 100 Ausländergesetz bzw. von § 87 Asylverfahrensgesetz. Diese Gesetzesentwürfe des Bundesrates liegen nun seit mehr als einem Jahr dem Deutschen Bundestag zur Beratung vor. Dort war neben einer etwas großzügigeren Alftallregelung auch eine Altfallregelung für besonders gefährdete Flüchtlingsgruppen mit langjährigem Aufenthalt vorgesehen. Unter diese Altfallregelung sollten fallen: Flüchtlinge aus Afghanistan, Irak, Iran, Kuwait, Laos, Libyen, Myanmar (Burma), Ahmadis aus Pakistan, Yeziden aus der Türkei, Syrischorthodoxe und chaldäische Christen aus der Türkei, Kurden aus dem Notstandsprovinzen der Südost-Türkei, Tamilen aus Sri Lanka. Die Innenminister setzen sich über diesen Gesetzesentwurf hinweg und erklären, daß diese Gesetzesentwürfe nicht weiter verfolgt werden müssen.
Wie kann auf diesen Beschluß der Innenministerkonferenz reagiert werden?
- Es muß sorgfältig geprüft werden, welche Flüchtlinge unter die beschlossene Altfallregelung fallen.
- Eine echte Altfallregelung, die ihren Namen verdient, ist nach wie vor überfällig. Kirchengemeinden, Initiativgruppen, Wohlfahrtsverbände, Menschenrechtsorganisationen sollten sich weiterhin für solch eine Altfallregelung einsetzen und mit den Bundestagsabgeordneten aus ihrem Wahlkreis Kontakt aufnehmen. Es kann nicht hingenommen werden, daß durch einen Beschlußder Innenminister eine Gesetzesinitiative des Bundesrates einfach nicht mehr weiterverfolgt wird. Im Zuge einer ohnehin anstehenden Änderung des Ausländergesetzes könnte eine Altfallregelung im Ausländergesetz verankert werden.
- Die Ausländerbehörden sind aufgefordert zu prüfen, ob Flüchtlinge, die seit langem in Deutschland leben und eine Duldung besitzen, nicht unter § 30 Abs. 4 AuslG fallen.
- Initiativen im Hinblick auf den jeweiligen Landesinnenminster sind erforderlich. Er könnte die Ausländerbehörden anweisen, in jedem Einzelfall großzügig zu prüfen, ob Flüchlinge unter § 30 Abs. 4 AuslG fallen.
- Die Absprache der Innenminister, künftig keine Abschiebestopps mehr zu erlassen, kann nicht hingenommen werden. Fordern Sie Ihren Innenminister auf, das geltende Recht anzuwenden und diese rechtswidrige Absprache nicht einzuhalten.
- Sprechen Sie Kirchengemeinden an, ob sie bereit sind, von Abschiebung bedrohten Flüchtlingen Kirchenasyl zu gewähren.
Tel.: 02241/50001, Fax: 02241/50003.