TAG DES FLÜCHTLINGS 1993
Türkei
INHALT
- Grußwort des Vertreters des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR)
- Auf dem Weg nach rechts
- Der Engel von Marseille
- „Hört auf, vom Mißbrauch des Asylrechts zu reden“
- Fehlentscheidungen des Bundesamtes – Korrektur durch Gerichte
- In die Flucht geschlagen: Warum Menschen fliehen
- Kirchenasyl
Menschenrechtsorganisationen in der Türkei und im Ausland weisen immer wieder darauf hin, daß der türkische Staat systematisch Menschenrechte verletzt und politische Gegner verfolgt. Wir haben bereits im Heft zum Tag des Flüchtlings 1992 dargestellt, daß Folter, Mord und Mißhandlung durch paramilitärische Kräfte, Zwangsevakuierungen und andere Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. Eine Vielzahl von Morden an kritischen Journalisten ist ein Beispiel für die Kontinuität staatlichen Terrors, mit dem die türkische Regierung nicht, wie sie selbst immer wieder behauptet, Terrorismus und Separatismus bekämpft, sondern auch die demokratische Opposition auszuschalten versucht. Nach wie vor werden vor allem kurdische Oppositionelle, die sich für die Selbstbestimmung der Kurden in der Türkei einsetzen, Opfer staatlicher oder staatlich geduldeter Verfolgung. Beschönigt wird weiterhin von der deutschen Regierung und vielen Behörden die Menschenrechtslage in Türkisch-Kurdistan. So erklärt das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht Türkei vom 1.10.1992, dass „nach wie vor nicht von einer Verfolgung der kurdisch-stämmigen Bevölkerung ausgegangen werden“ könne. Das Amt räumt allerdings ein, „daß das Vorgehen der Sicherheitskräfte in den Notstandsprovinzen gegen – tatsächliche oder vermeintliche – Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ auch zunehmend die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehe, wie die Ereignisse in und um Sirnak im August 1992 zeigten.
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Helmut Schäfer, vertritt die zweifelhafte Auffassung, daß die Beachtung der Menschenrechte nur das Resultat einer erfolgreichen Bekämpfung des Terrorismus mit allen Methoden sein kann, wenn er sagt, es sei „eine innere Situation in der Türkei eingetreten, die für alle türkischen Parteien, auch die linken Parteien, die sehr für die Menschenrechte eintreten, einhellig besagt: Wir müssen diesen Terror loswerden, dann sind wir bereit, die Menschenrechtssituation zu verbessern. “ (Interview mit SWF 1 vom 12.11.1992). Solche und ähnliche Äußerungen liefern der türkischen Regierung die Legitimation, jede Art von Menschenrechtsverletzungen in Kurdistan als notwendige Bekämpfung des Terrorismus zu bezeichnen.
Opfer der deutschen Doppelmoral gegenüber dem NATO-Partner Türkei sind auch Flüchtlinge aus der Türkei, die in der Bundesrepublik Asyl beantragen. Unter ihnen sind viele Kurden, die oftmals nicht als Asylberechtigte anerkannt werden, wenn sie sich auf den Tatbestand der Gruppenverfolgung als Kurden beziehen.
Daß Gerichte geneigt sind, der offiziellen Darstellung der türkischen Regierung, man bekämpfe lediglich den Terrorismus, zu folgen, zeigt ein Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes, der die Klage eines Kurden mit dem Argument zurückwies, daß es bei der Verfolgung kurdischer Separatisten vor allem von Mitgliedern der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – immer wieder zu teilweise brutalen menschenrechtswidrigen Übergriffen komme. Es lasse sich aber nicht feststellen, daß militärische und polizeiliche Aktionen „erkennbar gegen die kurdische Zivilbevölkerung gerichtet wären und nicht der Abwehr des bewaffneten Kampfes der PKK gegen den türkischen Staat dienen sollten“. Darüber hinaus sehen die Kasseler Richter für Kurden die Möglichkeit einer inländischen Fluchtalternative. Nach Auffassung des Gerichts können Kurden vor allem in den Großstädten der West-Türkei verfolgungsfrei leben. (Aktenzeichen: 12 UE 2590/89)
Anders sieht dies das VG Braunschweig, das von einer politischen Verfolgung von Kurden aus den Provinzen in der Ost-Türkei ausgeht (AZ: 1 A 1077/92) und das VG Stuttgart, das sein Urteil folgendermaßen begründet: „All dies spricht deutlich für eine zumindest drohende Gruppenverfolgung wegen kurdischer Volkszugehörigkeit im Südosten der Türkei. Insbesondere die Todesfälle von Journalisten, die auch aus kurdischer Sicht berichten und kommentieren, nähren den Verdacht, daß nicht nur bisherige, sondern auch künftige staatliche Terrorakte und sonstige Übergriffe auf Unschuldige wegen deren Volkszugehörigkeit oder unterstellter separatistischer Gesinnung unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung vertuscht werden sollen. […] Zurückkehrende oder abgeschobene kurdische Asylbewerber, insbesondere ohne gültigen Paß, müssen damit rechnen, bei der Einreise mit dem Verdacht konfrontiert zu werden, daß sie sich separatistisch betätigt haben:“ (AZ: A 5 K 8390/91 )
Für türkische Kurden, die im Asylverfahren in der Bundesrepublik rechtskräftig abgelehnt worden sind, hat sich die Situation in den letzten Monaten verschlechtert. Der bis Ende 1992 von den meisten Bundesländern praktizierte Abschiebeschutz wurde von Bundesinnenminister Seiters, dessen Zustimmung nötig gewesen wäre, nicht mehr verlängert. Und dies, obwohl der Bundestag mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD und FDP am 29. Oktober 1992 empfohlen hatte, einem zeitlich begrenzten Abschiebestopp „für Kurden, die aus dem kurdischen Stammesgebiet“ kommen, zuzustimmen. Betont wurde hierbei von den Antragstellern, daß vor dem Hintergrund der Situation in der Türkei von einer Abschiebung aus humanitären Gründen abzusehen sei. (Siehe: Bundestagsdrucksache 12/3568)
Als Folge des aufgehobenen Abschiebungsschutzes nimmt die Zahl der Abschiebungen von Kurden in die Türkei ständig zu. Unter den Betroffenen befinden sich viele Menschen mit langjährigem Aufenthalt in Deutschland, auch größere Familien.
Inländische Fluchtalternative?
Unwahrscheinlich ist es, daß viele der zur Rückkehr Gezwungenen die interne Fluchtalternative realisieren können, die ihnen deutsche Gerichte empfehlen. Denn der seit Jahren bestehende Konflikt im Südosten der Türkei, die brutale Unterdrückung jeder Autonomiebestrebung und die Reaktion einer skrupellosen Guerrilla-Bewegung sind nicht ohne Einfluß auf die Situation der Kurden im Westen der Türkei geblieben. Zwar leben seit jeher viele Kurden aus allen gesellschaftlichen Schichten in den Großstädten der Türkei. Rückschläge im Verhältnis von Kurden und Türken sind jedoch nicht zu übersehen.
Zudem wandern aufgrund der Repression im Südosten immer mehr Kurden nach Westen, versuchen, Arbeit zu finden oder eine andere Existenz zu gründen und dann ihre Familien nachkommen zu lassen. Allein die Großstädte Istanbul, Izmir und Ankara sollen inzwischen zusammen 6 bis 10 Millionen Einwohner kurdischer Volkszugehörigkeit haben, darunter viele Zuwanderer aus den letzten Jahren. Die Zuwanderung aus dem Südosten führt zu Problemen, wie Gerd Köhler, Korrespondent der Frankfurter Rundschau, in einem Bericht vom 12. 11. 1992 schreibt: „Neuen Zündstoff liefert seit einigen Monaten der ständige Zustrom kurdischer Übersiedler, die aus den seit eineinhalb Jahrzehnten unter Kriegsrecht oder Ausnahmezustand stehenden und auch wirtschaftlich immer chaotischeren Südost-Provinzen nach Westen ziehen. Die ,Ostbürger‘, wie sie abwertend im offiziellen Sprachgebrauch genannt werden, sind nirgendwo gern gesehene Nachbarn.“
Eine besonders angespannte Situation hat sich in der Hafenstadt Izmir an der Ägäisküste entwickelt. Izmir ist seit dem Frühjahr Ziel kurdischer Zuwanderer. Von den nahezu drei Millionen Einwohnern der Stadt sind, so schätzt man, etwa 900000 kurdischer Abstammung, mehrere Zehntausend von ihnen Neuankömmlinge.
Die örtlichen „Sicherheitskräfte“ geben sich alle Mühe, das wie in den meisten westanatolischen Großstädten durch die seit Jahren erdrückende Zuwanderung ohnehin gespannte soziale Klima weiter anzuheizen. So warnte Izmirs Polizeichef Orhan Tesanlar bereits in einem Interview mit der Regionalzeitung Yeni Asin: „Der Terror in Izmir ist ein schlafender Drache!“ Die kurdischen Terroristen seien dabei, die Stadt zu unterwandern, „jeden Moment“ könne „die Gewalt explodieren“, orakelte der Polizeichef. ‚
Einhalt will der kurdischen Zuwanderung auch Izmirs Provinzpräfekt Aktas gebieten: Die pro-kurdische Zeitung Gercek („Wahr“) zitiert den Beamten mit der Ansicht, Kurden dürfe, wenn überhaupt, in Izmir nur befristet Aufenthalt gewährt werden. Überlandbusse und Taxis will Aktas an KontrollsteIlen vor der Stadt stoppen lassen, die Reisenden sollen sich auf Fragebögen zu ihren Personalien, dem Woher und Wohin erklären. Der Präfekt, so berichtete die Presse, denke bereits daran, besondere Visa für die Einreise nach Izmir auszustellen. „Kommen diese Menschen etwa aus einem anderen Land?“, entrüstet sich der sozialdemokratische Politiker Hilseyin Demir.
Der kurdischen Zuwanderung, „die den Terror fördert“, einen Riegel vorschieben, will hingegen Kamile Yesiltepe, ein prominenter Lokalpolitiker der oppositionellen „Vaterlandspartei“ (ANAP); jeder müsse „in seine Heimat zurückkehren“. Dabei vergißt Yesiltepe allerdings, daß es gerade seine ANAP war, die in ihren Regierungsjahren zwischen 1983 und 1991 Hunderttausende Kurden aus den Südostprovinzen deportierte und nach Westen umsiedelte. Ziel dieser Politik war die Assimilierung der Kurden, ihre“ Türkisierung“. Steht nach diesen Zwangsumsiedlungen den Kurden nun etwa die Vertreibung zurück nach Osten bevor? Es scheint fast so, als setze die Regierung in Ankara nun alles daran, auch die friedlichen, etablierten Kurden im Westen des Landes, denen weder etwas an der marxistischen Ideologie noch am Separatismus der PKK liegen kann, gegen die türkische Republik aufzubringen. […]
Die örtliche Presse schürt die Pogromstimmung: eines Tages, so empfahl der Kolumnist Kamdi Türkmen seinen Lesern, müßten „die auf der Sonnenseite jene anderen, die aus dem Schatten kommen, vertreiben“. Die Neuankömmlinge aus dem Osten, so forderte der Kommentator, sollten gefälligst „wieder abhauen“.
Das liegt ganz auf der Linie dessen, was schon in diesem Frühjahr auf anonymen Flugblättern in der Hafenstadt propagiert wurde. An das „türkische Volk“ und unterzeichnet von „Patrioten aus Izmir“ erging der Aufruf, den „kommunistischen Kurden“ keine Wohnungen zu vermieten, sie nicht mehr zu grüßen und nicht in kurdischen Geschäften einzukaufen: „Das Geld, das Du ihnen gibst, kommt als Gewehrkugel zu Deinem Sohn, der Soldat ist, zurück!“ Offen riefen die Verfasser des Flugblatts zur physischen Gewalt gegen die Kurden auf: „… und wenn Du das nicht kannst, so hasse sie wenigstens!“ Anschläge auf Kurden oder antikurdische Übergriffe bei Demonstrationen hat es bereits gegeben, nach Angaben von Özgür Gündem u.a. in Fethiye, Alanya und Urla bei Izmir.
Vor dem Hintergrund dieser schwierigen Verhältnisse kann es, Kurden, die nach längerem Aufenthalt aus Deutschland abgeschoben werden, kaum gelingen, eine tragfähige Existenz aufzubauen. Die Rückkehrer konkurrieren zudem mit Kurden, die unter dem Druck von Staatssicherheitskräften aus kurdischen Gebieten in der Südost-Türkei fortziehen. Die Zeitschrift Yeni Ülke berichtet in der Ausgabe vom 7. bis 13.3.1993 über die Ergebnisse einer Erkundungsreise türkischer Gewerkschaftsvertreter, die festgestellt haben, dass viele Dörfer und Bezirke in der Südost-Türkei einem systematisch durchgeführten Lebensmittelembargo unterliegen und die Bewohner auf diese Weise gezwungen werden, in die Metropolen im Westen der Türkei zu ziehen. In einem Erlaß wird detailliert festgelegt, in welchen Mengen Grundnahrungsmittel an die einzelnen Haushalte abgegeben werden dürfen.
Außergerichtliche Hinrichtungen
Weiterhin werden politisch aktive Kurden häufig Opfer von Morden, regelrechten Hinrichtungen, die in vielen Fällen den Sicherheitskräften zugerechnet werden müssen. Die türkische Regierung leugnet weiterhin die Aktivitäten paramilitärischer Konter-Guerrillas. Wir dokumentieren die Vorfälle einiger Wochen im Frühjahr 1993:
- Im Bezirk Silvan/Diyarbakir wurde am 27.2.1993 Sabri Zengin (69) und seine drei Söhne Fikret (22), Abdulhadi (33) und Abdulbari (30) von unbekannten Tätern mit Maschinengewehren beschossen. Dabei starben Vater Sabri und seine Söhne Abdulhadi und Abdulbari. Fikret mußte mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. (Mil., 1.3.1993)
- Am Abend des 27.2.1993 wurde in Sirnak das Fahrzeug von Ömer Güven von unbekannten Tätern angegriffen und in Brand gesetzt. Ömer Güven und eine noch nicht identifizierte Person, die ebenfalls im Wagen saß, verbrannten im Fahrzeug. (Mil., 1.3.1993)
- Staatssicherheitskräfte haben am 20. Februar das Dorf Ormanici im Bezirk Sirnak überfallen. Die Dorfbewohner erzählten, daß die Sicherheitskräfte bestehend aus Gendarmen und Dorfwächtern gegen 4 Uhr morgens das Dorf aus 500 bis 600 Metern Entfernung bombardierten. Danach holten sie die Leute aus ihren Häusern und schossen um sich. Die 3jährige Abide Ekin wurde dabei getötet und fünf Dorfbewohner schwer verletzt. Die Frauen und Mädchen wurden von den Sicherheitskräften geschlagen – der Schmuck wurde ihnen abgenommen und schließlich wurden sie auch noch sexuell belästigt. Die Angreifer gingen danach dazu über, die Häuser zu plündern und eines nach dem anderen in Brand zu setzen.
Resul Kaya, der noch in einem der Häuser schlief, wurde herausgezerrt und vor den Augen der anderen Dorfbewohner mit Benzin übergossen und angezündet. Er erlitt schwerste Brandverletzungen am ganzen Körper. Nachdem auch noch die Tiere des Dorfes eines nach dem anderen getötet worden waren – nahmen die Sicherheitskräfte zum Schluß 46 Dorfbewohner in Polizeihaft. (Y.Ü., 28.2. – 6.3.1993, Nr. 9)
- Im Bezirk Kiziltepe/Mardin drang eine bewaffnete Gruppe, die sich als Polizisten ausgab, am 25. Februar um 20 Uhr in das Haus der Familie Erin ein. Die Eindringlinge gaben mehrere Schüsse aus automatischen Gewehren ab und erschossen dabei die 53jährige Cemile Erin und ihren 15jährigen Sohn Hamdi. Serkan Erin wurde verletzt. (Hür., 26.2.1993)
- Das Vorstandsmitglied der HEP in Batman, Ahmet Argin, wurde tot aufgefunden. Die Leiche des 45jährigen wurde mit einem einzigen Kopfschuß 2 Kilometer entfernt vom Bezirk Hasankeyf von der Gendarmerie entdeckt. (Ter., 28.2.1993)
- Die Leiche Cemal Akars, Kreisvorsitzender der „ÖZDEP“ (Partei für Freiheit und Demokratie) und Mitglied des Menschenrechtsvereins von Erzincan wurde jetzt – nachdem er seit dem 25. Januar spurlos verschwunden war – 40 km entfernt von Tunceli in der Nähe der Bundesstraße Pülümür von Anglern aufgefunden.
Der Bundesvorsitzende von ÖZDEP Mevlit Ilgin und seine Begleiter durften an der Beerdigung des 30jährigen Akar nicht teilnehmen. Staatliche Stellen haben sie daran gehindert. Am 26. Februar 1993 hat der stellvertretende Vorsitzende der „Arbeiterpartei des Volkes“ Hatip Diele auf einer Pressekonferenz zu dem Vorfall Stellung genommen. Er führte aus, daß Cemal Akar zunächst gefoltert worden sei und anschließend in einen Teich geworfen wurde. Seine Leiche wurde später von wilden Tieren zerstückelt.
Deutsche Waffen gegen Kurden
„Wir haben die deutschen Waffen, z.B. NVA-Schützenpanzer, deutsche Militärtransportfahrzeuge, deutsche G3-Gewehre mit eigenen Augen im Einsatz gesehen.“ (Aus: Bericht über eine Informationsreise nach Türkei-Kurdistan vom 25. 9. bis 3. 10. 92.) Der Einsatz deutscher Waffen, insbesondere Panzer, gegen die kurdische Bevölkerung vor allem im vergangenen Jahr wurde von zahlreichen Zeugen bestätigt, u. a. durch medico international, amnesty international und Lord Avebury, Vorsitzender der Menschenrechtskommission des Britischen Parlaments. So wurden deutsche Waffen bei den Massakern während des kurdischen Newroz-Festes, dem Überfall auf die kurdische Stadt Sirnak Ende August und bei der Ermordung des Kurden Mesut Dündar, der im September 1992 mit einem deutschen BTR-60-Panzer zu Tode geschleift wurde sowie bei der Belagerung und Verwüstung der Stadt Kulpur Anfang Oktober eingesetzt.
Die Waffenlieferungen waren auf internationalen und nationalen Druck hin zwar im April 1992 vorübergehend eingestellt worden, später aber wegen einer angeblichen Zusicherung der Türkei, die Waffen nur für die Landesverteidigung einzusetzen, wieder aufgenommen worden. Bei dieser angeblichen Zusicherung handelt es sich jedoch um einen „fadenscheinigen Vorwand“. Haben doch türkische Minister immer wieder auf die neue NATO-Doktrin 1991 hingewiesen, wonach die „Sicherheitsinteressen des Bündnisses“ auch bei „Terror und Sabotageakten“ berührt sind, so daß dem Einsatz der neu gelieferten Rüstungsgüter „zur Terrorismusbekämpfung“ in Kurdistan nichts mehr im Wege steht.
Zeitgleich mit dem Beginn des militärischen Großangriffs gegen PKK-Stellungen im Irak durch die Türkei kündigte Bonn den Export von 46 „Phantom“ – Aufklärungsflugzeugen an. Inzwischen haben der Auswärtige Ausschuß und der Verteidigungsausschuß des Bundestages dem Rüstungsgeschäft zugestimmt: statt Protest gegen die völkerrechtswidrigen Aggressionen gegen die Kurden als Weichenstellung für weitere Waffenbrüderschaft.
Ende 1992 wurde bekannt, daß die Rüstungsfirma Eurometaal Liebenau (Niedersachsen) 18.000 Artilleriegeschosse, die mit zahlreichen Sprengköpfen gefüllt sind und daher die Wirkung von Streubomben haben – also Massenvernichtungsmittel – produziert, um sie an die türkische Armee zu liefern. Zur gleichen Zeit hatte der türkische Ministerpräsident Süleyman Demirel in Ankara angekündigt, die Türkei wolle im kommenden Jahr verstärkt gegen“ kurdische Separatisten sowie die Kämpfer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vorgehen.
Morde an Journalisten
Die großen Berufsverbände der Internationalen Presse haben im September 1992 die Türkei als das „gefährlichste Land für Journalisten“ bezeichnet. Innerhalb weniger Monate wurden zwölf Pressevertreter unterschiedlicher Organe ermordet. Zumeist in Türkei-Kurdistan. Vier Journalisten gehörten der Tageszeitung „Özgür Gündem“ an, die seit ihrem ersten Erscheinen im Juni 1992 kritisch über den Krieg in Türkisch-Kurdistan berichtet: Hafiz Akdemir (10. Juni), Yahya Orhan (31. Juli), Hüysein Deniz (8. August) und der 74jährige Schriftsteller Musa Anter. Burhan Karadeniz wurde am 5. August angeschossen und in einem Frankfurter Krankenhaus behandelt.
Izet Keser von „Sabah“ wurde während der Newroz-Ereignisse ermordet, dann am 29. Juli Cetin Abayay von der Zeitschrift „Özgür Halk“, Halit Gülgen von „2000’e Dogru“ und Cengiz Altun von „Yeni Ülke“. Ende November wurde nach Angaben seines Chefredakteurs Namik Taranci auf offener Straße in der südosttürkischen Stadt Diyarbakir erschossen. Taranci arbeitete für die linksgerichtete pro-kurdische Wochenzeitschrift „Gercek“ (die Wahrheit).
In einem Gespräch mit der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke, die sich vom 25.9. bis 3.10.1992 mit einer deutschen Delegation in der Südost-Türkei aufhielt, erklärt Mehmet Oguz von der Tageszeitung. „Üzgür Gündem“ in Ankara:
„Es gibt einige Anhaltspunkte dafür, daß die Journalisten im Auftrag des Staates ermordet wurden. Zum Beispiel, daß die Polizei die Mörder schützt, daß sich welche nach der Tat in Polizeiwachen geflüchtet haben, daß die Polizei, obwohl Zeugen sie genau beschreiben konnten, nicht ermittelt. Der Innenminister Sezgin behauptet, die ermordeten Journalisten von Ozgür Gündem seien keine Journalisten, sondern angeblich, Terroristen ,Militante‘ gewesen, die wegen ‚organisationsinternen Auseinandersetzungen‘ ermordet worden seien. Diese Lüge haben wir durch Veröffentlichung ihrer Versicherungsnummer bei der staatlichen Rentenversicherung widerlegt…
Es werden ständig ganz offen Morddrohungen gegen uns Journalisten und Drohungen, unsere Büros in die Luft zu sprengen, ausgesprochen. Um journalistisch arbeiten zu können, bräuchten wir demokratische Verhältnisse, und die haben wir nicht. Alles ist von einer demokratischen Lösung des Kurdistan-Problems abhängig. […] Bei der Regierung hat sich überhaupt nichts geändert. Sie will die Probleme immer noch mit Terror, Mord und Einschüchterung lösen. Der türkische Staat hat auch auf internationaler Ebene keine Nachteile zu befürchten, weil er im Interesse der „Neuen Weltordnung“ voll unterstützt wird. Das Waffenembargo Deutschlands nach dem Newroz-Massaker wurde zum Beispiel nach kürzester Zeit wieder aufgehoben, und es herrschen wieder die engsten Freundschaftsbeziehungen zwischen diesen beiden Staaten.“
Ethnische Säuberungen“ – auch in Kurdistan?
In einem Artikel in „Kurdistan heute, Nr. 4/93“, gibt der Journalist Peyman Meleti Informationen der türkischen Presse wieder, die auf eine generalstabsmäßig geplante Vertreibung von Kurden deuten.
Die Zeitschrift „2000’e dogru“, Nr. 47 vom 22.11.1992, berichtete, daß seit dem 2.6.1980 vom türkischen Generalstab, damals noch unter Kenan Evren, die „innere Bedrohung“ der Türkei analysiert werde. Ein hierzu verfaßter „Bericht über die innere Bedrohung“ wird jährlich im November aktualisiert. Er enthält den Vermerk „streng geheim“ und kursiert nur auf der Ebene der Brigade. Grundsätzlich geht darin die türkische Armee davon aus, daß zu den „inneren Feinden“ des türkischen Staates neben Kommunisten, religiösen Fundamentalisten besonders kurdische „Separatisten“ gehören, die „auf unserem Boden einen eigenen Staat gründen wollen“ und daß „die in Ost- und Südostanatolien lebenden Menschen durch ausländische Kräfte zu der Anschauung verleitet (werden), einer anderen Rasse anzugehören, obwohl sie echte Türken sind“. Für die Arbeit gegen „Separatisten“ seien in erster Linie die türkischen Streitkräfte verantwortlich. Der Bericht enthält Aufstellungen über kurdische Organisationen und eine Karte, wo in welchem Gebiet Gesamtkurdistans welche „feindlichen“ kurdischen Stämme angesiedelt sind.
Nach Beendigung der sog. „Außenoperation“, insbesondere im südkurdischen Grenzgebiet, kündigte Generalstabschef Dogan Güres im November 1992 eine „interne Operation“ an. Hierfür seien eigens Militärkräfte ausgebildet worden. Die „interne Operation“ solle nicht auf die kurdischen Ausnahmezustandsgebiete beschränkt bleiben, sondern die Gesamttürkei umfassen. Die kurdischen Provinzen Kars, Igdir, Malatya, Antep, Erzincan, Erzurum, die formal nicht zu den Ausnahmezustandsgebieten gehören, sollen ebenfalls zum Hauptoperationsgebiet und somit den Ausnahmezustandsgebieten praktisch gleichgestellt werden. Der Informant der Zeitschrift „2000’e dogru“, ein hoher Offizier, zu der Frage, was in der Westtürkei geschehen solle: „Jedes Gebiet, wo Kurden mehrheitlich wohnen, wird Operationsgebiet, weil es nicht nur darum geht, die PKK zum Schweigen zu bringen, sondern alle Kurden zu unterwerfen. Um dies zu bewerkstelligen, ‚werden Terror, Attentate und Provokationen angewandt werden.
Wenn dagegen die Kurden auf die Straße gehen, hat man einen Vorwand, gegen sie vorzugehen. Wenn es in der nächsten Zeit solche Vorfälle in Großstädten geben wird, darf es Sie nicht wundern.“
Vorgesehen ist, die kurdischen Grenzgebiete zu Syrien, Irak und Iran zu verminen. Dies ist zum großen Teil schon geschehen. Geplant sind Massenverhaftungen in den kurdischen Großstädten, gezielte Operationen in den Kleinstädten. Kurdische Gebirgsdörfer sollen nach dem Plan des Generalstabschefs geräumt werden. Langfristig sollen dort statt dessen andere Bevölkerungsgruppen angesiedelt werden. Es wird für notwendig gehalten, die „ethnische Situation“ in Kurdistan „zu verändern“. Denn: „Ohne ethnische Säuberung wird das Militär keinen Rückhalt bei der Zivilbevölkerung finden.“