Frankfurter Rundschau
28. November 1998
Über die Rechte von Familien in den Zeiten des „Manfred“ Schily
Die Europäische Koordination erörterte in Frankfurt
Perspektiven für Migranten und binationale Partnerschaften
Von Jörg Schindler (Frankfurt a. M.)
Wird Rot-Grün die Rechte von Migrantenfamilien stärken? Das fragte sich in Frankfurt die Europäische Koordination für das Recht aller Ausländer auf Familienleben. Die Antwort gab sie sich selbst: „Die Koalitionsvereinbarung berechtigt nicht zu großem Optimismus.“
Familienleben in Deutschland: Neulich feierten zwei Vietnamesen in Berlin ihre Hochzeit. Nach allem, was man hört, soll es ein schönes Fest gewesen sein. Weniger schön ist, daß die Ehefrau und das gemeinsame Kind nun abgeschoben werden sollen. Denn während der Mann als früherer DDR-Vertragsarbeiter Bleiberecht hat, ist die Frau abgelehnte Asylbewerberin. Freundlicher Tip der Ausländerbehörde: Sie möge von Vietnam aus die Familienzusammenführung beantragen – die Chancen stünden gar nicht so schlecht.
Familienleben in Deutschland: In München wartet ein eineinhalbjähriges Mädchen seit Monaten auf seinen Vater. Der stammt aus Nigeria und ist mit einer Bayerin verheiratet. Im Prinzip steht seiner Einreise wenig im Weg – außer pflichtbewußten Bürokraten, die auf seinen Papieren schon mal bemängelten, daß ein Stempel an der falschen Stelle saß.
Familienleben in Deutschland ist rechtlich geschützt. Aber nicht jedes: Wenn Vater oder Mutter oder Kind keinen deutschen Paß ihr eigen nennen, „dominiert letztlich das Ausländerrecht“, so Elisabeth Mach-Hour. Sie ist Sprecherin der deutschen Koordinations-Filiale, die seit 1997 für Rechte von Migranten aus sogenannten Drittstaaten und von binationalen Familien streitet. Am Freitag erörterte sie mit Partnern aus fünf Staaten „europäische Perspektiven“ für ihr Anliegen.
Tatsächlich, erläuterte Volker Maria Hügel von Pro Asyl, würden vor allem Asylbewerber „im Ausländerrecht schleichend entrechtet“. Deren Familienbegriff scheitere meist an deutschen Vater-Mutter-Kind-Schablonen. In Asylunterkünften würden sie „Objekte eines fremdbestimmten Lagerlebens“; wenn der Aufenthalt verlängert werde, bekämen Eltern oft zu hören: „Sagen Sie Ihren Kindern, daß Deutschland nicht ihr Lebensmittelpunkt ist.“ „Diese Perspektivlosigkeit macht Familien kaputt“, so Hügel, der nicht glaubt, daß sich unter Innenminister „Manfred“ Schily daran Entscheidendes ändert.
Um nicht von der Familie getrennt zu werden, bleibe oft nur die Illegalität, berichtete Schwester Cornelia Bührle, erzbischöfliche Beauftragte für Migrationsfragen in Berlin. Die Folgen seien stets gleich: Kinder würden zu Analphabeten, ärztliche Versorgung sei kaum möglich, Rechtsschutz gebe es nicht. Wer trotz allem versuche, seinen Weg legal zu bahnen, sei behördlicher Willkür ausgesetzt, so der Frankfurter Verwaltungsrichter Berthold Huber: „Die Denkmuster kennen wir ja – da wird aus einer Sorgeerklärung schnell eine Scheinsorgeerklärung.“
Deutschland, so „Koordinations“-Sprecherin Mach-Hour, „ist aus menschenrechtlicher Sicht ein Entwicklungsland“. Das gelte es deutlich zu machen, wenn die „Koordination“ im April beim EU-Parlament vorstellig werde. Vor allem auf das Beispiel Italien will die Organisation dann aufmerksam machen: Dessen neues Einwanderungsrecht sei der deutschen Gesetzgebung „weit voraus“.
Zudem sei es an der Zeit, hiesige Behörden auf die Europäische Menschenrechts- und die UN-Kinderrechtskonvention hinzuweisen, schlug Mylène Nys, die Präsidentin der Europäischen Koordination, vor. Volker Maria Hügel winkte ab: „Jede Ausländerbehörde lacht sich schimmelig, wenn man denen mit Menschenrechtsvereinbarungen kommt.“