TAG DES FLÜCHTLINGS 1990
Umfrage in der Fußgängerzone
INHALT
- Grußwort des Vertreters des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (1990)
- Grußwort der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (1990)
ANALYSEN
- Der gläserne Flüchtling – Gespräch mit Prof. Dr. Spiros Simitis
- Europäische Asylpolitik
- Was garantiert das Grundgesetz? – Zur Diskussion über Asylsuchende und Aussieder
- Behebung der Fluchtursachen
- Flüchtlinge im „Karlsruher Loch“
- Schnellverfahren an der Grenze
FLÜCHTLINGSSCHICKSALE
- Rückblick auf ein Jahrzehnt der Flucht
- „Ich fühle mich wie ein Mann, der mit seinen zwei Beinen in zwei verschiedenen Booten steht“
- „Alles wegen eines Weihnachtsbaumes“
BEISPIELE UND ANREGUNGEN
- Grundregeln der Pressearbeit
- Begrüßungsgeld für Flüchtlinge
- Aufnehmen oder Ausliefern? -Text für eine Meditation
- „Wir suchen Asyl in Ihrer Kirche“
- Aussiedler, Übersiedler, Flüchtlinge: die gleiche Betroffenheit
- Asylantrag als Eintrittskarte
- Umfrage in der Fußgängerzone
- „Bettelmarsch“ gegen drohende Abschiebung
STATISTIK
Überraschende Ergebnisse erbrachte die Umfrage, die die Mitglieder des Asylarbeitskreises der Katholischen Hochschulgemeinde am Tag des Flüchtlings, dem 30. September 89, in der Würzburger Fußgängerzone durchführten. Die Mehrzahl der Befragten war kaum informiert über die Lebenssituation derer, die in der Bundesrepublik Asyl suchen. Nichtsdestotrotz wurde häufig eine stark ablehnende Haltung gegenüber Flüchtlingen deutlich. Geht man davon aus, daß bei der Aktion ein repräsentativer Querschnitt der Würzburger Bevölkerung erreicht wurde, so erschien dies den Studenten, die die Umfrage durchführten, als sehr beunruhigend.
Weltweit waren 1988 etwa 17 Millionen Menschen auf der Flucht. 103 076 beantragten in der Bundesrepublik Asyl aus Furcht vor politischer Verfolgung. Nur ein kleiner Teil der Befragten kannte die Größenordnung dieser Zahl. Genausowenige wußten, daß 70 % dieser Flüchtlinge aus Europa kommen, vor allem aus Polen, Jugoslawien und der Türkei. Aus den Krisengebieten Asiens erreichten rund 22000 Menschen die Bundesrepublik: Iran, Pakistan, Libanon, Sri Lanka und Indien waren die Hauptherkunftsländer. Lediglich 6 % der Flüchtlinge stammen aus Afrika. Armere Länder nehmen häufig viel mehr Flüchtlinge auf: In Pakistan leben beispielsweise 3,5 Millionen Zufluchtsuchende aus Afghanistan.
Bei vielen Würzburgern besteht der Eindruck, daß Asylbewerber das Sozialsystem der Bundesrepublik mißbrauchen. Sie leben jedoch gezwungenermaßen von Sozialhilfe. Erst nach 5 Jahren wird ihnen eine Arbeitserlaubnis gewährt, so daß sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen dürfen. Kaum bekannt ist, daß Asylsuchende einen geringeren Sozialhilfesatz als Deutsche erhalten, obwohl dieser bereits nach dem Existenzminimum berechnet ist. Flüchtlinge erhalten die Sozialhilfe nicht ausbezahlt, sondern sie werden mit Sachleistungen versorgt. Sie können zum Beispiel ihre Lebensmittel nicht frei auswählen und mit Essensgutscheinen bezahlen, wie viele Passanten meinten: Aus Nürnberg erhält jeder Asylbewerber zweimal pro Woche ein Essenspaket. Erstaunen rief auch die letzte Frage nach der Bewegungsfreiheit von Asylbewerbern hervor. Es ist einem in Würzburg lebenden Asylbewerber nicht erlaubt, seinen in Kitzingen lebenden Landsmann zu besuchen. Er darf den Landkreis nur verlassen, wenn er zwingende Gründe dafür vorweisen kann. Wird er wiederholt dabei erwischt, ist dies ein Straftatbestand und führt zu einer Gefängnisstrafe. Das brisante daran ist: Nach den Vorschlägen zum neuen Ausländergesetz sollen mehrfach straffällig gewordene Ausländer sofort ausgewiesen werden können.
Bei der Auswertung der Umfrage wuchs die Erkenntnis, daß ein starkes Informationsdefizit über die Lage der Asylbewerber besteht. Nur so ist es offensichtlich möglich, daß Flüchtlinge mit zermürbenden Auflagen leben müssen, die bis zum psychischen Zusammenbruch führen können.