Presseerklärung
11. November 1998
Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes in Berlin:
Jetzt werden Flüchtlinge radikal rausgemobbt
Skandalöse Behördenbescheide serienweise
PRO ASYL: Das Gesetz ermutigt Behörden zu schikanösem Verhalten
Implementation of the Act on Benefits for Asylum Seekers in Berlin
Es macht ihn ein Geschwätz nicht satt (FR 13.11.1998)
Translation-Info
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Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge, PRO ASYL und der Berliner Flüchtlingsrat werfen der Berliner Sozialverwaltung vor, seit Inkrafttreten des Asylbewerberleistungsgesetzes die neue Rechtslage zu nutzen, um Flüchtlinge mit einer Unzahl skandalöser Kürzungs- oder Einstellungsbescheide zu überziehen. Es handele sich um den Versuch, Flüchtlinge durch Aushungern außer Landes zu treiben. Das Asylbewerberleistungsgesetz müsse deshalb dringend auf den Prüfstand der rot-grünen Regierungskoalition in Bonn – mit dem Ziel seiner Abschaffung. Vertreterinnen und Vertreter des Flüchtlingsrates stellen bei einer Pressekonferenz am heutigen Tage die aktuelle Entwicklung in Berlin vor.
Hintergrund ist der kürzlich verschärfte § 1a des AsylbLG, nach dem zwei Personengruppen nur noch Anspruch auf das „unabweisbar Gebotene“ haben:
- Personen, die sich (angeblich) nach Deutschland begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen,
- Personen, die aus (angeblich) von ihnen zu vertretenen Gründen nicht abgeschoben werden können.
Mit großenteils neben der Sache liegenden Begründungen – in manchen Fällen auch gänzlich ohne – manipulieren die Berliner Sozialbehörden nun Flüchtlinge in großer Zahl in diese Kategorien hinein. So liegt PRO ASYL ein Bescheid des Bezirksamtes Tiergarten vom 5. Oktober 1998 vor, mit dem einem Ehepaar ohne nähere Begründung der weitere Leistungsbezug gänzlich verweigert wird. In einer Vielzahl von Bescheiden forschen die hierfür sachlich nicht kompetenten Sozialbehörden nach den Motiven für die zum Teil lange zurückliegende Einreise nach Deutschland. Sie behaupten dann, daß der Wunsch, soziale Leistungen in Deutschland in Anspruch zu nehmen, von prägender Bedeutung für die Einreise gewesen ist. Dabei wird oftmals eine Art Ersatzasylverfahren durchgeführt. So heißt es in einem Bescheid an die Ehefrau eines Deserteurs aus der jugoslawischen Armee:
„Ihr suggeriertes Bild, Ihr Ehemann sei im Heimatland aus politischen Gründen verfolgt gewesen, überzeugt nicht: Am 4.5.1998 hatten Sie allgemein erklärt, ‚wegen verschiedenen politischen Repressalien‘ das Heimatland verlassen zu haben. Nunmehr erklären Sie erstmals, Ihr Mann sei aus von uns nicht nachvollziehbaren Gründen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden und hätte einen Einberufungsbefehl zur Armee bekommen. (…) Nach umfassender Wertung aller Umstände reduziert sich der Katalog aller möglichen Einreisetatbestände mangels eines anderen glaubhaften Einreisegrundes allein auf den Tatbestand der Inanspruchnahme von Leistungen nach dem AsylbLG. (Bezirksamt Mitte vom 9. Oktober 1998)
Einem anderen jugoslawischen Deserteur wird ebenfalls in zynischer Weise vorgehalten, prägend für seinen Einreiseentschluß sei die Aussicht auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen gewesen:
„Denn die Lage in Ihrem Heimatland ist offensichtlich nicht so bedrohend wie von Ihnen geschildert, da Sie noch zwei minderjährige Kinder zurückgelassen haben. Dazu entschließt man sich in der Regel nur, wenn man die Kinder in gesicherten Verhältnissen weiß. Ihre Erklärung, Sie seien nicht davon ausgegangen, hier von Sozialleistungen leben zu müssen, ist unglaubhaft. Denn Sie konnten nicht alternativ erklären, wie Sie sich vorgestellt haben, Ihren Lebensunterhalt zu erzielen.“ (Bezirksamt Mitte vom 2. Oktober 1998)
Daß einzelne Sachbearbeiter in diesem Klima ihren ethnischen Vorurteilen freien Lauf lassen zeigt ein Bescheid des Bezirksamtes Mitte für einen Rom aus Jugoslawien vom 7. Oktober 1998:
„Die Erklärung, im Heimatland bestünde für Roma Gefahr für Leib und Leben, ist eine bloße Behauptung, die Sie nicht konkretisieren konnten. Nach unseren Erkenntnissen ist diese von Ihnen geltend gemachte Gefahr auch nicht öffentlich bekannt. Der Entschluß, nach Deutschland zu reisen, wurde offensichtlich nicht aufgrund einer akuten Notlage überstürzt gefaßt, sondern geplant. Sie sind gezielt nach Deutschland gereist. Soweit aber tatsächlich die Diskriminierung der Roma in Ihrem Heimatland ausschlaggebend für Ihre Ausreise gewesen ist, so wäre der Zweck der Ausreise bereits durch Einreise in einen Nachbarstaat erfüllt gewesen. Ihre Weiterreise nach Deutschland wäre aus Ihrer Sicht nur sinnvoll gewesen, wenn Sie hätten davon ausgehen können, in Deutschland einer besonders hohen Toleranz gegenüber Ausländern, insbesondere Roma, begegnen zu können. Nach Ihren eigenen Angaben kannten Sie die hier herrschenden Verhältnisse aber überhaupt nicht.“
Der Empfänger dieses Bescheides dürfte die hierzulande herrschenden Verhältnisse nun genau kennen.
Eine weitere seit kurzem in Berlin in Mode gekommene Verfahrensweise der Sozial- und Ausländerbehörden besteht darin, zu behaupten, Leistungsempfängerinnen oder -empfänger hätten ihre Identität nicht nachgewiesen. Ein Anspruch auf Sozialleistungen bestehe aber nur bei nachgewiesener Identität. Solche Behauptungen werden aufgestellt, obwohl die Betroffenen längst erkennungsdienstlich behandelt wurden und die Ausländerbehörde Personaldokumente in Verwahrung hat, deren Echtheit niemals in Zweifel gezogen wurde.
Flüchtlinge sind bereits zu Hunderten zum Opfer solcher Praktiken geworden, hinter denen nach Einschätzung von PRO ASYL offensichtlich Methode steckt. PRO ASYL unterstellt dem Berliner Senat, es handele sich um einen groß angelegten Versuch, Flüchtlinge, die man nicht abschieben könne, außer Landes zu mobben. Ziel sei, die Betroffenen zunächst einmal mittellos zu machen, weil man wisse, daß sie sich eine langwierige gerichtliche Auseinandersetzung weder finanziell noch nervlich leisten könnten. Denn Eilverfahren bei den Verwaltungsgerichten dauern oft monatelang, auch wenn den zuständigen Richterinnen und Richtern bekannt sei, daß die Betroffenen völlig mittellos auf der Straße lägen.
Für die Hauptbetroffenengruppen dieser Sozialhilfestreichung (Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo, Deserteure, Roma und Muslime aus der Bundesrepublik Jugoslawien sowie Palästinenser aus dem Libanon) ist derzeit eine Rückkehr weder zumutbar noch technisch möglich. Von den Sozialämtern obdachlos, ohne Taschengeld, ohne Verpflegung und ohne medizinische Versorgung gelassen, sehen sich die Betroffenen gezwungen, ihren Lebensunterhalt über kurz oder lang auf nichtlegale Weise zu beschaffen.
Was PRO ASYL bei der Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes befürchtet hat, ist nun bereits eingetreten: Sozialbehörden bedienen sich der gesetzlichen Neuregelung als Legitimation für rigorose Leistungsverweigerung in großem Stil. Der Einzelfall wird nicht oder nur pro forma zum Nachteil des Flüchtlings geprüft. Einen schnellen und wirksamen Rechtsschutz gibt es faktisch nicht. Im Gegenteil: Erste Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Berlin zeigen dieselbe Geisteshaltung wie die Bescheide der Sozialämter. So fertigt die 32. Kammer des VG Berlin mit Beschluß vom 30. Oktober 1998 einen im April nach Deutschland geflohenen Kosovo-Albaner ab:
„Das Gericht läßt die Angabe des Antragstellers dahinstehen, er habe den Kosovo wegen der kriegerischen Auseinandersetzungen verlassen, denn dieser Gefahr war er bereits in Ungarn entronnen.“
Wenn er weder dort noch in den anderen Durchreiseländern geblieben sei, so zeige dies seine alleinige Absicht, in Deutschland Sozialhilfeleistungen zu beziehen.
„Mag seine Ausreise aus der Heimat auf respektable Gründe zurückzuführen sein, die Einreise in Deutschland jedenfalls ist prägend von der Absicht bestimmt, hier auf deutsche Kosten zu leben.“ (AZ.: VG 32 A 498.98)
Damit befindet sich der Einzelrichter der 32. Kammer auf der Höhe des flüchtlingspolitischen Zeitgeistes: Bei der Flucht aus ihrem Herkunftsland sind Flüchtlinge noch respektabel, an der deutschen Grenze werden sie zu illegalen Schmarotzern umdefiniert.